Bernard Sumner

New Order, Joy Division und ich


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gefiel, und, um alles noch schlimmer zu machen, wurde ich nun auf einem Roller mit L-Platten, die mich als Inhaber eines provisorischen Führerscheins auswiesen, von der Polizei aufgehalten. Außerdem saß noch ein Mädchen bei mir auf dem Sozius. Keine Zulassungsplakette – das hieß auch, dass ich nicht versichert war. So fasste ich eine empfindliche Strafe aus. Ich glaube zwar, dass ich einen Helm trug, aber das war bei dem ganzen Szenario auch schon das einzig Legale und die Gesetzeshüter gaben sich nicht sonderlich nachsichtig.

      Ein paar Jahre später legte sich auch Peter Hook einen Motorroller zu und wir hingen mit anderen Gleichgesinnten ab. Wir flitzten durch Salford und Umgebung. Der geringste Vorwand genügte der Polizei, um uns anzuhalten. Sie versuchten dann, Informationen über hiesige Kriminelle aus uns herauszuquetschen, aber selbst wenn wir etwas wussten, verpfiffen wir nie wen.

      Ungefähr zu dieser Zeit begannen wir, zu Konzerten zu gehen. Die treibende Kraft dahinter war in erster Linie Terry Mason, ein weiterer Freund aus der letzten Bankreihe in der Schule, der sowohl in der Story von Joy Division als auch in jener von New Order eine gewisse Rolle spielen sollte. Terry war wie wir alle ein Sonderling. Er war in Ordnung, ein ziemlich harmloser Charakter und in nichts besonders herausragend. Deshalb versuchten wir stets, ihn auf irgendeine Weise einzubinden, in der Hoffnung, vielleicht auf etwas zu stoßen, in dem er vielleicht doch einigermaßen gut war. Wir versuchten es etwa in den ganz frühen Tagen von Joy Division mit ihm als Schlagzeuger. Seine Mum hatte ihm ein Schlagzeug gekauft, aber leider war es so ziemlich das schlechteste auf dem ganzen Planeten – die Stützen waren so dünn wie Stricknadeln und das Ding bewegte sich von ihm weg, während er darauf spielte. Als er sich da so auf seinem Hocker nach vorn streckte, um die Trommeln zu erreichen, wirkte er mehr wie ein Wasserskifahrer als wie ein Drummer. Es war der Sache natürlich auch nicht besonders zuträglich, dass er ein richtig schlechter Schlagzeuger war – sogar im Kontext einer Punkband. Er hatte überhaupt kein Rhythmusgefühl und machte einfach nur einen fürchterlichen Radau. Terry sah wie eine Mischung aus dem Gestapo-Typen aus Jäger des verlorenen Schatzes und Alan Carr, dem Comedian, aus. Ich hielt ihn für einen witzigen Kerl. Obwohl seine Scherze ziemlich abstoßend waren, musste man einfach lachen. Damals war er jedoch in Bezug auf Konzerte ziemlich gut informiert, hauptsächlich weil er im Gegensatz zu uns die Musikpresse verfolgte. Er merkte sich Shows vor, die wir uns seiner Meinung nach nicht entgehen lassen sollten, und üblicherweise lag er damit goldrichtig.

      Mitunter stellten sich die Konzert-Locations als Örtlichkeiten heraus, in die man ohne Studentenausweis nicht eingelassen wurde. Dann durften wir oft auch nicht rein, weil wir für Skinheads gehalten wurden – obwohl wir ja eigentlich Suedeheads waren. Die Studentenvertretung in der Oxford Street wies uns ab, weil wir nicht wie Hippies aussahen. Mit der Zeit frustrierte uns das, weil Bands damals nur an Unis und Colleges auftraten. Anscheinend wurden wir als Abschaum eingestuft und, nun ja, das waren wir wohl auch.

      Eine Location, die uns reinließ, war die Lesser Free Trade Hall. Einer der ersten Gigs, an die ich mich erinnere, war ein Konzert von Lou Reed, der 1974 dort spielte. Ich war ein großer Fan von ihm und liebte seine Solo-Sachen. Ich war schon auf Transformer, seine Live-LP, Rock and Roll Animal und Berlin gestanden, bevor ich von Velvet Underground gehört hatte. Ich denke, dass es die Tour zu Sally Can’t Dance war, und ich hatte mich schon sehr darauf gefreut, ihn live sehen zu können. Seine Band kam auf die Bühne und begann mit „Sweet Jane“. Ich dachte mir in diesem Moment, wie toll es erst sein würde, wenn Lou gleich selbst auf die Bühne käme. Dann fing plötzlich dieser Zwerg mit blond gefärbten Haaren zu singen an. Das konnte doch nicht Lou Reed sein? Aber er war es.

