Grant Morrison

Superhelden


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Jimmy zügig aus dem Staub machte. Das Durcheinander war an Absurdität kaum zu toppen. Dies waren Geschichten, die sich so nie in der realen Welt zutragen würden, sogar wenn es einen Superman gäbe. Dies war nun eine ganz eigene Welt, die wuchs, immer gewitzter und durchdachter wurde.

      Curt Swan zeichnete den jungen Reporter mit seinem Make-up und seiner Perücke als hinreißende Schönheit. Mit hohen Absätzen und Strümpfen sah Olsen aus, als ob er aus einem Video der Pussycat Dolls entsprungen wäre. Darüber hinaus gab es ein paar herrlich verwirrende Panelen, in denen Olsen, ohne Perücke, sich mit Superman unterhielt, während er immer noch zwanglos mit einem pinken Bademantel bekleidet war, flauschige Slipper trug und Filmstar-Make-up im Gesicht hatte. Und war das nicht auch okay, wenn es für Olsen okay war? Ich wuchs mit dem Konzept von Olsens verschiedenen Verkleidungen auf bzw. mit der Vorstellung, sowohl den Körper als auch die eigene Identität als eine Art Leinwand zu gebrauchen. Als ich mir den bisexuellen, chamäleonhaften Jerry Cornelius aus den Romanen Michael Moorcocks als Vorbild auserkor, wandelte ich auf den Spuren Jimmy Olsens. Olsen spielte in Bands, genau wie ich. Olsen war unbekümmert und unvoreingenommen, sogar in den Fünfzigern, und so war ich auch drauf. Wenn es für Supermans Kumpel passte, dann war es auch okay für mich. Klarerweise wurden diese Storys von verkommenen Perversen verfasst, die beabsichtigten die Jugend zu pervertieren. Ihr Erfolg dabei ist nicht von der Hand zu weisen.

      Die Geschichten des Olsen-Transvestiten scheinen tief in der Underground-Welt der Pornoheftchen und Bondage-Comics eines Ed Stanton verwurzelt zu sein, dessen Studio auch einen gewissen Joe Shuster, seines Zeichens Supermans Erfinder, beschäftigte. Ihre Sprache erinnerte an Geschichten wie Panty Raid und andere Transgender-Erzählungen aus den Fünfzigern, in denen stattliche junge Sportskanonen mehr erlebten als ihnen lieb war, und ein kleiner Ausflug in die Studentinnenverbindung mit einer unfreiwilligen Einführung in die Freuden von Mädchenunterwäsche und Make-up endete. Der Unterschied bestand darin, dass Olsen die Kontrolle über seine Verwandlungen behielt und nie länger als ein paar Seiten warten konnte, wieder damit loslegen zu dürfen.

      Zur selben Zeit wurde Supermans Verhalten gegenüber Lois immer gemeiner und misogyner, zeigte geradezu krankhaften Frauenhass, während sie im Gegenzug immer zänkischer und schnüfflerischer wurde. Es war schwierig, diesen oft flegelhaften, doppelzüngigen Grobian von einem Mann mit irgendeiner Vorstellung von Superman in Verbindung zu bringen, und doch war es offensichtlich er, der sie da schamlos beschwindelte und ihre Hochzeitsträume immer und immer wieder platzen ließ, was sie regelmäßig zur Weißglut trieb.

      Supermans Angst vor Hingabe und Verantwortung war ein signifikantes, vielleicht sogar dominantes Merkmal seiner Abenteuer während des silbernen Zeitalters. Es war so, als ob die gesammelten Ressentiments der Männer der Fünfzigerjahre, die gerade wieder zurück aus den Aufregungen des Kriegs, zurück in ihren Jobs und ihren Häusern in der Vorstadt waren, aus den Seiten der Superman-Comics triefen würden. Dies war nie offensichtlicher als auf dem Coverbild von Superman’s Girl Friend, Lois Lane #73, das sich eigentlich jeder Beschreibung entzieht. Die zugehörige Story war im Vergleich relativ harmlos, aber Weisingers Fähigkeit, jedes noch so unansehnliche Stück Kohle aus den Tiefen des Unterbewussten zu Tage zu fördern und zu einem Edelstein von einer Idee zu schleifen, war nie offensichtlicher als hier. Dies war ein Jung’scher Stuhlgang, der als Kindergeschichte aufbereitet worden war.

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      Dieses Bild, das Jungs zeigte, was sie wohl von ihren zukünftigen Freundinnen zu erwarten hatten, war auf seine Weise obszöner als alles, was Jugendliche heutzutage an ausgeflippten Sexpraktiken aufgrund langweiliger Internet-Pornografie von Frauen erwarten.

      Wenn wir noch einmal – entweder ungläubig oder amüsiert – auf dieses absonderliche Bild blicken, müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, dass nur 10 Jahre vorher Lois Lane eine ziemlich respektable Reporterin war, während Jimmy Olsen als glaubwürdiger junger Fotograf dargestellt wurde. In diesem Kontext wirken diese Abbildungen, diese Reflexionen der amerikanischen Schattenseiten, umso provokativer.

