Mick Jones in seinem Luxusapartment, das sich gleich beim Central Park befindet. Er trägt einen Morgenmantel, der mich an den Dude aus The Big Lebowski erinnert, und sein persönlicher Assistent holt mir ein Glas Wasser. Wir nehmen Platz auf seinem Sofa, während im Fernsehen stumm die French Open laufen. In der Ecke steht eine Gitarre, die eine Les Paul Custom sein dürfte.
Jones ist eine Legende der Musikbranche und hat abseits seiner eigenen Projekte bereits mit Eric Clapton, Van Halen und George Harrison gearbeitet. Allerdings bin ich hier, um mit ihm darüber zu sprechen, wie es ist, ein Alkoholiker zu sein, der in einer Rock-’n’-Roll-Band spielt. Zwischen Mick Jones und Bon Scott gibt es abgesehen von den offenkundigen Unterschieden in puncto Bühnenpräsentation und Musik überraschend viele Ähnlichkeiten und Parallelen. Sowohl Jones als auch Bon spielten schon lange in Bands, bevor ihnen schließlich mit Foreigner bzw. AC/DC der Durchbruch gelang. Beide waren Alkoholiker und nahmen Drogen. Beide standen bei derselben Plattenfirma unter Vertrag, nämlich Atlantic Records. Die erfolgreichsten Alben ihrer Karriere, Foreigners 4 und AC/DCs Highway To Hell, wurden von Robert John „Mutt“ Lange produziert. Jones wird vom selben Mann gemanagt, der AC/DC einen Plattenvertrag verschafft hat, nämlich Phil Carson. Außerdem ist er mit Brian Johnson befreundet. In der Woche unseres Treffens wurde ihm im Rahmen einer glamourösen Gala in Manhattan ein Ehrenpreis von Caron, einem wohltätigen Suchtbehandlungszentrum, überreicht.
Doch im Gegensatz zu Bon lebt Jones noch und kann die Früchte seiner Arbeit genießen. Die beiden Männer trafen sich am 10. August 1977 in Kansas City, Missouri, wo UFO und AC/DC vor Foreigner in der Memorial Hall auftraten. AC/DC hatten gerade einen relativ desaströsen Gig im Mississippi Nights in St. Louis hinter sich, wo die Band und Phil Carson – ein großer Mann – in ein Handgemenge mit ein paar Türstehern gerieten. Als sie nun in Kansas City eintrafen, waren sie nicht allzu freundlich gestimmt, vor allem weil Foreigner all das zuteilwurde, nach dem sich AC/DC sehnten. Ihnen war mit ihrer schlicht Foreigner betitelten Debüt-LP und der Single „Feels Like The First Time“ gleich der Durchbruch gelungen. Eine Werbeanzeige, mit der Atlantic das Album pushte, bediente sich verschiedener Pressezitate, die so euphorisch ausfielen, als würden sie direkt aus der PR-Abteilung der Plattenfirma stammen: „Sie weisen die Merkmale einer zukünftigen Supergroup auf“, ihre Musik spreche eine „unwiderstehliche Sprache“ und bringt die Hörer dazu, „nach mehr zu schreien“.
„Wir wurden praktisch landesweit beworben“, sagt Jones. „Es war eine unglaublich magische Zeit. Schon das Timing. Oder vielleicht lag es auch an Atlantic Records. Wir verkauften schließlich Platten wie noch niemand vor uns in der Geschichte von Atlantic. Aber wer hätte ahnen können, dass diese Band, die praktisch aus dem Nichts kam, in diesem Jahr vier Millionen Alben verkaufen würde? Der einzige andere Act, dem das gelungen war, hieß Iron Butterfly – niemandem sonst: weder den Stones, Zeppelin, Genesis oder Yes. Die ganze Firma stand hinter uns. Die einzigen anderen Bands, die sich gut machten, waren Boston, Eagles und Fleetwood Mac. Aerosmith verkauften in den Siebzigern gar nicht so viel.“
Man konnte AC/DCs Feindseligkeit gegenüber Foreigner spüren.
„Es glich einer Frontalattacke. Aber ich glaube, dass ich über die Jahre hinweg genug Erfahrungen gesammelt hatte. Ich gab mir große Mühe, dem Rest der Band beizubringen, wie sie damit umgehen sollten. Letztendlich stärkte es nur unsere Entschlossenheit. Wir legten uns noch mehr ins Zeug und stellten uns der Herausforderung.“
Also wirkte sich die Konkurrenz positiv auf die Musik aus?
„Yeah. Ich glaube, dass auch AC/DC davon profitierten. Sie legten vor und wir fanden uns in der Defensive wieder. Diese Art Motivation hättest du nicht unbedingt vom Publikum beziehen können. Außerdem pushten Klenfner und Kalodner jeden auf dem Label.“
Michael Klenfner, der Atlantics Marketing- und Promotion-Abteilung vorstand, hatte den ersten paar Gigs von AC/DC in Florida in Begleitung seiner rechten Hand Perry Cooper beigewohnt. Im April 1977 waren beide von Arista Records, wo Klenfner für die Promotion im FM-Radio verantwortlich gewesen war, zu Atlantic gewechselt. John Kalodner war bei Atlantic im A&R-Bereich tätig.
