herumschlagen müssen. Bon war in dieser Hinsicht nicht einzigartig. Es stellt sich die Frage, warum er die Vorstellung, nüchtern zu sein, so unerträglich fand, dass er sich regelmäßig so abschießen musste, um die Nacht durchzustehen. Sein neuer Freund Roy hatte definitiv seine Gründe, aber was waren Bons?
Silver Smith sagt, dass er ihr nie erklärt hätte, warum er so heftig trank.
„Es fing schon sehr früh an. Manchmal trank er aber auch eine Zeit lang gar nichts. Er wusste, dass es ihn umbrachte. Sogar auf Tour in den späten Siebzigern gab es ziemlich lange Phasen, in denen Bon trocken blieb. Ein paar Monate hier und da. Aber als ich ihn 1976 kennenlernte, trank er täglich eine Flasche Scotch.“
Er hatte eine masochistische Ader, die sich nicht rational erklären ließ. Die Trinkerei nahm stets eine zentrale Rolle bei seinen Problemen ein. Silver beschrieb dies als „seine destruktive Seite. Er tat dann absolut unerklärliche Dinge und verursachte mitunter große und manchmal sogar nachhaltige Schwierigkeiten für die Leute, mit denen er unterwegs war. Ich fragte ihn dann, warum zum Teufel er etwas getan hätte: ‚Wie kommt man bloß auf solche Ideen?‘ Darauf hatte er keine Antwort. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob er wusste, was er tat, oder ob es ihm selbst ein Rätsel war.“
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Als AC/DC zum zweiten Konzert ihrer ersten US-Tour in San Antonio eintrafen, „waren die Leute bereits am Durchdrehen“, lacht Lou Roney. „Ich weiß nicht, wie ich das anders beschreiben soll.“ Über 6.000 Leute versammelten sich im Municipal Auditorium und auf beide Bands warteten hinter der Bühne reichlich Groupies.
Earl Johnson zeigte sich beeindruckt von Moxys Vorband: „Ich saß da und verfolgte ihr ganzes Set. Ich weiß noch, wie ich sagte, dass diese Jungs verdammt groß werden würden. Sie waren wie eine Maschine. Alle klinkten sich einfach in den Groove zwischen Band und Publikum ein.“ Wie er sagt, vereinten sie das Beste der Stones mit dem Besten von Led Zeppelin. „Einerseits ist da dieser sehr stete Stones-mäßige Beat und andererseits diese an Led Zep erinnernden Riffs.“
Erst in Dallas ergab sich die Möglichkeit, sich ein wenig näher mit Bon vertraut zu machen. Moxy und AC/DC stiegen dort zum ersten Mal im selben Hotel ab. Nach der Show war Bon allerdings von Alkohol und Pillen bereits ziemlich angeschlagen.
„Das Zimmer, in dem ich schlief, wurde in dieser Nacht zum Partyraum auserkoren. Ich war kein sonderlich starker Trinker. Damals ließ es aber jeder mal ein bisschen krachen. Ich wollte nun um zwei Uhr zu Bett gehen. Da pennte aber schon Bon. Ich weiß noch, wie ich versuchte, ihn aufzuwecken. Er war aber nicht wach zu bekommen. Ich warf ihn also über meine Schulter und schleppte ihn den Flur hinunter, wo ich an die Tür klopfte und ihn entweder Angus oder Malcolm überließ. Als ich ihn den Flur hinuntertrug, versuchte er, mir eine zu verpassen. Das war ganz schön komisch. Er konnte sich ja kaum bewegen. Er hätte nicht mal eine Giraffe getroffen, so neben der Spur lief der. Wir warfen uns echt alles ein, Mann. Quaaludes, weiße Pülverchen. Die Kolumbianer flogen Texas im Tiefflug an und warfen den Scheiß in Bündeln ab. Sie unterflogen das Radar in einer Flughöhe von knapp 250 Metern. Heute laufen sie mit U-Booten die Küste an [lacht].“
Quaaludes, auf der Straße auch als „Downers“ oder „Soapers“ bekannt, waren in der Rockszene der Siebziger in den USA die Droge der Wahl. Martin Scorsese stellt in einer längeren Sequenz seines Films The Wolf of Wall Street sehr anschaulich dar, welch unglaubliche Wirkung sie entfalteten. Bon erwähnt das Zeug in einem verdrießlichen Brief von 1978 an seine Exfrau Irene, den er zwei Tag vor dem Ende von AC/DCs Tour schrieb: „Ich habe eine Quaalude eingeworfen.“
Dass er die Droge so früh auf ihrer US-Tour und in Kombination mit Alkohol nahm – eine hochgefährliche Mischung –, deutet darauf hin, wie unbekümmert Bon mit seiner Gesundheit umging. Es war auch ein Omen für das, was noch bevorstand.
