George Martin

Es begann in der Abbey Road


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unglücklicherweise. Schon wieder eine Lektion gelernt! Am heutigen Standard gemessen, klingt die Auflagenhöhe von 300 Platten lächerlich gering, doch damals gab es Produktionen, von denen sich vielleicht nur 180 Stück absetzen ließen. Trotzdem rechnete sich das aus ökonomischer Perspektive, da die Aufnahmekosten gering waren, ganz im Gegensatz zu den tatsächlich sehr hohen Endverbraucherpreisen.

      Dazu kam noch, dass ein Künstler wie Peter keinen Vorschuss erhielt. Er bekam Tantiemen in Höhe von 5 %, damals die höchste Umsatzbeteiligung. Der größte Kostenfaktor bestand im Mieten des Spinetts, was uns 15 £ kostete, und in der Gage für Anthony Hopkins, die mit einer vergleichbaren Summe zu Buche schlug. Zur Kostendeckung musste man also nur 200 oder 300 Platten zu je 7 Schilling an dem Mann bringen.

      Die Plattenproduktion mit Peter stellte eine Ausnahme von der Regel dar, da die meisten Künstler – besonders Sänger – Exklusivverträge mit den Plattenfirmen abgeschlossen hatten. Bedeutende Interpreten bekamen Verträge mit einer Laufzeit von zwei Jahren, möglicherweise um eine Option für weitere drei Jahre ergänzt. Der Vorteil für diese Interpreten bestand in der Zusage von regelmäßigen Veröffentlichungen, die sich natürlich finanziell niederschlugen. Einige erhielten eine Tantiemenvorauszahlung (allerdings musste man für so eine Vertragsklausel schon ziemlich erfolgreich sein), da die EMI mit ihren Künstlern in finanzieller Hinsicht ähnlich wie mit dem Personal umsprang – und dementsprechend knauserig war. Die durchschnittliche Bezahlung pro Platte lag bei einem Penny, die höchste Entlohnung bei einer 5-prozentigen Beteiligung. So ließ sich natürlich die mangelnde Verbundenheit der Künstler mit der Firma erklären.

      Die Vielfalt der Interpreten beeindruckte mich immer wieder. In derselben Woche nahm ich Bob und Alf Pearson auf („My Brother And I“ war ihr großer Hit), Dick Bentley und Joy Nichols („Take It From Here“), das Covent Garden Orchestra, Tommy Reilly mit seiner Mundharmonika, Eve Boswell und Charles Williams, der neben Sidney Torch das Queen’s Hall Light Orchestra dirigierte.

      Ich kann mich noch gut an Charles erinnern, der „The Dream Of Olwen“ schrieb, da das Schicksal ihn mit einem überraschenden Geld­regen erfreute. Er schrieb einige Stücke, eher als Hintergrundmusik gedacht, und erhielt dafür regelmäßige Zahlungen der Performing Rights Society, einer Organisation, vergleichbar mit der deutschen GEMA, die die mechanischen Vervielfältigungsrechte, Aufführungsrechte und Senderechte von Komponisten und Textern wahrnimmt. Plötzlich – ohne einen ersichtlichen Grund – betrug eine der Zahlungen die für damalige Zeiten exorbitante Summe von 5.000 £. Wie sich herausstellte, benutzte eine TV-Station in den USA eine seiner Kompositionen, ein Stück mit einer religiösen Grundstimmung, als Erkennungsmelodie. Und niemand hatte ihm davon berichtet!

      Gelegentlich nahm ich auch Freddie Randall und seine Jazz-Band auf, denn mittlerweile hatte ich mich weit von den altehrwürdigen Klangkathedralen des Klassik entfernt und produzierte – trotz meiner früheren Zusammenstöße mit Humph – alle Jazz-Künstler von Parlophone, also Graeme Bell and his Dixieland Jazz Band, Joe Daniels and his Hotshots, Jack Parnell und Johnny Dankworth and his Seven.

      Mit Johnny nahm ich einer meiner ersten Hits auf. Das Stück nannte sich „Experiments With Mice“ und basierte auf dem Liedchen „Three Blind Mice“. Er und Cleo Laine wurden schon bald gute Freunde, mit denen ich häufig arbeitete. Cleo, die damals noch nicht mit ihm verheiratet war, sang in der Band. Ich finde es erfreulich, dass John und Cleo genauso lange im Geschäft sind wie ich. Auch sie haben die harten Seiten und unangenehmen Aspekte kennengelernt: Tourneen, finanziell schwierige Zeiten, das ständige Auf und Ab sowie andere Problematiken – und nun betraten sie die Weltbühne als große Künstler. Eine mich immer wieder erheiternde Ironie besteht in der Tatsache, dass man Cleo ständig eine erfolgreiche Karriere absprach, da sie eine zu gute Stimme habe. Umso mehr erfreut mich der Erfolg einer nun von allen Seiten anerkannten Künstlerin.

