Sylke Richter

Eure Liebe


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Haltung.

      Durch die Anmeldung per Telefon oder Mail weiß ich in der Regel vorab, ob es sich um zwei Männer, zwei Frauen, Mann–Frau oder ganz andere Konstellationen wie zum Beispiel Dreier-Settings handelt. Da wir Paartherapeuten immer an der Beziehungsgestaltung arbeiten, ist es irrelevant, wie viele Menschen welchen Geschlechts im Praxisraum sitzen. Die Inhalte und Themen ähneln einander.

      Für eine gute Lesbarkeit und eine angestrebte Gleichberechtigung habe ich mich entschieden, abwechselnd von Männern und Frauen zu schreiben.

      Alles, was Toni sagt, fragt oder beschreibt, ist kursiv gedruckt.

      Toni: Mich würden ja die fünf Phasen oder Entwicklungsstufen, die du vorhin benannt hast, noch weiter interessieren. Ich glaube, das Paar, das ich gerade berate, ist in der zweiten Phase. Sie entdeckt neuerdings Eigenarten an ihm, die ihr vorher gar nicht aufgefallen sind. Zum Beispiel schlürft er seinen heißen Kaffee so lautstark, dass sie sich am liebsten die Ohren zuhalten oder das Zimmer verlassen würde. Sie sind jetzt knapp anderthalb Jahre zusammen.

      Dann ist das Paar aber in einer frühen Phase zur Beratung gekommen. Wie alt sind sie?

      Sie sind Anfang dreißig und kommen so früh, weil sie Angst haben, die ersten Anhaltspunkte für eine Trennung zu übersehen, um noch gegensteuern zu können. Sie wollen alles richtig machen und praktizieren sogar jede Woche die Zwiegespräche. Einer darf eine halbe Stunde über sich und seine Befindlichkeiten reden, der andere hört zu, und dann umgekehrt. Das haben sie in einer Zeitschrift gelesen und finden das gut.

      Zwiegespräche schaden nicht, nur zu. Hauptsache, sie reden von sich selbst und verharren nicht eine halbe Stunde im Vorwurf über den anderen. Aber darüber werdet ihr gesprochen haben. Und: Hauptsache, sie kommen vor lauter Reflektieren auch noch zum Leben, Lieben und Fehlermachen.

      Aber zurück zu den Phasen in langen Partnerschaften. Es gibt verschiedene Überschriften zu diesen Phasen oder Entwicklungsstufen, doch am treffendsten finde ich die von Ursula Nuber (2007, S. 48–59) beschriebenen. Da lese ich die komplexe Themenvielfalt von Differenzierung, Enttäuschung und Entwicklung so schön kurz und knackig bereits in den Titelzeilen.

       1. Du bist ich

      Hier ist die Zeit der Verliebtheit gemeint. Endlich, endlich hat man jemanden gefunden, der einen vollständig versteht. Einen Seelenverwandten, einen Freund. Jemanden, der immer da sein wird. Meistens genügen die beiden Verliebten sich selbst, verschwinden in einer Art Kokon und leben für eine Weile in einer Melange des Gleichklangs. Die Grenzen von du und ich verwischen. Was ich fühle, fühlst auch du, was du denkst, denke auch ich. Verliebt sein ist ein wunderbarer Zustand im Leben, ganz gleich, was vorher war. Das Maß an Geborgenheit, das man in dieser Phase (noch verbunden mit einer Portion Angst vor Abhängigkeit oder Vereinnahmung) erlebt, taucht in der fünften Phase in voller Freiheit wieder auf.

       2. Du bist anders

      Nach einem Zeitraum von ungefähr anderthalb bis drei Jahren verabschiedet sich diese erste Phase einer Beziehung und macht dem Alltag und einer zweiten Phase Platz. Wir erkennen staunend die Andersartigkeit des Partners. Ist die große Nase nicht doch zu groß für den kleinen Kopf? Wenigstens ins Büro könnte sie einen BH anziehen! Der wöchentliche Besuch bei seinen Eltern ist ja irgendwie nett, aber hat er sich schon abgenabelt? Ihr Selbstbewusstsein in allen Ehren, aber könnte sie nicht auch mal zurückstecken?

      Vieles, was man anfangs toll am anderen fand, wird jetzt skeptisch wahrgenommen. Was zunächst faszinierte, wirkt nun störend und kommt auf den Prüfstand. Paare, die sich in dieser Phase befinden, wollen oft nicht wahrhaben, dass das gerade passiert, und sind häufig irritiert. Zweifeln an sich oder noch besser am anderen. Verfallen in aberwitzige Annahmen über die Liebe: Man müsste sich mehr anstrengen. Mehr Zeit miteinander verbringen. Noch näher rücken. Ärger runterschlucken. Enttäuschung auf keinen Fall zeigen! Die Angst, den anderen zu verlieren, ist in dieser Zeit sehr groß. Einer fängt an zu klammern, der andere flüchtet in die Freiheit.

