Sylke Richter

Eure Liebe


Скачать книгу

alten Gefühle (hier: Aggression) werden in aktuellen Beziehungen oft reaktiviert. Nicht nur in Beziehungen zwischen Therapeuten und Klienten, das ist auch bei anderen Kontakten möglich.

      Sie kommen beide aus ziemlich wüsten Elternhäusern und wollen es auf keinen Fall so haben wie früher bei ihren Eltern. Laut, dramatisch, Türenknallen, stundenlanges Anschreien, bis einer das Haus verlässt. Aggressiv. Sie haben sich also das Gegenteil gesucht.

      Hypothesen, Hypothesen. Und dennoch, trotz aller Sehnsucht nach Harmonie bekommen die beiden ihre alten Themen in einem anderen Kleid geschenkt. Die Aggressionen sind zwar nicht sichtbar, dennoch scheinen sie da zu sein.

      Das heißt, sie müssten lernen, dass es zwischen bedrohlicher Aggression und deckelnder Harmonie noch ziemlich viel dazwischen gibt. Ich schick sie mal zu dir.

      Mit Schicken wirst du nicht weit kommen. Das Nichtgesagte, das Ausgeblendete wird sich irgendwann einen Weg suchen. Einer von beiden wird vielleicht explodieren. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht und sie schaffen es noch viele Jahre, ihre Themen wegzudrücken. Aber alles, was wir hier reden, ist hypothetisch. Könnte so sein oder auch ganz anders.

       Hypothesen sind oft so hilfreich. Ich kann alles, was in mir auftaucht, als Hypothese formulieren und zur Verfügung stellen. Kann es sein, dass …

      Genau, du kannst erst mal alles, was du denkst, zur Verfügung stellen und anschließend müssen die Hypothesen geprüft werden. Wenn sie etwas taugen, wird die Spur weiterverfolgt, wenn sie nichts taugen, fliegen sie über Bord. Und ob sie etwas taugen, wird das Paar entscheiden, nicht wir. Selbst wenn wir zutiefst davon überzeugt sind, dass unsere Hypothese stimmt. Wir müssen sie wieder loslassen, gedanklich flexibel bleiben und mit dem Paar schwingen.

      Okay, soweit verstanden. Machen wir weiter. Ich habe eine erste Frage.

Teil I: Der Beginn

       1Bevor das Paar im Raum sitzt

       Erstkontakt – Gibt es etwas zu beachten?

      Toni: Meine Frage ist, ob es schon etwas zu beachten gib, bevor das Paar bei mir im Raum sitzt.

      Aber ja. Die Kontaktaufnahme wird je nach Beratungskontext immer unterschiedlich sein. Da ich als Selbstständige in einer Gemeinschaftspraxis arbeite, erfolgen Terminanfragen entweder telefonisch oder per Mail. Am Telefon, insbesondere wenn du das Paar noch nicht kennst, ist es empfehlenswert, das Telefonat kurz und organisatorisch zu halten und den thematischen Einstieg zu verhindern. Für den Beratungsprozess ist es viel günstiger, mit beiden Partnern und einem gleichen Wissenslevel zu starten. Lass dir zügig die Mailadressen geben und schreibe beiden gleichzeitig einen Willkommensgruß.

      Per Mail ist der Start noch einfacher, meistens sind die jeweiligen Partnerinnen in Kopie und du kannst mit beiden gleichzeitig kommunizieren. Das, was ausgetauscht wird, zeugt dann von Beginn an von größter Transparenz. Transparenz schützt davor, Geheimnisträgerin zu werden und eventuell in ein Muster des Paares zu tappen.

      Das Ziel sollte von vornherein sein, dass alles, was zur Beziehung der beiden Menschen gehört, auf den Tisch kommt, für alle sichtbar.

      An der Stelle gleich noch eine Anmerkung zur Ansprache. Mit den meisten Klienten bin ich entweder gleich von vorneherein oder spätestens nach der ersten Übung beim Du. Manchmal probieren wir mit einem Augenzwinkern schon an der Tür, was zu uns passen würde: »Kommen Sie herein.« Oder: »Kommt herein.« »Setzen Sie sich.« »Setzt euch.« Und bei einigen Menschen bleibt es die ganze Zeit beim Sie. Ich richte mich da gern nach dem, was die Klienten wollen.

