Danny Goldberg M.

Erinnerungen an Kurt Cobain


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den Song geschrieben hat, nicht beleidigen. Das Konzept, positiv zu denken und einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, wurde von den Medien vereinnahmt und der Lächerlichkeit preisgegeben.“

      Dass Kurt bei vielen frühen Nirvana-Gigs rituell seine Gitarre auf der Bühne zertrümmerte, war nicht misszuverstehen; er parodierte damit ganz offen Pete Townshend von The Who, der das seit 1964 bei Konzerten tat, nachdem seine Band ihre Sechziger-Hymne „My Generation“ gespielt hatte. Ihr Drummer Keith Moon hatte daraufhin oft auch noch sein Schlagzeug umgestoßen, was Dave Grohl am Ende vieler Auftritte ebenfalls begeistert kopierte.

      Die Zerstörung von Instrumenten passte perfekt zum Anarchismus des Punk. Kurts Faszination für die Beatles hingegen war bei den Künstlern der Subkultur, aus der Kurt stammte, eher ungewöhnlich. Wie Thurston Moore mir sagte, sprachen die Nirvana-Musiker oft augenzwinkernd vom „B-Wort“, als müsse man sich ein kleines bisschen dafür schämen, die Fab Four zu hören – möglicherweise, weil die Beatles dem kommerziellen Erfolg stets sehr positiv gegenübergestanden hatten.

      Nirvanas widersprüchliche Einstellung zur Gegenkultur der Sechziger brachte den britischen Rock-Kritiker Jon Savage zu der Annahme, dass bereits der Name Nirvana „einen sarkastischen Seitenhieb auf die Pietät der Hippies darstellte“, obwohl Kurts Erklärung für die Namensgebung tatsächlich respektvoll auf die spirituelle Herkunft des Wortes abhob.

      Als Nirvana beim britischen Reading Festival als Headliner auftraten, gab es jede Menge „Fuck Woodstock“-T-Shirts im Publikum. Kurt und Krist erklärten mir allerdings beide, dass sie radikale Sechziger-Aktivisten wie Abbie Hoffman und Timothy Leary bewunderten und es sehr bedauerten, dass ihre eigene Generation keine vergleichbaren Vordenker hervorgebracht hatte. Und während viele Punk-Musiker sich die Köpfe rasierten oder einen Irokesenschnitt trugen, hatten die Jungs von Nirvana Langhaarfrisuren, mit denen sie in Woodstock kaum aufgefallen wären.

      Weihnachten 1991 schenkte ich Kurt und Courtney eine gebundene Faksimile-Ausgabe des kompletten San Francisco Oracle, der während der 18 Monate seines Erscheinens die wichtigste Hippie-Zeitung der Stadt gewesen war. Wenig später erklärte Kurt in einem Interview, die Haight-Ashbury-Gemeinde hätte schon 1967 erkannt, dass sie ihre Bedeutung verloren hatte – das zeige bereits ein „Tod den Hippies“-Marsch, über den der Oracle ausführlich berichtet hatte.

      Aus meinem eigenen Babyboomer-Blickwinkel erschien die Punk-Rebellion lediglich wie eine Neuauflage des jugendlichen Aufbegehrens, das Der Wilde, der Filmklassiker mit Marlon Brando, bereits in den Fünfzigern formuliert hatte. Als die Hauptfigur Johnny Strabler gefragt wird, wogegen er denn rebelliert, antwortet der in Leder gekleidete Motorrad-Rocker finster: „Was haben Sie denn anzubieten?“ Auch in der Punk-Szene gab es Leute, denen ungerichtete Aggression, ein steinzeitliches Stammeszugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsamer Musikgeschmack als Identifikationsgrundlage genügte. Dennoch hatten die vielen Strömungen des Punk auch einen spezifischen Subtext. 1980, lange bevor Donald Trump zur Stimme der zornigen, alten, weißen Männer wurde, nahmen Black Flag deren Ängste in dem Song „White Minority“ vorweg: „We’re gonna be a white minority … we’re gonna feel inferitority“ – Wir werden eine weiße Minderheit sein … wir werden erleben, was es heißt, unterlegen zu sein.

      Von 1981 bis 1989, in Kurts Teenagerzeit, war Ronald Reagan Präsident der USA, und er wurde ähnlich zum Katalysator für die Wut der amerikanischen Punk-Kultur der damaligen Zeit wie die Antikriegsbewegung die Gegenkultur der Sechziger geprägt hatte und die konservative Margaret Thatcher nach ihrer Wahl 1979 die Haltung von The Clash und anderen britischen Punks beeinflusste.

