Sylke Richter

Eure Liebe


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es wirklich losgeht und das Paar an der Tür klingelt, bring dich ganz bewusst in deine systemische Grundhaltung des Nichtwissens, der Neugierde und Wertschätzung. Heiße innerlich alles willkommen, was sich zeigen wird. Themen, Menschen, Macken, Eigenarten, Trauriges, Witziges, Dramatisches.

      Systemische Grundhaltung meint auch, dass du alles, was du meinst zu wissen, beiseiteschieben darfst. Mach dich, so gut es geht, zu einer weißen Wand, einer unbetretenen Schneelandschaft, denn du weißt nicht, wieso ein Paar kommt, wo sie feststecken und was sie möchten. Du weißt es nicht.

       Toni: Im Alltag und der Hektik der Termine vergesse ich das manchmal und denke eher: Hoffentlich kommen nicht so schwierige Themen! Verrückt, oder? Das macht mich ja schon von vornherein eng und kurzatmig. Bei Einzelterminen bin ich deutlich entspannter, denn da habe ich es nur mit einer Person zu tun. Na gut, und mit mir. Und wieso sagst du drei für zwei?

      Drei Menschen denken, fühlen und arbeiten für zwei. Für das Paar. Für die Zeit der Paartherapie seid ihr ein temporäres Dreiersystem auf Augenhöhe und es bleibt offen, ob die zwei sich als Paar verabschieden werden oder sich trennen möchten.

      Ich muss mir hinter die Ohren schreiben, dass ich nicht so viel für meine Klienten ackere. Mein Kopf weiß das, aber mein Wunsch, den beiden zu helfen, ist mindestens genauso stark wie die Stimme, die sagt, dass ich mich entspannen soll.

      Je entspannter du bist, umso entspannter wird die Stimmung im Raum sein. Du weißt ja, entspannte Therapeuten, entspannte Klienten.

      Und im Sinne der Spiegelphänomene funktioniert es auch andersherum. Manchmal übernimmt man ja die Anspannung der Klienten oder sie übernehmen meine Aufregung. Alle Emotionen können zwischen uns hin- und herwechseln. Ich sollte mir dessen nur gewahr sein, um unangenehme Emotionen stoppen zu können. Meistens schlage ich eine kurze Pause vor, um mich wieder zu sammeln.

      Ein absolut wichtiger Gedanke. Sobald Menschen miteinander agieren, bilden sie ein System. Nehmen Bezug aufeinander, agieren und reagieren. Durch das Resonanzerleben können Menschen andere Menschen mit Emotionen anstecken, mit deren Begeisterung, aber auch deren Langeweile oder Ablehnung. Wenn eine Pause gerade nicht passt, hilft es auch, das eigene Erleben anzusprechen:

      •»Hier ist gerade viel Spannung im Raum. Vielleicht unterbrechen wir kurz, bewegen uns und treffen uns in fünf Minuten wieder.«

      •»Ich spüre momentan so viel Druck, geht es Ihnen auch so?«

      •»Aktuell scheint es so, als würden wir alle drei die Luft anhalten. Vielleicht atmen wir erst mal wieder aus.«

      Also bewegen, atmen, ansprechen, Pause vorschlagen, Plätze wechseln.

      Und im weiteren Verlauf könnte man das, was gerade passiert und sowieso im Raum ist, auch weiterverfolgen:

      •»Wie regulieren Sie sich normalerweise wieder herunter?«

      •»Was machst du sonst, um wieder entspannt atmen zu können?«

       Toni: Im Film sieht man ja immer, wie das Paar nebeneinander auf dem Sofa sitzt und den Blick geradeaus auf den Therapeuten gerichtet hat. Wie sitzen wir am besten?

      Bewährt hat sich das Sitzen in einem kleinen Kreis. Meistens bereite ich den Raum schon vor und stelle den Therapeutenstuhl mittig hin, sodass ich bei Bedarf beweglich bleibe. Hin und her rutschen kann oder vor und zurück. Die Stühle des Paares sind einander etwas zugewandter, trotz des Kreises.

      Da eins der therapeutischen Ziele ist, die beiden wieder in einen guten Kontakt zu bringen, ist eine Mindestvoraussetzung, dass sie sich sehen können, ohne sich den Hals zu verrenken.

       Das leuchtet mir ein. Wenn ich mich zum Quatschen im Café verabrede, sitze ich auch nicht gern neben dem Freund oder der Freundin, lieber gegenüber, sodass wir uns ins Gesicht schauen können. Okay, machen wir weiter. Wir sind immer noch bei dem Davor, richtig?