      Entsprach dies Weisingers eigenen Abgründen oder jenen seiner Schreiber? Er war immerhin berüchtigt für seine fiese Art. War der Superman der Fifties ein Produkt seiner Zeit, eine Gegenreaktion auf die Emanzipation sowie eine Manifestation des männlichen Bedürfnisses, die Mädels zurück in die Küchen und die Schlafzimmer zu drängen, bevor sie es zu ernst damit nahmen, Flugzeuge zu bauen, wählen zu gehen oder sogar Comics zu fabrizieren? Oder war es eher der Versuch, Supermans Einstellung gegenüber Mädchen – „Igitt, Mädchen!“ – so darzustellen, dass sich ein Zehnjähriger damit identifizieren könnte? Superman und seinen Wegbegleitern war beides zuzutrauen. Sie mussten sich ständig anpassen, um ihr Überleben garantieren zu können. Als Konzepte konnten sich die Superhelden verändern, um den Ängsten und Fantasien der Nachkriegsgeneration und seinen unzähligen Kindern zu entsprechen. Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund für die Gemeinheiten in den Mann-Frau-Beziehungen der Superhelden-Comics dieser Zeit. Wie der Comics Code dezidiert festhält:

       Leidenschaft und Romantik sollen in ihrer Darstellung nie die niederen Gefühle und Triebe stimulieren.

       Die Darstellung von Liebe und Romantik soll den Wert des Heims und die Heiligkeit der Ehe betonen.

      Die jungen Männer und Frauen, die diese Comics zeichneten, waren keine Narren – sie waren Künstler, deren Ausdrucksform zu dieser Zeit wie niemals zuvor oder danach marginalisiert und verachtet wurde. Möglicherweise rächten sich diese Außenseiter an der Gesellschaft, indem sie den verstockten Machtstrukturen, die sich hinter den minutiös getrimmten Vorgärten, den gestärkten Hemden und Kochschürzen der Fünfziger verbargen, den Spiegel vorhielten. Vielleicht waren die wirren Existenzen der Superhelden des Silbernen Zeitalters ja ein absichtlicher Versuch, Sozialkritik und Satire unterzubringen. Die Comics hielten sich penibel an die Vorgaben des Comics Codes und stellten gleichzeitig die Beziehungen der Nachkriegszeit als Brutstätten der Abnormalität dar, in denen Frauen zänkische Weiber und Männer ewige, verantwortungsscheue Jungs waren.

       Auf einem Cover, das mir besonders gefällt, muss Superman mitansehen, wie seine Freundinnen Lois und Lana an ihm vorübergehen, wobei beide einen antiken Muskelmann am Arm haben.

      „LOIS! LANA!“ ruft Superman. „WAS MACHT IHR MIT ATLAS UND SAMSON?“

      „WIR SIND AUF DEM WEG ZUM STANDESAMT!“, antwortet ihm Lois voller Stolz. „ICH WERDE MRS. HERCULES!“ „UND ICH WERDE MRS. SAMSON!“, fügt Lana hinzu. Es war eine klare und unvergessliche Ansage an die jungen Leser: Das passiert, wenn du keine Entscheidungen treffen kannst oder dich nicht auf eine Beziehung einlassen willst. Samson spannt dir dein bestes Mädchen aus. Und Superman stand vor der Frage, ob er sich auf moderne Zeiten einstellen könnte. War er wirklich nicht besser als diese beiden archaischen Kraftprotze?

      Um die Ironie noch zu verstärken: Auch Mädchen lasen diese Comics. Abgesehen von den ganzen Untertönen bezüglich Angst vor Verpflichtungen und Frauen, die den Männern ihre Unabhängigkeit rauben würden, übte die Energie hinter den Geschichten auch eine Anziehungskraft auf Mädchen aus, denn es waren schließlich Storys über Beziehungen und starke Gefühle. Das machte sie populär bei beiden Geschlechtern. Diese Geschichten ließen den hart gepanzerten Körper des Supersoldaten und patriotischen Kraftprotzes schmelzen. Superman lag auf der Couch des Psychoanalytikers, ließ nach 20 Jahren die ganze Abnormität, alle Fremdartigkeit aus sich heraus. Amerika befand sich ja auch in Behandlung – und neben den vielen Einsichten in die Psyche, die sich dadurch ergaben, drang auch viel Gift an die Oberfläche. Ängste wurden wie Beulen aufgestochen, was sich in der Kunst, der Musik und der Popkultur dieser Zeit manifestierte.

      Die Outsider-Kultur – in Gestalt von Lenny Bruce, den Beats und den Bohos – entwickelte eine neue Sprache, um auszudrücken, was bis dahin die Gedanken der Menschen bis spät in die Nacht beschäftigt hatte, in einer Welt, die kaum jemals Sinn ergab. Sie sprachen Dinge aus, die jeder kannte, die aber noch nie jemand gewagt hatte zu artikulieren, weil allgemeine Einigkeit bestand, dass sie tabu waren. Eine neue Bereitschaft – eine speziell amerikanische Bereitschaft – von Randphänomenen zu lernen, anstatt sie zu verhöhnen, öffnete das Land gegenüber seiner Sexualität, seinen Ängsten und Fantasien