Jesse Fink

Bon - Der letzte Highway


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      Teil I

      1977

      1

      Go Down

      Vier Tage vor AC/DCs Ankunft in Texas landete Barry Manilow einen Nummer-1-Hit mit der öden Ballade „Looks Like We Made It“. Man kann sich nur vorstellen, wie das Bon Scott geärgert haben muss, der zum ersten Mal die USA besuchte. Seitdem er ins Teenageralter gekommen war, hatte er von diesem Land geträumt. Zwei Jahre später erwähnte Bon Manilow im Song „Get It Hot“, der auf seinem letzten Album mit AC/DC Highway To Hell erschien. Mit trockener Erleichterung sang er da:

      Nobody’s playing Manilow.

      Auch vor Disco gab es kein Entkommen. Der angesagteste Song in New York und Los Angeles hieß „I Found Love (Now That I Found You)“ von Love And Kisses. Andy Gibb sollte schließlich Manilow an der Spitze der Charts mit „I Just Want To Be Your Everything“ ablösen und ganze drei Wochen dort bleiben. Was Rockmusik betraf, so kämpften „Barracuda“ von Heart, „Black Betty“ von Ram Jam sowie die Steve Miller Band mit ihrer Coverversion des Paul-Pena-Songs „Jet Airliner“ eine scheinbar aussichtslose Schlacht gegen die gnadenlose Übermacht der Discokugel.

      Die Herausforderung, der sich AC/DC mitsamt ihrem neuen englischen Bassisten Cliff Williams stellten, war nicht zu unterschätzen. Es war die Art Herausforderung, mit der sich jede neue Rock-’n’-Roll-Band in Amerika konfrontiert sah. Um Geld zu verdienen, mussten sie auf Tour gehen – und in diesem Bereich waren Kiss und Led Zeppelin die unbestrittenen Marktführer. Letztere waren im April vor 80.000 Menschen im Pontiac Silverdome in Michigan aufgetreten. Led Zeppelins Konzert am 24. Juli beim Day On The Green im kalifornischen Oakland sollte ihr letzter Auftritt in Nordamerika sein.

      Doch Bon war nicht Robert Plant. Auf ihn wartete jedenfalls kein Stadion gefüllt mit Zehntausenden kreischenden Girls. Stattdessen begannen er und seine Band ihre Reise durch Nordamerika, die sich letztlich als durchaus bemerkenswert herausstellen sollte, mit einer Show vor 1500 bekifften Studenten und Cowboys im Armadillo World Headquarters in Austin, einem ehemaligen Waffenarsenal, das zu einer treibhausartigen Konzertlocation umfunktioniert worden war.

      Ihren Auftritt verdankten sie Lou Roney und dem inzwischen verstorbenen Joe „The Godfather“ Anthony, zwei Discjockeys aus San Antonio, die Manilow ebenso hassten, wie AC/DC es taten. Ihr Sender, KMAC/KISS, war eine der Ersten auf Album-Rock spezialisierten Radiostationen in den USA. Dort spielte man alles von Ted Nugent und Rush über Bob Dylan und Southern Rock bis hin zu Taj Mahal und B. B. King. Anthony und Roney flüsterten den lokalen Konzertveranstaltern, welche Rock-Acts sie nach San Antonio holen sollten, bis sie schließlich irgendwann selbst ins Geschäft einstiegen. Einer der Acts, die sie dem Konzertveranstalter Jack Orbin ans Herz legten, waren AC/DC.

      „Anfangs widmeten uns die landesweit agierenden amerikanischen Plattenfirmen nur wenig Aufmerksamkeit“, erinnert sich Roney. „Wir waren ja nur ein heruntergekommener, alter Mistsender, weshalb sie uns nie mit Musik versorgten. Und so fingen wir an, Import-Sachen zu spielen. Joe oder ich kauften importierte Platten aus aller Welt. So stießen wir auch auf High Voltage. Wir starrten auf das Cover und hörten uns das Album an. Ich sagte dann zu Joe, dass ich diese Musik für einen echten Killer hielt. Selbstverständlich hatte damals noch niemand von AC/DC gehört. Joe wollte sie nicht zu oft spielen. Ich aber schon. Und plötzlich bekamen wir allerhand Anrufe.“

      KMAC/KISS setzten laut Malcolm Young die Mundpropaganda in Gang: „Als wir 1977 in den USA landeten, hieß es, dass das Timing für unsere Art von Musik nicht passen würde. Das war die Ära von Soul, Disco, John Travolta – dieser Kram eben. Es gab, glaube ich, fünf Radiosender im ganzen Land, die Rock spielten, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Als wir [im Armadillo] eintrafen, um unseren Soundcheck zu machen, waren ein paar Typen da, die das Gebäude sauber fegten. Sie sangen alle ‚TNT‘ und wir fragten uns, woher diese Vögel den Song bloß kannten.“ Nun, sie kannten ihn, weil Roney mit Begeisterung und Anthony etwas widerwilliger im Radio AC/DC-Platten spielten.

      * * *

      1977 war Roy Leonard Allen Jr. ein dicklicher, langhaariger, kiffender 21-jähriger Student am Austin Community College. Er war in Rockdale, Milam County, im Nordosten von Austin aufgewachsen, wo sein Vater, der Weltkriegsveteran Roy Leonard Allen Sr., als Anwalt und Friedensrichter tätig war. Sein Urgroßvater Robert hatte in der texanischen Kavallerie auf Seiten der Südstaaten im Bürgerkrieg gedient. Er entstammte somit der angeseheneren Mittelklasse – doch verhielt er sich nicht dementsprechend und steckte permanent in Schwierigkeiten.

      „Um diese Geschichte richtig erzählen zu können, muss ich zuerst etwas von meiner Geschichte erzählen“, erzählt er mir mit seinem markanten zentraltexanischen Akzent. Roy hat ein freundliches, zerfurchtes Gesicht – nicht unähnlich jenem von Tommy Lee Jones – und eine höfliche Art, die über seine wilde Vergangenheit hinwegtäuscht. Heute lebt er in Leander, einem Vorort nördlich von Austin, wo er als Immobilienmakler tätig ist. „Vieles habe ich schon wieder vergessen. Aber an Folgendes kann ich mich sehr wohl noch erinnern.“

      Es war der 26. Juli 1977 und Roy hatte Sommerferien. Er hing in einer Bar namens The Back Room am East Riverside Drive ab. Die Bar befand sich nur zwei Meilen vom Armadillo World Headquarters entfernt – ganz in der Nähe des Colorado