      Sind wir, aber gleich haben wir es geschafft. Hier noch meine Lieblingshilfe, um in meiner Rolle zu bleiben.

      Ein bewährtes Hilfsmittel ist die Vorstellung, dass um die Stühle des Paares ein imaginäres Seil in leuchtender Farbe liegt. Das verdeutlicht mir, dass ich dort nichts zu suchen habe, dass es nicht mein Leben ist, nicht meine Beziehung, nicht meine Bühne. Mit allen Interventionen, Gedanken und Gefühlen bleibe ich respektvoll am Rand des Seiles.

      Es ist möglich, nahe an das Seil oder auch ein Stück wegzurutschen. Wenn ich den Mann unterstütze, rutsche ich auch mal an seine Seite. Unterstütze ich die Frau, rutsche ich an ihre Seite. Doch eins ist klar: Ich gehöre nicht in den Seilkreis und lasse mich auch nicht hineinlocken.

       Toni: Coole Idee, wie eine Leucht-Warnung, nicht übertreten! Nicht in fremde Betten legen!

      Genau. Und du glaubst nicht, wie oft ich zu den Klienten die Sätze sage: »Schaut euch an. Sag es ihr. Sag es ihm. Nicht mir.«

       Aber ist es nicht auch hilfreich, manches dem Therapeuten zu erzählen?

      Bei sehr konflikthaften Themen und bei hochverstrittenen Paaren ist es sinnvoll, einen Puffer, also einen Dritten dazwischen zu haben. Ansonsten eskalieren die Gespräche sofort. Dann sag ruhig: »Erzählen Sie es zuerst mir.« Wie in der Mediation, da läuft die Kommunikation über den Mediator.

      Manchmal, wenn ich merke, dass es für eine klare Struktur hilfreich ist, lege ich das Seil auch wirklich auf den Boden und erkläre kurzerhand, wofür wir das brauchen.

      Toni: Noch eine letzte Frage. Gibt es Aufgaben, die ich schon vorab verteilen kann? Vor dem Termin? Manchmal dauert es sehr lange, ehe ich einen freien Termin anbieten kann.

      Wenn das Paar schon loslegen möchte, lohnen sich Sortier-Aufgaben. Viele Menschen mögen es, etwas für sich einordnen zu können, und nachvollziehbare Kategorien geben Sicherheit und Orientierung. Hier meine Lieblings-Vorabaufgabe.

      Liebe X und lieber Y,

      bitte nehmt euch (jeder für sich) Zeit und beschäftigt euch mit den vier Säulen einer Beziehung: BEWAHREN – AKZEPTIEREN – KOMPROMISSE – VERÄNDERN.

      BEWAHREN: Hier bitte alles aufschreiben, was ihr in eurer Beziehung gut findet. Das, was so bleiben soll, wie es ist. Kleine Rituale, Aktivitäten, der Abschiedskuss, die Tasse Kaffee im Bett. Alles, was gut ist.

      AKZEPTIEREN: Hier bitte alles notieren, was ihr am anderen akzeptieren könnt, auch wenn es total unterschiedlich zu dem eigenen Verhalten oder den eigenen Ansichten ist. Sie isst Fleisch, ich nicht. Macht nichts. Er ist morgens mufflig, ich rede gerne. Ist in Ordnung. Alles, was ihr eher mit einem Augenzwinkern registriert, ohne euch aufzuregen. Ohne euch zu verbiegen.

      KOMPROMISSE: Alle Paare schließen in ihrem Zusammenleben Kompromisse. Hier unterscheiden wir in gute Kompromisse und schlechte Kompromisse.

      Gute Kompromisse meint: Ich mache etwas für meine Partnerin, auch wenn es nicht mein Ding ist. Ihr zuliebe. Oder ich verzichte auf etwas, ihm zuliebe. Die guten Kompromisse sind eine Entscheidung, die ich meinem Partner zuliebe treffe, aber ihm oder ihr nicht vorwerfe oder später aufrechne.

      Schlechte Kompromisse: Das sind Kompromisse, mit denen es mir nicht mehr gut geht. Die vielleicht einmal stimmig waren, aber inzwischen nicht mehr passen. Ich verzichte zu oft und zu viel auf etwas, was ich mag oder brauche, um mich wohlzufühlen. Oder ich mache schon viel zu lange den faulen Kompromiss und mache etwas für meine Partnerin, was mir zu viel abfordert.

       Kompromisse müssen immer wieder an Lebensphasen