Doch die Band hatte Anlass zum Feiern. Gerade einmal drei Tage nach ihrem US-Debüt in Austin hatten etliche weitere Radiosender aus dem ganzen Land AC/DC ins Programm genommen: WCOL Columbus, KJSW Seattle, KADI St Louis, WQDR Raleigh, KZEW Dallas, WNOE New Orleans, KTIM San Rafael, KLBJ Austin, WENE Binghamton, KPRI San Diego, WYDD Pittsburgh, WROQ Charlotte, KDF 103 Nashville, WIYY Baltimore, WNEW New York und WLIR Long Island. Let There Be Rock schien im Südwesten und Mittleren Westen des Landes in der Billboard-Kategorie „Breakouts“ auf und am 31. Juli veröffentlichte die Los Angeles Times eine Lobeshymne auf das Album. Laut dieser Kritik stellte Let There Be Rock eine Verbesserung gegenüber High Voltage dar. Die „an Slade und Nazareth erinnernde, überschäumende Power“ würde die Platte zu „einer der besten diesjährigen Neuerscheinungen im Hochenergiebereich“ machen, hieß es da.
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Von Texas ging es für die Band weiter nach Florida, wo drei Konzerte in Jacksonville, West Palm Beach und Hollywood bevorstanden. In Jacksonville, nahe der Staatsgrenze zu Georgia, hatten sich die Einheimischen bereits vorab auf die Band eingrooven können. Das lag zum einen an der Missionierungsarbeit von Bill Bartlett von WPDQ/WAIV Jacksonville und zum anderen an der Unterstützung durch Sidney Drashin, eines der berüchtigtsten Gauner im Rock, dessen Firma Jet Set Enterprises in den Siebzigern die Konzertszene in Florida dominierte wie das Medellin-Kartell den Kokainhandel.
„Bon Scott war wahrscheinlich aufgrund dessen, was er für sein Genre leistete, weltweit einer der fünf besten Leadsänger“, teilt er mir von seiner Eigentumswohnung am Ponte Vedra Beach außerhalb von Jacksonville aus mit. „Er brachte sie echt weiter. Auch ihre Bühnenshow war etwas Neues, das die Leute so noch nicht gesehen hatten. Sie schwirrten durchs Stadion wie die Glühwürmchen oder Ameisen. Alle glühten sie förmlich. AC/DC übertrugen ihre Verrücktheit auf das Publikum. Sie waren magisch.“
Nördlich von Miami, im Sportatorium auf dem West Hollywood Boulevard in Hollywood, standen AC/DC bei der Benefizveranstaltung „Day for the Kids“ des Radiosenders WSHE 103.5 als vorletzter Act auf dem Programm. Die Vorband war die lokale Rockband Tight Squeeze, deren auffälligstes Merkmal war, dass der inzwischen verstorbene Teddy Rooney, Sohn des Schauspielers Mickey Rooney und der Schauspielerin Martha Vickers, bei ihnen Bass spielte.
Im Publikum verfolgte Michael Fazzolare, der 110 Kilo schwere italoamerikanische Leadsänger der vierköpfigen Punkrockband Critical Mass aus Miami, ehrfürchtig sein erstes AC/DC-Konzert. Da konnte er noch nicht wissen, wie nahe er schon bald dem Sänger seiner Lieblingsband kommen würde.
„Das Haus war gerammelt voll, ein typisches Sportatorium-Publikum. Wir waren da, weil wir AC/DC sehen wollten. Wir fuhren total auf sie ab. Sie spielten ‚The Jack‘ und Bon fragte, wie wir hier einen Tripper nannten. Also rief ihm jemand zu: ‚The Clap!‘ Und so sang er nun ‚The Clap‘ [statt ‚The Jack‘] und alle sangen mit: ‚She’s got the [klatscht in die Hände].‘ Diese Band … sie waren vom Mars. Und sie gaben Vollgas. Es war total irre.“
Nach dem Konzert kehrte die Band zurück in ihr Hotel, wo Bon Pattee Bishop vorgestellt wurde, einer umwerfenden irisch-jüdischen Haarstylistin, die in ihrer Blütezeit Stars wie Alana Hamilton, Loni Anderson oder Farrah Fawcett-Majors optisch um nichts nachstand. Sie war eine langbeinige, vollbusige, gebräunte Blondine mit feinen Gesichtszügen, einem strahlenden Lächeln und eindrucksvoller Mähne. Bon hatte eine Vorliebe für heiße Frauen – vor allem aber liebte er Blondinen mit Geld.
Heute lebt Pattee in Venice, Kalifornien, wo sie mit einem „Malibu-reichen Typen“ verheiratet ist – „denen geht es immer nur um die nächste Welle“ – und kümmert sich um eine Reihe von Mietobjekten am Meer. Sie ist sich der Macht, die sie über die Männerwelt hatte, durchaus bewusst.
„Zuerst ging ich mit Cliff [Williams] aus. Ich fand, dass er der Süßeste war. Aber er rauchte Pot und ich konnte den Gestank nicht ausstehen. Wir hatten unsere gemeinsame Zeit; danach ging er mit meiner besten Freundin aus Chicago, Candy Pedroza.“
Bon war bis Ende 1979 Pattees Liebhaber, von Zeit zu Zeit zumindest. Sie wusste von Anfang an, dass nicht alles mit ihm stimmte.
„Bon war ein einsamer Typ. Er hatte Hände so rau wie die eines Arbeiters. Innerlich war er ein alter Mann. Es brach mir das Herz, als er alleine starb.“
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