lebte, war auch er ins Fadenkreuz der Brüder gerückt. Was den Youngs wirklich wichtig war, war ihr Durchbruch – und das Geld. Mit oder ohne Bon.
Bon mag zwar zweifellos sehr begabt gewesen sein, doch letztlich muss man sagen, dass er es vergeigt hat. Aber trotz all seiner reichlich vorhandenen charakterlichen Mängel belegt seine grundlegende Anständigkeit – seine Gesten gegenüber Menschen (Briefe, Postkarten, Geschenke), die Verbindung mit seinen Fans, seine überraschende Sanftmut, an die man sich gern erinnert – auch nachhaltig seine Menschlichkeit. Sie ist auch der Grund, warum seine Geschichte auch heute noch bewegt. Was die Angelegenheit umso schmerzlicher macht, ist die Tatsache, dass er einfach viel zu früh von uns ging beziehungsweise unter Umständen, die nie ganz geklärt wurden.
„Die olle Kamelle vom Rockstar, der an seiner eigenen Kotze erstickt, degradiert ihn einfach in eine Kategorie, die er sich nicht verdient hat“, sagt Larry Van Kriedt, AC/DCs erster Bassist und Freund der Youngs aus Kindertagen.
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Der mittlerweile verstorbene Vince Lovegrove erzählte dem australischen Autor Clinton Walker für seine 1994 erschienene Bon-Biografie Highway to Hell, dass der AC/DC-Frontmann, sein alter Freund und Bandkollege bei der Sixties-Bubblegum-Popband The Valentines, stets gewirkt hätte, als würde ihn etwas belasten, „egal ob es nun sein kreatives Verlangen war oder auch seine vermeintliche Unzulänglichkeit, die ihn vielleicht wegen seiner Herkunft aus der Arbeiterschaft oder seiner mangelnden Bildung plagte. Keine Ahnung. Allerdings gab es da einen inneren Konflikt, eine gewisse Unsicherheit bezüglich seiner selbst. Er ließ zwar gerne den großen Macker raushängen, aber dahinter verbarg sich ein Softie.“
Jahre später fragte Dr. Volker Janssen, ein AC/DC-Fan, Lovegrove nach seiner Meinung zu Clinton Walkers Buch. „Ich halte es für einen ehrlichen Versuch eines Fans, den echten Bon Scott zur Sprache kommen zu lassen, indem seine Persönlichkeit laut der Einschätzung seiner Freunde nachgezeichnet wird“, antwortete er. „Ich glaube, dass Walker die Essenz eines Teils von Bon, nämlich den guten, zu dem sich jeder hingezogen fühlte, gut wiedergibt. Allerdings scheitert er an Bons dunkler Seite.“
Es ist diese dunkle Seite, für die ich mich interessierte. Ich bewundere das, was Walker mit seinem Buch über Bon versucht hat. Es entstand vor dem Zeitalter von Google, als alle Fakten rigoros überprüft werden mussten – und gegen den Widerstand von AC/DC und ihrer langjährigen australischen Plattenfirma Albert Productions (auch Alberts genannt). Doch durch meine eigenen Nachforschungen habe ich begriffen, dass viele seiner Aussagen und Schlüsse zu Bon schlichtweg falsch waren.
Silver Smith bezeichnete ihre Beteiligung an Walkers Buch mir gegenüber als „Fehler … Ich habe schon eine Menge Mist gelesen. Nach Walkers erstem Versuch [einer Bon-Biografie] begriff ich, dass die Leute sich mehr für Mythen als für die Wahrheit interessieren“.
Mary Renshaw behauptete, dass Bons Bruder Graeme Scott das Buch „in die Mülltonne warf“. Das kann allerdings – so fair muss man gegenüber Walker sein – sowohl gegen als auch für das Buch sprechen. Schließlich geht es bei einer guten Biografie nicht darum, die Familie der porträtierten Person glücklich zu machen.
Auf jeden Fall war Walkers Buch um Längen besser als Renshaws. Auch gebührt ihm große Anerkennung dafür, die erste echte Biografie von Bon vorgelegt zu haben. Highway to Hell ist aber auch auf keinen Fall das ultimative Porträt dieses Mannes – ebenso wenig wie all die anderen Bücher über Bon und AC/DC. Obwohl ich dies auch nicht für Bon – Der letzte Highway in Anspruch nehmen möchte, glaube ich doch, dass mein Buch ein völlig neues Bild zeichnet, das der Wahrheit viel eher entspricht als alle anderen bisher zu diesem Thema veröffentlichten Bücher.
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Es wurde noch nicht annähernd genug über die letzten drei Jahre in Bons Leben geschrieben, als er der Frontmann jener Band war, die bald schon zur aufregendsten Rockband der Welt avancieren sollte. Den Großteil dieser Zeit verbrachte er in Nordamerika.