       Toni: Manchmal fragen Klienten ja direkt am Telefon nach, ob sie schon ein bisschen was erzählen sollen oder ob ich vor dem Beginn etwas wissen müsse. Oder auch, ob ich vorab, bevor es losgeht, mit jedem einen Einzeltermin verabrede. Wie mach ich das am besten?

      Wenn man noch unerfahren ist, neigt man dazu, sich viel erzählen zu lassen. Getreu dem Motto »Viel hilft viel« und es schadet natürlich überhaupt nichts. Viele Kollegen arbeiten erfolgreich mit ausführlichen Anamnesebögen. Du musst herausfinden, was dir ein gutes, sicheres Gefühl gibt.

      Mir reichen inzwischen die Informationen aus, wie lange sie ein Paar sind, ob sie zusammenleben oder jeder im eigenen Wohnraum, ob es Kinder gibt, wer noch zum Leben gehört. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich alles Relevante in den ersten Minuten, wenn alle zusammensitzen, zeigen wird.

      »Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte, bevor wir starten?«, ist eine meiner typischen Anfangsfragen.

       Heißt das, du bietest keine Einzeltermine vorher an?

      Nein, ich biete keine Einzeltermine vor dem eigentlichen Termin an, da ich darin weder für das Paar noch für mich einen Mehrwert sehe. Ich weiß aber, dass die Kollegen da sehr unterschiedlicher Meinung sind. Einige bieten standardmäßig Einzelstunden vorab an, andere tun es nur ab und zu, wenn sie das Gefühl haben, sich einen ersten Überblick verschaffen zu müssen, wieder andere verzichten ganz darauf. Da muss wohl jeder seinen eigenen Weg finden.

      Gerade habe ich wieder so eine Anfrage von zwei Frauen. Die eine, die mich angeschrieben und nach einem Termin für beide gefragt hat, bittet mich vorab um ein Telefongespräch. Nur sie und ich. Ich schreibe ihr, dass ich es so handhabe, mit beiden gleichzeitig zu starten und begründe es auch:

      •gleicher Wissensstand für uns drei

      •keine Zweierbündnisse mit der Therapeutin

      •keine Geheimnisse

      •Transparenz als oberstes Gebot.

       Sind die Anrufer dann nicht enttäuscht, dass du gar nichts wissen willst?

      Ich erkläre hoffentlich gut, dass ich keinen Wissensvorsprung möchte und nicht schon über die Themen reden, wenn die Partnerin oder der Partner nicht dabei ist. Und ich stelle auch die Frage, wie es für sie wäre (die Frau, mit der ich gerade rede), wenn es umgedreht wäre. Ihre Partnerin würde mir am Telefon schon lang und breit ihre Sicht der Dinge erklären und mit diesem Halbwissen würde ich dann in den ersten Kontakt gehen. Meistens reicht das Beispiel, um sich einfühlen zu können. Hilfreich ist auch, darauf zu verweisen, dass es um ihre Beziehung geht, nicht um die andere Person.

      Falls ich dennoch das Gefühl habe, meine Gesprächspartnerin ist enttäuscht, lasse ich mir wenigstens eine Überschrift geben. Ungefähr so: »Wenn Ihre Konflikte eine Überschrift hätten, wie hieße die aus Ihrer Sicht?«

      »Die Schöne und das Biest«, antwortete die Frau von neulich lachend und wie aus der Pistole geschossen.

      Toni lässt nicht locker: Aber dann weißt du ja trotzdem schon ein bisschen mehr als die Partnerin.

      Stimmt. Damit steige ich dann in die Live-Paarberatung ein, indem ich es wiederhole. Erkläre der Partnerin, dass ich am Telefon nach einer Überschrift ihrer Konflikte/Themen gefragt hätte und dass die Antwort »Die Schöne und das Biest« gewesen sei. Frage weiter, ob sie das ähnlich wie ihre Partnerin sieht, oder ob ihr Titel ein anderer wäre, und so habe ich wieder Gleichstand.

       Und was hat sie gesagt?

      Sie hat herzhaft gelacht und ihre Partnerin gefragt, ob sie in dem Bild die Schöne sei, und glaub mir, wenn du die beiden nebeneinander gesehen hättest, war sie definitiv nicht die Schönere, aber entwaffnend sympathisch. Keck hat sie den Titel verändert in »Das Schöne im Biest und das Biestige in der Schönen«. Ein wunderbarer Einstieg. Mit Bildern und Metaphern kann man sehr gut weiterarbeiten.

      Noch