treffen.
Die Fusionsidee wird auch in der Folgezeit immer mal wieder aus dem Sumpf progressiver Verirrungen herauskriechen; Namen wie Ekseption, Beggar’s Opera, New Trolls lassen wir fallen und vergessen sie (soweit es geht) gleich wieder. 1972 wird pop am Ende eines vierseitigen Rundgangs durch die „Klassik in Pop“-Szene fragen, „ob die vielen Gruppen, die sich an die Sinfonieorchesterwelle angehängt haben, dies aus billiger Effekthascherei tun oder ob ihnen die Verarbeitung des klassischen Elements in der Popmusik wirklich ein Anliegen ist“. Und auch über diese Frage wollen wir uns nicht den Kopf zerbrechen.
„Es war eine wunderbare Zeit, um Musiker zu sein, und es war wirklich unglaublich aufregend“, läßt sich Jon Lord zum Jahr 1969 zitieren, „denn es gab keine Regeln.“ Damit könnte er, genau betrachtet, sogar recht haben.
So sieht also Jon Lords Leben in den folgenden Sommerwochen aus: Auftritte, Proben, Proben, Auftritte, und in den knappen Freizeiten sinniert er in seiner Wohnung über dem Werk. „Ich kam um zwei Uhr nachts nach Hause, setzte eine Kanne Kaffee auf und arbeitete bis zum Morgen durch.“ Augenzeugen beschreiben den äußerlichen Zustand des Organisten zu jener Zeit als mindestens besorgniserregend. An den Wänden hängen, als hätte jemand versucht, mit Reißnägeln und Tesafilm zu tapezieren, Zettel über Blätter, Blätter über Zettel – alles Partiturnotizen, die nur ein Mensch in einen Zusammenhang zu bringen vermag. Harvest-Boß Malcolm Jones, bei dem Deep Purple seit einer guten New Musical Express-Kritik für „Hallelujah“ einen großen Stein im Brett haben, ist von der Idee begeistert – auch weil er selbst 1968 als Produzent der „Verrockung“ von Alexander (Aram) Chatschaturjans „Säbeltanz“ durch Dave Edmunds’ Band Love Sculpture einen Hit gelandet hat und in der Klassik-Rock-Fusion einiges Potential wittert. Tony Edwards bekniet Ben Nisbet, den Chef des Musikverlags von Deep Purple, um die Telephonnummer des Dirigenten und Komponisten Malcolm Arnold, mit dem Nisbet persönlich befreundet ist. Er soll Jon Lord beistehen und seine Erfahrung mit Experimenten einbringen.
Das musikalische „Ziel“ des Concertos, an dem Lord und Arnold basteln und das schließlich auf einhundertdreißig Notenblätter anwächst, ist ein grundständiges und simples: Es geht zunächst nur darum, die verschiedenen instrumentalen und kollektiven Umgangsarten von Rockband und Orchester irgendwie zusammenzuführen. Der Zweck diktiert den Inhalt; weitergehende Themen, Ansprüche, Narrationen und so fort können, wenn alles einigermaßen hinhaut, in eventuellen Folgewerken angegangen werden – falls alles einigermaßen hinhaut … Lord ist in solcher Eile, daß er die meisten seiner Ideen direkt aufs Papier kritzelt, ohne zur Überprüfung auf Tasten zu drücken. „Die Kompositionsarbeit war nicht leicht“, sagt er hinterher, „aber sie hat mir soviel Freude gemacht, daß ich sie auch nicht schwierig nennen möchte. Die Sache ist notwendigerweise derivativ, aber, wie ich hoffe, auf meine eigene Art ausgearbeitet. Sicherlich ist alles enthalten, was mich beeinflußt hat.“ Welch wichtige Rolle Malcolm Arnold dabei spielt, verschweigt Lord nicht: „Hätte er gesagt, das sei Mist, wäre die ganze Sache gestorben. Aber er fand es gut. Ich hatte noch nie einen so offenen, hilfsbereiten Musiker getroffen. Ich schickte ihm ein paar Seiten und bekam einen Brief zurück: ‚Fabelhaft! Mach weiter so, Junge!‘ Ohne ihn wäre ich verloren gewesen.“
Begeistert von dem krausen Unternehmen sind schon im Vorfeld nicht alle – am wenigsten, wie man sich denken kann, Ritchie Blackmore, der mit Grummeln und Grollen in unterschiedlichen Tonlagen registriert, daß sein Organist wichtigen Proben im Hanwell-Haus fernbleibt. Daß bereits Anfragen für ein Nachfolgewerk vorliegen, weiß er wahrscheinlich noch gar nicht; daß er sich für die mangelnde Rockband-Arbeitsmoral des Mannes, den innerhalb wie außerhalb die meisten als zweite Hälfte der janusköpfigen Deep-Purple-Betriebsleitung wahrnehmen, beizeiten rächen wird, ist hingegen so gewiß wie das A auf der zweiten Gitarrensaite von oben.