      Für die Jugendlichen, die sich für Punk interessierten, war Reagans Hemdsärmeligkeit ein typisches Beispiel der heuchlerischen Falschheit Hollywoods. Die damalige First Lady Nancy Reagan machte eine schlichte „Just say No“-Kampagne gegen Drogen zum Mittelpunkt ihrer nationalen Identität. Während ihr Gatte damit beschäftigt war, zahlreiche Hilfsprogramme für die Ärmsten der Armen einzustampfen, gab Mrs. Reagan 200.000 Dollar für ein neues Porzellanservice im Weißen Haus aus. Hinter Reagan stand eine große Mehrheit der Wähler; es gab in den USA keine breite „Widerstandskultur“, die sich gegen die Regierung gerichtet hätte, und daher erschufen sich die Punks ihre eigene. DOA veröffentlichten den Song „Fucked Up Ronnie“, die Minutemen nahmen „If Reagan Played Disco“ auf, und es gab eine Hardcore-Band, die sich Reagan Youth nannte. 1983 organisierten die Dead Kennedys, die Band von Jello Biafra, eine Rock-Against-Reagan-Tour. Zwei Jahre später beschrieb Thurston Moore das Sonic-Youth-Album Bad Moon Rising als „Statement gegen das verlogene Grinsen von Reagans Wiederwahl-Kampagne“, die unter dem Motto „Morning in America“ stand. 1991, als Nevermind erschien, sagte Kurt: „Die Reagan-Jahre haben uns wieder in die Zeit zurückgeworfen, in der sich der durchschnittliche Teenager verloren fühlt und es wenig Hoffnung gibt.“

      Reagans Vizepräsident und Nachfolger George H.W. Bush führte die USA in den Golfkrieg, von dem viele Punks den Eindruck hatten, dass er in erster Linie dazu diente, die Interessen der Ölunternehmen zu schützen. Kurt und Krist spürten ein Gefühl von Isolation, als sich zeigte, dass 90 Prozent der Bevölkerung den Krieg befürworteten, was an den allgegenwärtigen gelben Schleifen zu erkennen war, die eigentlich die Unterstützung der Truppen symbolisieren sollten, aber von den politischen Scharfmachern gern ganz allgemein als Zustimmung für den Krieg interpretiert wurden.

      Noch während Reagans Regierungszeit hatte Tipper Gore, die Ehefrau des damaligen US-Senators Al Gore, gemeinsam mit den Ehefrauen anderer Abgeordneter eine Organisation ins Leben gerufen, die den Zugang Minderjähriger zu Rockmusik mit anstößigen Texten erschweren sollte. Dabei gerieten viele Künstler in die Schusslinie, die Nirvana sehr schätzten. Dem Dead-Kennedys-Album Frankenchrist lag ein Poster bei, das das Gemälde Penis Landscape des Schweizer Surrealisten H.R. Giger zeigte. („Dieses Bild bringt Reagans Amerika auf den Punkt“, sagte Biafra stolz.) Die Staatsanwaltschaft Los Angeles machte das Poster und das dazugehörige Album zum Gegenstand einer Anklage wegen Obszönität, aber die American Civil Liberties Union, eine Bürgerrechtsorganisation, bei deren südkalifornischem Ableger ich im Stiftungsrat saß, übernahm die Verteidigung und trug den Sieg davon.

      Für viele Punks gehörten die etablierte Musikindustrie und die konservative Politik zusammen. Auf meine Frage, welche Bedeutung Ronald Reagan für die Punk-Bewegung der Achtziger gehabt hatte, antwortete Michael Azerrad scherzhaft: „Eine sehr große. Er war ein absoluter Major-Label-Präsident.“ Als Kurt starb, war auch ich ein Teil dieser Musikindustrie, und wie fast mein gesamtes Umfeld verabscheute ich Reagans Politik, aber mir war klar, dass Azerrad mit seinem Spruch die typische Einstellung äußerte, die in Punk-Kreisen vorherrschte. Seine Formulierung rief mir in Erinnerung, welche Gratwanderung Kurt absolviert hatte.

      In einem Interview mit dem französischen Magazin Best, ein Jahr nach der Veröffentlichung von Nevermind, sagte Kurt: „Früher habe ich die Welt immer in die da oben und wir hier unten aufgeteilt. Seit wir als Teil der Musikindustrie betrachtet werden, ist mir klar geworden, dass es leider nicht so einfach ist. Wir haben bei den großen Unternehmen Leute kennengelernt, die wirklich überzeugte Musik-Fans sind und versuchen, die Dinge voranzutreiben. Aber gleichzeitig verstehe ich auch, dass Underground-Fans glauben, wir hätten uns verkauft. Ich habe früher genauso argumentiert wie sie.“

      Zwar hatte Kurt bei unserem ersten Treffen keinen Zweifel daran gelassen, dass Nirvana bei einer großen Plattenfirma unterschreiben wollten, aber dennoch war die Strahlkraft der Independent-Labels für seine künstlerische Entwicklung entscheidend gewesen, und er hatte seinen Respekt für die Indie-Kultur nie verloren.

      Ohne Labels wie SST (gegründet 1978), Alternative Tentacles (1979), Dischord (1980), Epitaph (1980), Touch And Go (1981), K (1982), Homestead (1983), C/Z (1985), Sub Pop (1988) und Matador (1989) hätte ein Großteil der Musik, die Kurt inspirierte, ihr potenzielles Publikum gar nicht erst erreicht. Als er sich um einen Plattenvertrag bemühte, war es von daher selbstverständlich, dass Kurt seine Demo-Cassetten an die Indie-Labels schickte. Zum einen liebte er die Musik, die dort erschien, zum anderen standen einer Band aus dem Punk-Umfeld damals auch kaum andere Möglichkeiten offen.

      Da diese kleinen Firmen finanziell oft mit dem Rücken zur Wand standen und kaum oder gar keine Vorschüsse zahlen konnten, waren sie meist auch nicht in der Lage,