Grant Morrison

Superhelden


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Der Zukunft konnte man sich nicht verschließen.

      Fifties-Superman verkörperte bereitwillig jegliche menschliche Angst in unserem Namen: In einer Abfolge früher Comics des Silbernen Zeitalters wurde er nacheinander monströs fettleibig, wuchs ihm ein Insektenkopf, verwandelte er sich in Frankensteins Monster, einen löwengesichtigen Ausgestoßenen, einen emotionslosen „Zukunftsmenschen“ und einen senilen Tattergreis, der mithilfe eines Gehstocks flog.

      In diesen Geschichten musste Superman die Schrecken des Anders-Seins, des Alterns, des Mutierens, jegliche denkbare Deformation, vor der sich der amerikanische Normalverbraucher fürchtete, durchleben. Oft schien es, dass das Schlimmste, was man in Supermans Welt sein konnte, nicht etwa ein Monster oder ein schurkisches Genie wäre, sondern alt, fett oder kahlköpfig. Jede neue Transformation infizierte ihn mit einem typisch menschlichen Leiden. Der Muskelmann wurde langsam weich und konnte nicht länger seine Form halten. Um zu überleben, musste er ausharren, den unweigerlichen Verlauf des Zyklus abwarten, der ihn in die Normalität innerhalb der hierarchischen Strukturen des Daily Planets zurückbringen würde und ihn mit Supermans Superleben, seinen Superhaustieren und Festungen, Zeitmaschinen und außerirdischen Verwandten wiedervereinigen sollte.

      Und das betraf nicht nur Superman: Sein gesamtes Ensemble musste sich den unmenschlichen Kräften der Transformation unterziehen, Monat für Monat. Lois Lane verwandelte sich in die Hexe von Metropolis – ein weiblicher Dämon, der Superman mit Flüchen belegte – oder in Phantom-Lois, Baby-Lois und sogar in Super-Lois. Die vertrauten Gesichter der Besetzung wurden grotesk, unterliefen zyklische Prozesse, in denen ihre Grundkonzepte auf die Probe gestellt wurden – so wie Kinder ein Gummiband überspannen würden: sehr weit, nicht zu weit, aber beinahe. Die Protagonisten lernten ihre Lektionen und vergaßen sie wieder rechtzeitig bis zur nächsten Ausgabe, damit dieselben Lektionen von vorne durchgekaut werden konnten. Dies war eine Welt der Träume und der Komplexe, ein Grenzgebiet von Freuds Unterbewusstem, wo der Körper formlos und Verwandlungen unterworfen war.

      Der Superman der Weisinger-Ära war eine bemerkenswerte Meisterleistung in puncto Vorstellungskraft und Neuerfindung. Jerry Siegel selbst stellte sich der Herausforderung und führte sein Konzept jenseits jeglicher Grenzen. In schönen Geschichten wie „Superman Rückkehr nach Krypton“, erreichte er neue stilistische Höhepunkte, die er selbst nur schwer übertreffen konnte. Wie der Titel nahelegte, erlaubte es Superman eine Zeitreise, in die Welt seiner Geburt vor ihrer Zerstörung zurückzukehren. Dort, unter der roten Sonne Kryptons, um seine Superkräfte erleichtert, trifft er seine Eltern als junges Paar. Und er trifft seine Seelenpartnerin in der atemberaubenden kryptonischen Schauspielerin Lyla Lerrol, deren Leben genauso todgeweiht ist wie das aller anderen auf dem Planeten.

      „ABER DIE FLAMMEN INNERHALB DES PLANETEN SIND WIE KALTE GLETSCHER VERGLICHEN MIT DEM MÄCHTIGEN FEUER DER LIEBE ZWISCHEN SUPERMAN UND LYLA LERROL VOM KRYPTON.“

      Die Szenen, die Jor-El, Lara, Lyla und Kal-El beim Anstoßen auf die Zukunft zeigen („EGAL, WAS DIE ZUKUNFT BRINGEN WIRD!“) hatte den bittersüßen Beigeschmack von Schulfotografien, die man im mittleren Alter wiederentdeckt. Als Superman gezwungen ist, eine schluchzende Lyla zurückzulassen, um in seine eigene Zeit zurückzukehren, war eine neue Art von Superman-Geschichte geboren. Es waren nicht länger politische Fantasien oder Propaganda und auch nicht – wie etwa bei späteren Comic-Superhelden – Anzeigetafeln von gegenseitig aufeinander verweisenden Kontinuitäten. Diese Geschichten hatten die einfache Wirkung von Volksmärchen. Sie waren gegenüber der eigentlichen Zielgruppe, Kindern, niemals von oben herab erzählt, noch hielten sie sich bei Themen wie Sterblichkeit, Trauer, Eifersucht oder Liebe zurück.

      Dann gab es noch die sogenannten imaginären Geschichten, die sich nicht in den Kanon der offiziellen Superman-Storys (in den Comics selbst als „real life“ bezeichnet) einordnen ließen. In diesen Geschichten verfolgte man interessante „Was wäre wenn?“-Szenarien, um einen komischen oder tragischen Effekt zu erzielen: Was wäre, wenn Superman Lana Lang geheiratet hätte? Was wäre, wenn Lex Luthor Superboy als seinen Sohn aufgezogen hätte? Was wäre, wenn Superman von Batmans Eltern aufgezogen worden wäre und Bruce Wayne Clark Kents Adoptivbruder wäre? Happy Ends waren eher selten, was viele dieser spekulativen Tragödien kraftvoller und einprägsamer machte als die „echten“ Abenteuer.

