ernteten nie den ganz großen Ruhm, dafür aber erwiesen sie sich als Visionäre, die im Alleingang die Saat für ein ganzes Genre legten. Zum Beispiel Gram Parsons. Seine traurige Geschichte ist vom Format einer klassischen Südstaaten-Tragödie, seiner Gefährtin Emmylou Harris hinterließ er ein Vermächtnis, das sie zu einer der eindrucksvollsten und langlebigsten Karrieren im US-Musikbusiness inspirierte. Auch den englischen Free war nur einen kurzer Moment des Ruhms vergönnt, bevor diese vielleicht beste Bluesrock-Band ihrer Zeit an sich selbst zerbrach und Paul Kossoff, einer der begabtesten Gitarristen des klassischen Rock, seine übergroße Sensibilität mit dem Leben bezahlte. Ähnlich talentiert wie Kossoff, schlug sich der Ire Rory Gallagher mit sprichwörtlicher Bodenständigkeit durch seine turbulente Karriere. Bis heute gilt er als Musterbeispiel des unprätentiösen Rockstars, und doch wurde auch er zum Opfer seines unsteten Musikerlebens.
Zu den bis heute gefeierten Ikonen der Siebzigerjahre gehören Led Zeppelin, die ihren bleischweren Blues zum phantastischen, schillernden Heavy Rock aufpumpten. Seit ihrem Ende im Jahr 1980 wuchsen ihr Ruhm und ihr Einfluss ins Überlebensgroße, Generationen von jungen Musikern verehren sie bis heute als die definitive Rockband. Auch Bob Marleys Ruhm nahm nach seinem Krebstod im Jahr 1981 eher zu als ab. Der Jamaikaner gilt als Pionier des Roots Reggae, er gab dem Pop bis heute wirksame Impulse, verehrt wird er zudem für die Spiritualität, die seine Musik und seine Haltung als Künstler auszeichnete. Ebenfalls Ikonen des Seventies-Rock wurden die kalifornischen Eagles, deren Geschichte beispielhaft steht für die Entwicklung der noch einigermaßen unschuldigen Rockszene der Sechzigerjahre zum drogenverseuchten Millionenbusiness der Achtziger – allerdings hinterließen Glenn Frey, Don Henley & Co. auf ihrem Weg ein rundes Dutzend Songs für die Ewigkeit. Eine der schlimmsten Tragödien der Rockgeschichte ist die der Südstaatenrocker Lynyrd Skynyrd. Mit einem Flugzeugabsturz begann eine unfassbare Serie von Todesfällen – und doch hat die Band bis heute überlebt.
Bruce Springsteen brach dereinst auf, um sein Promised Land zu suchen. Was er fand, war am Ende das Amerika von 9/11 und George W. Bush. Heute ist Springsteen zum Elder Statesman des US-Rock gereift, respektiert nicht nur als Musiker, sondern auch als Sprecher eines liberalen Amerika. Sein Bruder im Geiste ist Tom Petty, der mit den Heartbreakers hartnäckig und, wenn’s sein muss, gegen alle Regeln des Business seine Vision der perfekten Rockband verfolgt – mit dem Resultat einer inzwischen erstaunlichen Anzahl von Klassikern, die auf sein Konto gehen. Petty gehört bereits zur zweiten Generation von Rockmusikern, wie auch der viel zu früh verstorbene Stevie Ray Vaughan, der als letzter großer Virtuose der Popmusik dem Rock eine nachhaltige Bluesspritze verpasste.
Manche der genannten Musiker fesseln seit Jahrzehnten ihr Publikum, manche wurden gar zu herausragenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Von all ihnen erzählt dieses Buch. Es verfolgt ihren Weg, berichtet von den Anfängen, dem Aufstieg, den Triumphen, aber auch von den Tragödien. Nicht jeder, der seinen Traum vom Ruhm wahr machte, hatte als Mensch das Rüstzeug, das es braucht, um mit den Belastungen des Erfolgs klarzukommen. Und bei einigen schlug das Schicksal grausam zu.
Natürlich erhebt die Riege der hier vorgestellten Künstler keinen Anspruch auf Vollständigkeit, den einen oder anderen berühmten Musiker wird der Leser vermissen. Die Auswahl ist streng subjektiv. Es ging mir nicht darum, die Besten, Wichtigsten, Erfolg- oder Einflussreichsten zu versammeln, stattdessen entschied ausschließlich mein persönliches Interesse.
Eins jedoch ist den hier vertretenen Künstlern gemeinsam, sie alle wurden zu prägenden Persönlichkeiten der Rockmusik. Und: Jedes einzelne dieser 25 Porträts erzählt seine eigene, spannende Geschichte. Es sind solche von Helden und Opfern – Legenden, fürwahr.
Zum Teil wurden die hier versammelten Porträts im Laufe der letzten Jahre bereits in verschiedenen Magazinen wie Musikexpress, Guitar, GoodTimes und Eclipsed veröffentlicht. Einige sind für diesen Band neu geschrieben worden, die restlichen Beiträge wurden gründlich überarbeitet, ergänzt und aktualisiert.