      So irritierend dieser Prozess für die Liebenden ist, so wichtig ist er auch, um den anderen in seiner Ganzheit zu sehen und zu akzeptieren. Mit all seinen Facetten, den dunklen und den hellen.

       3. Du bist nicht richtig

      Hier kommen die Zweifel so richtig in Fahrt: Ist er der Richtige? Ist sie die Richtige? Der andere, der einen doch glücklich machen sollte, ist in Wahrheit ganz anders. Hat er sie getäuscht? Hat sie ihn getäuscht? In dieser Phase kommt es oft zu Vorwürfen und Gegenvorwürfen. Die Umerziehungsphase, wie eine Kollegin diese Zeit auch nennt. Manche Paare bleiben jahrelang auf dieser Stufe stecken, gewöhnen sich daran, dass immer einer unzufrieden ist. Kämpfen. Rechnen auf. Andere trennen sich und wieder andere versuchen es mit einer Paartherapie, weil sie einfach nicht mehr können. Krisen, Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, Distanzierung lösen einander ab. Der Kern der Fragen, um die es bei Paaren in dieser Phase immer wieder geht, lautet: Wie nah kann ich dir kommen, ohne mich selbst zu verlieren? Und: Kannst du mich lieben und so akzeptieren, wie ich bin?

       4. Ich bin ich

      Die Hoffnung, dass der andere einen glücklich macht und einem alle Wünsche von den Augen abliest, ist inzwischen verflogen. Beide sind an ihre Grenzen gekommen, wissen, was der andere zu geben bereit ist und was nicht. Wissen auch von sich selbst besser, was sie zu geben bereit sind und was nicht. Eine Zeit der Ruhe tritt ein. Atemräume, wie ein Kollege so treffend diesen Zustand nennt. Jeder kümmert sich wieder mehr um die eigenen Bedürfnisse und die eigene Entwicklung. Die hohe Kunst ist es, trotz der größeren Unabhängigkeit mit dem anderen in Verbindung zu bleiben. Das Konzentrieren auf das eigene Erleben, die eigene Welt birgt die Gefahr, den Partner aus den Augen zu verlieren. Die Haltung »Ich bin ich« kann dann schnell zu »Ich kann auch ohne dich« kippen. Trennungen sind in dieser Phase nicht selten. Bestenfalls entdeckt man die Partnerin neu, sieht ihr eigenes Leben nicht als Bedrohung oder egoistisches Verhalten, sondern interessiert sich dafür. Manche Paare, die es bis hierhin schaffen, sehen sich wieder mit neuen Augen. Das Stück Fremdheit, das einige Paare brauchen, um den jeweils anderen attraktiv zu finden, blitzt wieder auf.

       5. Du und ich sind wir

      In dieser Phase, nach all den vorangegangenen Kämpfen, sind die Liebenden in der Lage, eine ausgewogene Balance zwischen den Bedürfnissen nach Geborgenheit und Bindung sowie dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit zu leben. Jeder ist sich seiner selbst sicherer und die Beziehung kann nun zu dem Zufluchtsort werden, für die man sie zu Beginn der Liebe gehalten hat.

       Toni: Das bedeutet doch im Grunde, entweder ich lerne seine Andersartigkeit zu akzeptieren oder es geht nicht?

      Wenn es zu viel gibt, was dich stört und womit du nicht leben kannst, also zu wenig von dem, was dich anzieht, passt es in der Tat manchmal einfach nicht. Deshalb gibt es viele Trennungen bereits nach zwei bis drei Jahren. Und man darf den Tanz um die Nähe-Distanz- Themen nicht vergessen. Die müssen erst mal getanzt werden.

       Wenn ich an ein befreundetes Paar denke, sie sind sechs Jahre zusammen, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass sie diese Phasen durchgemacht haben. Sie wirken super harmonisch. Da gab und gibt es keine Vorwürfe. Niemals!

      Wir reden ja über Paartherapie. Paare, die sich arrangieren und einrichten in welcher Phase auch immer, werden wir in der Praxis nie sehen. Wo keine Not ist, gibt es keinen Auftrag für uns. Aber eine andere neugierige Frage: Wie findest du deine Freunde in ihrer harmonischen Beziehung?

      Sie machen mich oft eine Spur aggressiv.

      Da kannst du mal davon ausgehen, dass es auch bei ihnen eine Spur von Aggressionen gibt. Gut gedeckelt. Wahrscheinlich