      Der Superheld hatte sich dem Inneren zugewendet, mit spektakulären erfinderischen Ergebnissen. Indem er sich von der politischen und sozialen Wirklichkeit entfernte, indem er sich dort, wo es zählte – sowohl bei Inhalt als auch beim Personal – bei Captain Marvel bediente, hatten Weisinger und sein Team eine Grenze zu einer Region überschritten, wo Superhelden sich frei entfalten konnten. Nicht länger an die Regeln des Sozialrealismus gefesselt, waren die Geschichten nun frei genug, das zu werden, was die junge Generation wünschte: allegorische Super-Science-Fiction darüber, wie es sich anfühlt, zwölf zu sein. Der Superman der Fünfziger war ein Bewohner und Ordnungshüter der in Primärfarben gehaltenen Welt des amerikanischen Unterbewusstseins, der er darüber hinaus auch Humor und Bedeutung verlieh.

      Weisinger hatte einen vielgestaltigen, dionysischen Geist in Supermans Welt gelassen, welcher dieser Welt starke neue Ideen und frische Wendungen verlieh, sodass Superman rundum erneuert und wiedergeboren in die lysergische Dämmerung der 1960er fliegen konnte.

      Bevor wir nun weitermachen, habe ich noch eine Lieblingsgeschichte aus dieser Zeit, die ich gerne erzählen möchte, weil sie diese Ära und Weisingers Herangehensweise an das amerikanische Drama gut zusammenfasst. Ihr Titel ist „Supermans neue Kraft“. Ihr werdet annehmen, dass sich diese neue Kraft gut in das im Grunde wissenschaftliche Repertoire von Supermans Superkräften einordnen lässt. Vielleicht ist es ja eine Fähigkeit, die ihn Elektrizität kontrollieren lässt, oder sie ist telepathischer Natur. Nein. Schreiber Jerry Coleman, der sich hierbei an Weisingers Anweisungen hielt, und Zeichner Curt Swan hatten etwas anderes im Sinne.

      Supermans neue Superkraft war: Er fand heraus, dass er aus der Handfläche seiner rechten Hand ein stummes, 15 cm großes Superman-Duplikat, in vollem Kostüm, manifestieren konnte. Dieser Mini-Superman hob ohne Erklärung von Supermans Hand ab, um das Böse zu bekämpfen und unschuldige Leben zu retten. Diese Kopie verrichtete ihren Job – wie könnte es anders sein? – noch besser als Superman selbst. Und was noch schlimmer war: Als der Kobold seine Arbeit fortsetzte, verlor der echte Superman seine Kräfte und konnte nur noch dabei zusehen, wie sein Handflächen-Doppelgänger wieder und wieder den Tag rettete und mit all der Zuwendung und Liebe bedacht wurde, die Superman eigentlich gerne selbst geerntet hätte. Analysiert das mal!

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      Samsons Haare, die Ferse des Achills. Sogar die größten Helden brauchten ihre Schwachpunkte, sonst gäbe es ja kein Drama, keine Niederlage, keine Erlösung.

      Wenn Superman nichts verletzen konnte, wie könnte man ihm dann wehtun? Tatsächlich verstanden Weisinger und seine Schreiber das Wichtigste an Superman: dass sein Herz angreifbar und sein Selbstwertgefühl mitunter fragil war. Das „Super“ war der Zuckerguss: Diese Geschichten handelten vom „Man“, dem Mann dahinter, sowie seiner Rolle in der neuen Welt.

      Jedoch: Als der Mann von Morgen beinahe gottähnliche Fähigkeiten erlangt hatte, wurde die Notwendigkeit einer überzeugenden physischen Schwäche immer größer. Zumindest war das die vorherrschende Meinung. Das grünlich glühende Killermineral Kryptonit war 1943 in die Superman-Radiosendung eingeführt worden. Die kontaminierten Überreste von Supermans Heimatplaneten waren in Meteorform – und zwar viel öfter, als man von den Überresten eines weit entfernten Planeten annehmen dürfte – sowie in ausreichenden Mengen auf die Erde gefallen, um Supermans Leben in regelmäßigen Abständen zu gefährden. Als Waffe hatte es symbolische Bedeutung: Der Umstand, dass radioaktive Fragmente seiner alten Heimat für ihn nun giftig waren, bedeutete, dass es kein Zurück mehr gäbe – Superman war ein eingebürgerter Amerikaner, der sich assimilieren musste. Das Letzte, was er bräuchte, waren diese tödlichen Erinnerungsstücke an seinen Herkunftsort.

      Weisinger verstand es, sich in seine jungen Leser hineinzudenken, und führte die Idee ein wenig weiter aus: Wenn es grünes Kryptonit gab, konnte es dann nicht auch andere Farben geben? Die prismatische Aufsplitterung des Farbspektrums begann mit der Erfindung von