Jürgen Roth

Deep Purple


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The Detours, die später High Numbers und endlich The Who heißen sollten. Anfang 1966 wechselte Simper für ein paar Wochen zu Dave Langstuns Band Cyrano & The Bergeracs, deren Organist ihm im Mai beiläufig erzählte, Johnny Kidd brauche eine neue Piratenbande, weil die alte Mannschaft wegen Lohnstreitigkeiten gekündigt habe. „Kidd war mein Idol, also ging ich mit unserem Schlagzeuger Roger ‚Truth‘ Pinner hin, klopfte einfach bei ihm an und sagte: ‚Wir sind die Pirates!‘ Er antwortete: ‚Ihr habt mir das Leben gerettet!‘“

      Vier Monate lang war Simper mit Kidd auf Tournee, dann kam der Sänger bei einem Autounfall ums Leben. Als die erste und letzte Single von Johnny Kidd & The New Pirates erschien, „Send For That Girl“, lag Simper, der mit im Auto gesessen hatte, mit einem gebrochenen Arm im Krankenhaus, verdiente danach sein Geld als Sessionmusiker für den Soulsänger Bobby Hebb („Sunny“) und spielte mit den überlebenden New Pirates als Trio weiter, wobei er nun selbst den Gesang übernahm. Im Sommer 1967 begleiteten er und Schlagzeuger Carlo Little die Sängerin Billie Davis nach Hamburg, wo er Ritchie Blackmore wiedertraf und dieser die Gründung einer gemeinsamen Band vorschlug. Und alles Weitere wissen wir bereits.

      Das könnte man sich absurder wirklich nicht ausdenken: Sieben oder zehn oder wer weiß wie viele Leute, die teilweise zusammengehören, teilweise noch nicht oder schon oder nicht mehr, von denen aber vor allem keiner über irgendwas mit dem Falschen reden darf; eine wahrhaft wahnwitzige Verschwörung, eine Omertà im Spiegelkabinett. Oder ein Komödienstadel, in dem die Darsteller die Pointen nicht mitkriegen und das Publikum nicht lachen darf. „Das“, sagt Roger Glover, „war der Modus operandi bei Deep Purple: Wenn es ein Problem gibt, sprich nicht darüber!“

      Die gleichzeitigen Tourneetrosse von Deep Purple und Episode Six, die den Juni über durch Großbritannien ziehen, treffen sich schon am ersten Tag, dem 10. Juni – fast. Da spielen beide in Cambridge, allerdings an verschiedenen Colleges. Die Koinzidenz trägt nicht dazu bei, die schäumenden Wogen zu glätten, die allerdings nur in einem der beiden Lager wirklich schäumen – im anderen herrscht ja klandestine Trioverschwiegenheit gegenüber der Duofraktion. Episode-Six-Managerin Gloria Bristow ist derart sauer, weil ihr nun nach dem Sänger auch noch der Bassist geklaut wird, daß sie ernsthaft erwägt, HEC auf Schadensersatz zu verklagen. Tony Edwards empfiehlt Gillan und Glover in einem vertraulichen Gespräch am Bühnenrand, sich soweit wie möglich von ihrer bisherigen Arbeitgeberin fernzuhalten.

      Auf der anderen Seite buckeln Rod Evans und Nick Simper brav weiter, für ein bißchen Taschengeld und anderer Leute Zukunft. Am 12. Juni versammelt sich die neue Besetzung konspirativ im Studio zu Schleifarbeiten an „Hallelujah“. Gillan ergibt sich schon jetzt in eine Arbeitnehmerposition: „Der Song war mir dermaßen peinlich!“ Vier Tage später findet man sich im Hanwell Community Center zur ersten regulären gemeinsamen Probe ein. Jon Lord – der, wie Roger Glover in seinem Taschenkalender notiert, Gillan und ihm je zehn Pfund „Honorar“ bezahlt – kommt zu spät, und so wird die Probe nach einer kurzen Jam Session auf den nächsten Tag verlegt. Den Abend danach verbringt man wiederum im Studio, aber diesmal kriegt Gloria Bristow mit, was da läuft, und erhöht prompt die Ablösesumme. John Coletta, soeben aus den USA von langwierigen Nachverhandlungen und Abrechnungen mit dem klammen Geschäftspartner Tetragrammaton zurückgekehrt, ist einigermaßen von den Socken, als er auf seinem Schreibtisch eine Notiz findet, „von jemandem namens Gloria Bristow, die mich beschuldigte, zwei ihrer Musiker gewildert zu haben. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer Ian Gillan und Roger Glover überhaupt waren.“

      Und nun führt halt endlich doch kein Weg mehr daran vorbei, sich zu erklären, zumal Nick Simper schon von Freunden angesprochen worden ist: „Man hört, du bist nicht mehr bei Deep Purple.“ Und Deep Purple wären nicht Deep Purple, wenn sich jemand herabgelassen hätte, unter vier oder sechs oder nötigenfalls auch zehn beteiligten und betroffenen Augen ein klares Wort zu äußern. Die Neuigkeit von der Abwicklung dessen, was wir vorauseilend „Mark I“ nennen wollen, erscheint in der letzten Juniwoche in der Londoner Underground-Gazette International Times. John Coletta, seit zwei Tagen zurück aus den USA, sitzt in seinem Haus in Brighton gemütlich am Schreibtisch und blättert in anderen Blättern, als vor dem Haus ein erbostes Reifenquietschen ertönt: „Es war Nickys Jaguar, und Rod und er hauten mir die ganze Geschichte um die Ohren … blam, blam, blam! Ich habe sie dann zum Abendessen eingeladen und ihnen dargelegt, daß die anderen drei sich eben entschieden hätten, basta. Ich machte ihnen klar, daß ich nicht das Recht hatte, Musiker zu heuern und zu ­feuern, das war Sache der Band.“