Tony Edwards und John Coletta wiederum sind an musikalischen Belangen berufsbedingt wenig interessiert. Für sie zählt nur eins: Deep Purple verkaufen keine Platten mehr, weil sie einen schlechten Ruf haben und weil die Medien sie weniger schmähen als ignorieren, und folglich muß man den Medien etwas geben, was sie nötigenfalls schmähen, jedenfalls aber nicht ignorieren können. Der Plan geht auf, und die BBC kann sogar dafür gewonnen werden, das ganze Unternehmen für eine spätere Fernsehausstrahlung zu filmen, was die in den Bereich der Ungeheuerlichkeit hineinschwappenden Kosten – die Erlöse aus dem Kartenverkauf sollen „wohltätigen Zwecken“ zugeführt werden – auf mehr Schultern verteilt.
Der teuerste Posten in der Kalkulation ist das Orchester selbst, daher werden die Probentermine auf das absolute Minimum dessen reduziert, was die betriebswirtschaftliche Fraktion für nötig hält. Die musikalische Fraktion trägt den Nervenschaden. „Desaströs“ seien die wenigen möglichen Durchspielungen des nach wie vor flickenteppichartigen Gesamtwerks gewesen, klagt Jon Lord. „Keiner von uns konnte Noten lesen“, fügt Roger Glover nicht unamüsiert hinzu, „daher bestanden unsere Manuskripte aus Sachen wie: ‚Warte auf die komische Melodie, schau auf Malcolm, und zähl bis vier.‘“
Die nichtelektrifizierten Musiker sind nicht ohne weiteres bereit, ihre Vorbehalte wegen der Bezahlung über Bord zu werfen. Während der Instruktion erhebt sich eine Cellistin und macht deutlich, sie habe keine Lust, mit „zweitklassigen Beatles“ herumzududeln. Jon Lord ist den Tränen nahe. Auch auf der anderen Seite hält sich die Kooperationsbereitschaft (und -fähigkeit) in Grenzen: Während das Orchester dem Dirigenten folgt, treibt Ian Paice seine rockende Herde an, deren Verstärker überdröhnen die Streichbemühungen, und die resultierenden Taktverschiebungen führen dazu, daß Deep Purple, als das Orchester die letzte Note spielt, schon einige wesentliche Sekunden lang fertig sind. „Orchester“, wird Ian Paice 1984 rückblickend konstatieren, „spielen nicht gleichmäßig. Wir spielen auf dem Taktschlag, sie auf der Hebung dazwischen. Das ist ein Unterschied von einem Sekundenbruchteil, und dadurch sind sie immer zu spät dran. Da kann man nichts ändern, es ist einfach so.“ Auch eine Erklärung.
Malcolm Arnold, der Lord inzwischen überredet hat, den zwei Sätzen seines Werks noch den üblichen dritten beizufügen, tut das seine, um die Differenzen zu überbrücken. Als beim dritten Durchlauf die Arbeitsmoral des Orchesters einem hörbaren Tiefpunkt entgegensteuert, bricht er die Probe ab und gerät aus dem Häuschen. „Ich weiß nicht, was Sie da zu tun glauben!“ brüllt er unter heftigem Stabfuchteln in den Graben hinein. „Man hält Sie für das beste Orchester in ganz Großbritannien, aber Sie spielen wie ein Haufen Arschlöcher! Offen gesagt sind Sie nicht würdig, mit diesen Männern gemeinsam auf der Bühne zu stehen, also reißen Sie sich zusammen, und lassen Sie uns hören, ob Sie Eier haben!“
Dann bricht der Abend des 24. September 1969 heran, Malcolm Arnold schärft dem Orchester bei der finalen Probe ein, heute werde man „Geschichte machen“, und die altehrwürdige Royal Albert Hall füllt sich mit einem neugierigen Gemisch aus solchen, die noch nie in einer derartigen Halle waren und jenseits von gewissen Popsingles auch noch nie einen Geigenton vernommen haben, und solchen, für die das Wort Rockmusik per se ein Oxymoron von gigantischer Tragweite darstellt. Malcolm Arnold stimmt letztere mit der Uraufführung seiner Sechsten Sinfonie gewogen, Deep Purple sorgen danach als Band mit dem Drei-Nummern-Set „More Shades of Deep Purple“ („Hush“, „Wring That Neck“ und die noch dampfend frische Neukomposition „Child In Time“, die den notwendigen Ernst verstrahlen soll) für Ausgleich, und endlich, nach einer Pause samt Verlosung, kommt es zur Fusion, in einer Atmosphäre der Erwartung, wie sie Jon Lord eigenen Worten zufolge „nie zuvor und danach erlebt“ hat.
Es geht, zumindest technisch, alles glatt, abgesehen von der erwarteten Rache Ritchie Blackmores, der sein Solo im ersten Satz weit über den geplanten Zeitrahmen (neunzig Sekunden) hinaus dehnt und Jon Lord minutenlang befürchten läßt, nun breche alles zusammen, ehe er dann nonchalant dem Orchester doch noch die verabredete Anschlußfigur zuwirft. Ian Gillan seinerseits hat die wochenlangen drängenden Ermahnungen Lords, nun endlich mit den benötigten Texten rüberzukommen, erst beim Mittagessen am Aufführungstag befolgt und auf ein paar Servietten gekrakelt, was er zu singen gedenkt. Oder sagen wir: beim Mittagtrinken, denn er und Malcolm Arnold haben während der Proben eine gemeinsame Vorliebe für roten Wein jeder Provenienz entdeckt, die sie nun derart vehement umsetzen, daß für die Aufnahme fester Nahrung kaum Zeit bleibt. „Ich hatte ihn jeden