Zweifellos gibt es eine Menge Leute, die Bon persönlich kannten, Bücher schrieben und Bons Geschichten zum Besten gaben. Die Bandbreite reicht von Bandkollegen und Managern bis hin zu Exfrauen und Freunden. Dann gibt es noch jene Leute, die von anderen Biografen ausführlich für Bücher interviewt wurden oder in Dokumentarfilmen auftraten. Ihre Geschichten wurden immer wieder und wieder durchgekaut und führten letztlich zur Entstehung eines Mythos rund um Bon, mit dem wir alle nur zu gut vertraut sind.
Da, wo ich der Ansicht war, diese Quellen zu Wort kommen lassen zu müssen, habe ich aus bereits erschienenen Büchern und Presse-Interviews zitiert. Außerdem griff ich auf bisher unveröffentlichte Kommentare aus meinem eigenen Interview-Archiv zurück und stieß auch auf bis dato unbekannte Audio-Interviews mit Bon selbst. Zusätzlich führte ich noch Hunderte neuer Interviews. Viele meiner Gesprächspartner waren selbst Musiker, die zwischen 1977 und 1979 mit AC/DC in Nordamerika auf Tour gingen.
Dieses Buch beschränkt seinen Fokus auf die letzten 32 Monate in Bons Leben und konzentriert sich dabei vor allem auf seine Erlebnisse in Amerika sowie seine letzten Stunden in London. Bei diesem Buch geht es darum, jenen eine Plattform zu bieten, die ihre Geschichten noch nicht mit der Welt geteilt haben – und vieles darin baut auf den Reminiszenzen einer Gruppe von Leuten auf, die Ende der Siebzigerjahre in Miami, Florida, lebten. Auch ein trinkfester Cowboy aus Austin, Texas, der Bon vor AC/DCs erstem Gig in den USA begegnete, soll zu Wort kommen.
Natürlich basiert dieses Buch auch auf Aussagen von ehemaligen und aktuellen Mitgliedern der Band selbst. Obwohl mir – so wie jedem seriösen AC/DC-Biografen vor mir auch – der Zugang zur gegenwärtigen Besetzung der Gruppe verweigert wurde und Bon seit fast 40 Jahren tot ist, gelang es mir, aus lange in Vergessenheit geratenen Büchern, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln sowie TV- und Radiobeiträgen eine Art Mosaik von ihm zusammenzufügen, das sich im Grunde genommen die ganze Zeit direkt vor unseren Nasen befunden hat. Ganz egal, wie wenig ihnen die Enthüllungen auf den Seiten dieses Buches auch in den Kram passen mögen, so können sich die Mitglieder von AC/DC doch nicht so einfach von ihren eigenen Aussagen distanzieren.
Über die Jahre hinweg wurde mir auch das Privileg zuteil, mit einer Reihe von ehemaligen AC/DC-Mitgliedern in Kontakt zu treten und mich mit ihnen zu unterhalten. Ich bin ihnen sowie jenen Leuten, die sich aktuell im AC/DC-Kosmos bewegen und sich bereit erklärten, offiziell oder inoffiziell mit mir zu sprechen, zu großem Dank verpflichtet. Mir ist vollauf bewusst, dass es in Bezug auf diese spezifische Band kein einfacher Schritt ist, aus der Reihe zu tanzen und den Mund aufzumachen – auch wenn man schon längst nicht mehr mit von der Partie sein mag. Dennoch waren sie beherzt genug, genau dies zu tun.
Das Bandmitglied, das am ehesten einen sinnvollen Beitrag zu diesem Buch hätte leisten können, Phil Rudd, hatte ursprünglich zugesagt, mir ein Interview zu geben. Leider bekam er im letzten Moment kalte Füße und machte seine Zusage ohne Angabe eines Grundes wieder rückgängig. Ich konnte seine Angst förmlich spüren.
„Ich erzähle ungern Geschichten von Bon“, erklärte er mir von seinem Zuhause in Neuseeland aus. „Er war ein großartiger Kerl. Mir wurde nahegelegt, keine Kommentare zu irgendetwas abzugeben. Viel Glück mit deinem Buch. Ich hoffe, es eines Tages lesen zu können. Mach’s gut, Kumpel. Danke für deinen Anruf. Alles okay bei dir? Alles in Ordnung?“
„Sorry, was? Dir wurde davon abgeraten, mit mir zu sprechen?“
„Jawohl, das stimmt. Yeah.“
Aber nicht einmal sein eigener Rechtsbeistand wusste, wer tatsächlich auf Phil, der damals wegen privater wie rechtlicher Querelen im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand, eingewirkt hatte. Machte er sich vielleicht Sorgen darüber, etwas Unangebrachtes zu sagen, das sich negativ auf eine eventuelle Rückkehr zur Band auswirken könnte? AC/DCs Schweigekodex galt immer noch, auch wenn der Betroffene schonungslos aussortiert worden war.
Immerhin hatte er von meiner Arbeit gehört: „Schick mir doch ein Exemplar von diesem Buch, das du geschrieben hast, Die Brüder Young. Das scheint mir ziemlich interessant zu sein. Ich würde da gerne mal reinschmökern.“
Doch mit der Zeit gelangte ich zu dem Schluss, dass abseits der Bühne selbst seine eigene Band eine untergeordnete Rolle in Bons Geschichte