      Einen Teil seines Zorns vergießt Nick Simper auch über Mick Underwood, der ziemlich entgeistert argumentiert, er würde Ian Gillan nie empfohlen haben, wenn er gewußt hätte, daß sein Tip Simper den Job kostet. Fast fünfzehn Jahre später wird Simper noch immer grollend tönen, er sei der beste Bassist gewesen, den Deep Purple je hatten; und abgesehen davon, daß die Auswahl so groß nicht ist, mag das schon sein, aber es muß eben jeder Bandmusiker früher oder später einsehen, daß es nicht darauf ankommt, wie gut einer im einzelnen ist, außer er hieße Blackmore.

      Während die auslaufende Altbesetzung zu einem Konzert in Brüssel weilt, unterschreibt Roger Glover seinen Vertrag mit HEC und erhält einen nicht eben üppigen Vorschuß auf künftige Einnahmen, der aber ausreicht, um zwei Pfund Anzahlung für eine neue Akustikgitarre zu leisten. Die Zeiten sind hart, muß er sich von Edwards und Coletta erklären lassen. Zur Feier des Tages leiht er sich fünfundzwanzig Pfund von seiner Stiefschwester und kauft sich eine Wild­lederjacke – „das Teuerste, was ich mir je gekauft habe, abgesehen von Gitarren und Verstärkern“, wie er sich 1971 erinnert und gleich hinzufügt: „Ich lege nicht allzuviel Wert auf Geld.“

      Die Zeiten sind nicht nur hart, sondern auch höchst konfus, was wiederum das Verdienst der traditionsreichen Firma EMI ist. Die hat Deep Purple inzwischen auf ihrem neugegründeten Progressiv-Label Harvest untergebracht, gegen den Willen von Harvest-Gründer Malcolm Jones, der Deep Purple für eine anspruchsvolle Zirkusband für den US-Kommerzmarkt hält, und im Juli endlich doch noch The Book Of Taliesyn in Großbritannien veröffentlicht – eine Woche nachdem in den USA das nächste Album erschienen ist. Am 4. Juli 1969 spielen Deep Purple zum letztenmal in alter Besetzung. Evans und Simper erhalten drei Monatsgehälter als Abfindung und dürfen sich entscheiden, ob sie weiterhin Tantiemen für die ersten drei Langspielplatten kassieren oder sich mit einer Einmalzahlung zufriedengeben möchten. Simper wählt den Gerichtsweg und streitet viele Jahre, Evans bleibt bei seinen Tantiemen und kommt besser weg – bis 1980; dazu kommen wir beizeiten noch.

      Musikschaffend bleiben – zunächst – beide. Evans gründet mit Larry Rheinhart, Lee Dorman (beide zuvor bei Iron Butterfly) und dem Ex-Johnny-Winter-Drummer Bobby Caldwell die Prog-Rock-Combo Captain Beyond. Nick Simper schließt sich Marsha Hunts Tourneeband an, aus der, während die Sängerin ihr Kind von Mick Jagger austrägt, Warhorse entstehen: Drummer Mac Poole, Gitarrist Ged Peck und Simper engagieren Sänger Ashley Holt und den jungen Keyboarder Rick Wakeman, um in die Fußstapfen von Deep Purple zu treten, ersetzen Wakeman bald darauf durch Frank Wilson von Rumble und nehmen für Vertigo ein hochgelobtes Album auf, dem ein weiteres, Red Sea, folgt. Großer Erfolg ist keinem der Projekte beschieden, und schließlich haben beide Ex-Pur­plisten die Nase voll und lassen das Musikgeschäft hinter sich. Evans studiert Medizin, Simper eröffnet mit Carlo Little einen Gemüseladen in Wembley.

      „Sie spielen wie ein Haufen Arschlöcher!“

      Das fünfte Kapitel, in dem eine Band zwischen Heavy-Rock-­Improvisationen und Orchestergraben ihre Identität sucht und sie dabei (fast) vollständig verliert

      Mich hat etwas an Zok Zokkers Platten­besprechung zur letzten Principal-Edward’s-Magic-Theatre-Platte gestört. Ich darf zitieren: „Die erste Seite bringt Rock in Verbindung mit klassischen Elementen“, und dann bringt Herr Zokker in leger abwertendem und pejorativem Tonfall den Satz: „allerdings nicht in reproduktiver Weise à la Deep Purple, Nice oder ELP“. Ich streite Zok Zokker das Recht ab, diese Unterstellung ohne Beweise und Erläuterungen anzubieten.

      Leserbrief in Sounds, Mai 1971

      Am 10. Juli 1969 stellt die Firma Deep Purple im Speakeasy in der Londoner Margaret Street, dem derzeit angesagtesten Treffpunkt für alle, die sich irgendwie mit Rockmusik befassen,