Zu großem Dank verpflichtet bin ich Michael Ohst, der das Projekt auf Anhieb unterstützt und in kürzester Frist zur Veröffentlichung gebracht hat. Großer Dank geht auch an die Zeitschriftenredakteure, die dieses Buch durch ihre Aufträge überhaupt erst angestoßen und mit ihren akribischen Redigaten so manchen Fehler gleich im Vorfeld eliminiert haben. Vor allem sind da zu nennen Chris Hauke, Lars Thieleke, Sebastian Westphal, Jürgen Ehneß, Marcel Thenee, Isabell Raddatz & Phillipp Opitz, Christian Stolberg, Peter Seeger, Fabian Leibfried, Bernd Matheja, Marcus Wicker und Steven Thomsen. Thanks, buddies! Einen letzten Blick auf das fertige Manuskript warf Uwe Schleifenbaum – bedankt, Huey, es geht nun mal nichts über einen gewissenhaften und fachkundigen Lektor!
Liebe Freunde haben bei der Entstehung der einzelnen Essays geholfen, wichtige Hinweise gegeben, kritische Fragen gestellt, manches als Blödsinn entlarvt und mich gelegentlich aufmerksam vor dem Vergaloppieren bewahrt – danke vor allem an Gabriele Werth, Dr. Hanns Peter Bushoff und meinen Bruder Kalle!
Last but not least: Thanks, Keith Richards, Davey Johnstone and Nick Woodland for making me pick up the guitar and play – what a beautiful journey!
Und, wie immer: Danke, Emmi!
BLUES-BUDDHA
Muddy Waters – I’m A Man
November 1981, Checkerboard Lounge, Chicago, Illinois: Wie ein Buddha thront der alte Herr auf einem Barhocker im Zentrum der kleinen Clubbühne. Umgeben ist er von der Creme der internationalen Rockszene, namentlich den Herren Jagger, Richards, Wood, Wyman und Watts. Mit all der Begeisterung, die ihnen seit ihren Anfängen in den verräucherten Kaschemmen der Londoner Vororte geblieben ist, dreschen die Rolling Stones ein uraltes Riff. So alt wie die Rockmusik, so alt wie der Blues, so alt vielleicht wie die Musik selbst. Ausgelassen krakeelt ihr Sänger, der dürre weiße Engländer in den roten Sportklamotten, immer wieder die Losung der Stunde: »I’m a maaaan!« Derweil ruht der Blick des schwarzen Mannes mit den fast mongolischen Gesichtszügen wohlgefällig auf den jungen Musikern, die wie aufgedreht um ihn herumtänzeln. Sie alle könnten seine Söhne sein. Und in gewissem Sinne sind sie es auch. Nach bald siebzig turbulenten Jahren stellt Muddy Waters weise lächelnd fest: Seine Botschaft ist angekommen, die nächste Generation hat die Fackel aufgenommen und wird sie weitertragen.
Als dieser McKinley Morganfield, wie er tatsächlich heißt, im Jahre 1913, vermutlich am 4. April, in einer kleinen Holzhütte im Mississippi-Delta das Licht der Welt erblickt, ist der Blues noch weitgehend die obskure Freizeitbeschäftigung einiger weniger schwarzer Landarbeiter. Auf dem Land ist er ein archaischer Folkstil, gespielt zu Gitarre, Banjo oder Harp, den außerhalb der riesigen Baumwollplantagen und der von Schwarzen bevölkerten Juke Joints kaum jemand kennt. Erst nach dem Ersten Weltkrieg findet er den Weg auf das noch junge Medium Schallplatte, in den großen afroamerikanischen Siedlungen solcher Metropolen wie New York, Chicago oder St. Louis und bei den umherreisenden Vaudeville und Medicine Shows kann man nun eine den Bedürfnissen eines breiteren, aber nach wie vor schwarzen Publikums angepasste Version dieser Musik hören. Gespielt wird sie eher wie der inzwischen modern gewordene Jazz, benutzt wird dabei dessen Instrumentarium, und gesungen wird dieser Blues – Verstärker gibt es nicht – von kräftigen Ladies mit noch kräftigeren Stimmen. Ihre Namen lauten Ma Rainey oder Bessie Smith. Zu regionaler Bekanntheit haben es auch einige Männer gebracht. Ruhelos ziehen sie von Ort zu Ort und bringen ihre Lieder auf Farmfesten und Tanzveranstaltungen zu Gehör. Blind Lemon Jefferson, Blind Willie McTell, Son House, Leroy Carr und Charley Patton sind die bekanntesten unter ihnen.
Soviel aber ist klar: Ob auf dem Land oder in Metropolen, in der von strikter Rassentrennung beherrschten Gesellschaft ist der Blues ausschließlich eine Sache der Schwarzen. Das weiß natürlich auch der junge McKinley Morganfield. Zusammen mit seiner Familie lebt er auf der riesigen Stovall Farm nahe Clarksdale, rund achtzig Meilen südlich von Memphis. Ein Ort von geradezu mythologischer Bedeutung für den Blues: Nicht nur wächst hier in jenen Jahren mit Muddy Waters einer der größten Musiker des Jahrhunderts heran, auch endete hier das Leben der »Kaiserin des Blues«, wie sie sie nannten, eben jener Bessie Smith, die in der Nacht zum 26. September 1937 mit dem Auto verunglückte und wenige