      John engagierte sich wahnsinnig, angetrieben durch einen regelrechten Fanatismus, und das konnte mitunter lustige Konsequenzen haben. Einmal bereitete er ein Jazz-Konzert für Matyas Seiber in der Festival Hall vor und arbeitete dabei mit seinem Arrangeur Dave Lindup, der mit der Band immer auf Tour ging. Da die Arrangements unbedingt fertig gestellt werden mussten, buchte John eine Hotelsuite und fragte ausdrücklich, ob er sich mit Dave ein Zimmer teilen könne, um den Großteil der Nacht durchzuarbeiten. Der Empfangschef reagierte mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck, wobei ihm wahrscheinlich Vorurteile über das Musikerleben durch den Kopf gingen. Die beiden ließen sich davon nicht aus der Ruhe bringen, gingen auf ihr Zimmer und dachten nicht mehr darüber nach.

      Als sie von dem Gig zurückkehrten, begannen sie unverzüglich mit der Arbeit. Um 4 oder 5 Uhr morgens drehte sich Dave zu John und meinte: „Mir fallen die Augen zu. Ich kann nicht mehr und brauche unbedingt Schlaf.“ Er entkleidete sich und fiel auf das eine Bett, während John mit ungebrochener Kraft weiter arrangierte.

      Um 7 Uhr holte auch ihn die Müdigkeit ein, doch es war schon viel zu spät, um noch ins Bett zu gehen. Er legte die Arbeit beiseite, duschte, zog sich an und ging zum Frühstück. Als er sich den Marmeladentoast schmecken ließ, kam ihn in dem Sinn, dass er nicht nur um ein Doppelzimmer gebeten hatte, sondern dass die Zimmermädchen sofort sehen würden, dass nur ein Bett benutzt war. Als die beiden das Hotel verließen, zogen sie einige hochgradig suspekte Blicke auf sich.

      Aus verständlichen Gründen empfand John rassistische Bemerkungen als abgrundtiefe Beleidigung und legte sich mit jedem an, der sich abfällig über eine andere Hautfarbe äußerte. Allerdings amüsiert er sich immer noch über einen Zwischenfall beim lokalen Obst- und Gemüsehändler, wo er sich etwas Obst kaufen wollte. Er entdeckte vielversprechende Weintrauben und sagte zum Verkäufer: „Ich hätte gerne einige Pfund dieser Trauben. Sie sehen ja äußerst schmackhaft aus.“

      Doch als die Bedienung die Kiste von der Anrichte zog, bemerkte er das Etikett „Südafrika“. Er sah plötzlich keinen Grund mehr, sich die Früchte zuzulegen, und meinte: „Moment mal. Die Trauben kommen aus Südafrika, oder? Ich habe es mir überlegt und möchte sie nun doch nicht.“

      Der Mann schaute ihn ein wenig unterkühlt an und antwortete: „Tja, vielleicht haben Sie ja recht. Man kann ja nie wissen, was für Nigger die angepackt haben.“

      Nach dem Erfolg von „Experiments With Mice“ folgte Johns nächster Riesenhit „African Waltz“. Er wurde von dem aufstrebenden Songwriter Galt McDermott verfasst, den damals kaum jemand kannte. Wir nahmen später noch einige seiner Stücke auf, wie zum Beispiel „I Know A Man“ mit Rolf Harris. Das war noch lange vor der Zeit, in der er das berühmte Musical schrieb, das ihm zum Millionär machte – Hair. McDermott gehörte zu den Songschreibern, die sich in den Büros der Verleger in der Denmark Street rumdrückten und dabei versuchten, ihre Stücke zu verkaufen.

      Ich musste kontinuierlich Komponisten abweisen, was sich bis jetzt nicht geändert hat. Hörte ich mir tatsächlich alle angebotenen Stücke an, dann bliebe mir keine Zeit mehr zur Plattenproduktion. Unsere heutige Vorgehensweise besteht darin, dass sich ein Gremium durch das Material arbeitet und ausgesuchte Stücke empfiehlt. Wenn der Song womöglich etwas Besonderes darstellt, hören wir ihn uns selbst an.

      Ein Grund für die damalige Stärke und Position der Verleger lag im Defizit der Singer/Songwriter, da damals weniger Menschen dieser Berufung nachgingen. Zudem gab es noch die klare Unterscheidung zwischen dem Interpreten und dem Komponisten. Die Interpreten befanden sich auf ständiger Suche nach gutem Material, und die Komponisten taten ihr Möglichstes, ihre