„AC/DC verstanden sich blendend mit Klenfner und Cooper“, erzählt Jones. „Sie waren ganz neu bei Atlantic und schossen sich ein wenig auf Foreigner ein. Wir waren zwei verschiedene Bands. Obwohl wir auch eine eher härtere Rockband waren, waren wir nicht ganz so heavy wie AC/DC. Unser Publikum zeichnete sich durch seine Diversität aus, obwohl am Anfang viele Rock bevorzugten. Ich glaube, dass sich Kalodner auf unserer Seite und Klenfner für AC/DC auf eine Art Wettkampf einließen, frei nach dem Motto ‚Wer schlägt sich am besten?‘“
Er erinnert sich an diese Zeit als eine Phase, in der „soziale und musikalische Einflüsse eine enorme Rolle spielten“ und die Musik eine echte emotionale Wirkung entfaltete.
„Wir gaben uns damals allergrößte Mühe, über zehn Zeilen mit jeweils sechs Wörtern eine Geschichte zu erzählen, auf sehr begrenztem Raum eine Botschaft zu transportieren“, sagt Jones. „Die Leute taten das damals noch. Natürlich tun sie das heute auch noch, aber ich glaube, dass der Fokus seinerzeit auch noch mehr auf Melodien und Dingen lag, die etwas nachhaltiger waren.“
Bons Trinkerei war sogar schon 1977 für alle um ihn herum offenkundig. Jones ist ein trockener Alkoholiker; was meint er, das dahintersteckte?
„Ich glaubte, es geht dabei um das Gefühl, dazuzugehören und zu tun, was die anderen auch tun. Man fragt sich, ob der Grund dafür, dass sie diese tollen Ideen haben, vielleicht der ist, dass sie sich mit Gras benebeln. Ich hielt mich seinerzeit in erster Linie an Gras und Schnaps. Damit ließen sich viele meiner Hemmungen überspielen; es beförderte mich im Handumdrehen in den Mittelpunkt jeder Party. Allerdings bewegt man sich da auf dünnem Eis. Ein paar Jahre lang gelang mir diese Gratwanderung, bis ich an einen Punkt gelangte, an dem es mir über den Kopf wuchs – so wie das auch unglaublich vielen anderen in diesem Geschäft widerfahren ist. Das einzige Positive war, dass ich zumindest überlebt habe.“
Glaubst du, dass Bon eine Chance hatte, irgendetwas anders zu machen, oder war das einfach der Weg, den er eingeschlagen hatte?
„Damals vermutlich nicht. Niemand gab zu, ein Junkie, ein Drogensüchtiger oder Säufer zu sein. Solche Dinge gestand man zu dieser Zeit nicht öffentlich ein. Diese Art Offenheit hielt erst später, in den Achtzigern, Einzug. Ich meine, so ziemlich jeder wusste, dass Kurt Cobain ein paar Probleme hatte. Die gesellschaftliche Stigmatisierung brachte mit sich, dass es einfach nicht als cool galt, wenn ein Rockmusiker einräumte, ein Problem zu haben. Es wurde erwartet, dass du mit diesem Scheiß selbst umgehen konntest und es deine Musik vorantrieb. Das begann schon mit dem Blues. Solche Dinge zu gestehen, wurde vor allem als Zeichen der Schwäche wahrgenommen. Ich muss gestehen, dass ich immer noch, obwohl ich mich nicht unbedingt selbst so nenne, ein Alkoholiker und Drogensüchtiger bin. Immerhin befinde ich mich nur einen Drink vom Untergang entfernt. Dasselbe gilt für Drogen. Wenn ich mir heute Abend einen Drink genehmigte, würde ich mir nächste Woche schon literweise Wodka hinter die Binde kippen. Ich wäre in erbärmlichem Zustand und würde einem verdammten Barmann meine Lebensgeschichte erzählen und all meine Errungenschaften schildern [lacht]. Weißt du, was ich meine? Und dann müsste mich irgendwer nach Hause schleppen10. Als Nächstes würde ich nach und nach alles verlieren, was ich mir in den fünfzehn Jahren meines Erholungsprozesses erarbeitet habe. Jeder Tag stellt eine Herausforderung dar. Man sollte sich keine Versprechungen oder so machen, keine Pläne aufstellen, diese Sache für den Rest deines Lebens durchzuziehen, weil das zu beängstigend ist. Wie es so schön heißt: immer nur ein Tag auf einmal. Eine Verpflichtung auf täglicher Basis. Du musst deinen Wunsch und deine Entscheidung, trocken und sauber zu bleiben, immer neu bekräftigen. Es gibt nur einen Heilungsprozess, aber noch keine Heilung. Diese Einrichtungen, die vorgeben, die Leute von ihrer Trunksucht heilen zu können, sind doch alle Bockmist. Totaler Bullshit! Der Alkoholiker bleibt immer auf Gedeih und Verderb diesem einen einzelnen Drink ausgeliefert.“
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Als AC/DC sich mit Foreigner die Bühne teilten, hatten auch UFO reichlich Schwierigkeiten mit Alkohol und Drogen. Leadgitarrist Michael Schenker, der sich mit einem chronischen Alkoholproblem herumschlug, war durch Paul Chapman