      Er war total von Sinnen – außer Rand und Band. Er zerschlug ein Mikrophon nach dem anderen. Aber es war ein fantastisches Konzert und das Publikum hatte auch so richtig Bock. Ich glaube, dass das auf eine gewisse Weise mein erster Punk-Gig war, nur wusste ich das da noch nicht. Die Band beendete ihr Set mit einer stürmischen Version von „Goodnight Ladies“ und machte sich dann vom Acker. Jeder erwartete noch eine Zugabe, aber die Bühne blieb leer und das Publikum wurde langsam unruhig. Ich stand neben einem Kerl, der wie ein Klon von Rod Stewart aussah. Er traf und durchschlug mit einer Bierflasche aus fast 500 Metern und unglaublicher Genauigkeit die Basstrommel auf der Bühne. Das war es dann. Pandämonium. Leute stürmten die Bühne und prügelten sich mit Roadies und Sicherheitskräften. Lou Reed sollte nie mehr nach Manchester zurückkehren – und alles nur wegen eines Typen mit zwielichtiger Haarpracht und unfassbarer Wurfgenauigkeit.

      Hooky fuhr auf Deep Purple ab. Ich war nicht so überzeugt von ihnen, aber letztlich besorgten wir uns Konzertkarten, um eines ihrer Konzerte zu besuchen. Ich hatte einen schlimmen Zahnabszess und musste erst überredet werden. Es ist nie eine gute Idee, mit einem Zahnabszess auf ein Konzert zu gehen, aber noch schlimmer ist es, wenn eine Band spielt, die einem nichts gibt. Bei einem Song steigerte sich der Sänger in immer noch höhere Tonlagen – es war wohl „Child In Time“ – und mein Zahn pulsierte vor sich hin, als würde seine Stimme mir buchstäblich auf die Nerven gehen. Agonie. Im Publikum befanden sich zudem ziemlich viele Schwachköpfe. Ein nerviges Erlebnis.

      Schließlich, als der Keyboarder gerade in einem schier endlosen Prog-Rock-Solo schwelgte und mein Zahn mich umzubringen drohte, kam ich zu dem Schluss, dass es hier echt beschissen und viel zu laut war. Als der Keyboarder inmitten seines nicht enden wollenden Solos schließlich begann, „I Do Like To Be Beside The Seaside“ einzubauen, als sei es eine witzige Randnotiz, konnte ich nicht mehr anders, als mich ordentlich selbst zu bemitleiden. Zuerst dachte ich mir noch, dass er eben einen Gag einbauen hatte wollen. Dann, wieder zehn Minuten später, spielte er noch die Titelmelodie von Coronation Street an. An diesem Punkt dachte ich mir: „Der will uns wohl verarschen, dieses Weichei aus dem Süden – ist bestimmt aus London!“ Es reichte. Ich ging hinaus. Schlussendlich spielten wir vor ein paar Jahren mit Deep Purple in Frankreich. Sie hatten ihre Solos mittlerweile stark eingeschränkt.

      Santana in der Hardrock Hall in Stretford war ein weiteres denkwürdiges Konzert. Es fand im November 1972 statt und ich hatte noch nie zuvor so einen großen amerikanischen Act live gesehen. Ich liebte den Sound von Carlos Santanas Gitarre und hatte eine große Schwäche für seinen Spielstil, weshalb ich mich schon sehr auf diese Show gefreut hatte. Aber zu dieser Zeit war er schon in seiner jazzigen, metaphysischen Phase angelangt. Sein Album Caravanserai war gerade erst veröffentlicht worden. Er kam auf die Bühne und sprach: „Ich möchte gerne mit ein paar Augenblicken der Meditation beginnen.“ Meditation. Ausgerechnet in Stretford, südlich von Manchester. Er faltete seine Hände, senkte sein Haupt und stand einfach nur stumm da. Das kam selbstverständlich beim lokalen Publikum, das schon ein paar Pints Bier intus hatte, nicht sonderlich gut an. „Komm verdammt noch mal in die Gänge“ war noch der höflichste Zwischenruf, der die meditative Stille durchbrach.

      Das Buxton Festival in den Hügeln von Derbyshire war auch so ein Event, das in Erinnerung blieb. Hooky, ich und ein paar andere Motorroller-Enthusiasten trafen vor Ort nämlich auf eine Horde Hells Angels. Wir waren uns sicher, in der Tinte zu stecken – schließlich war hier ein Haufen Kurzhaariger auf einer offensichtlichen Langhaarigen-Veranstaltung. Allerdings verlief dann alles reibungslos. Family spielten gerade, als wir eintrudelten, und ich war echt beeindruckt von ihnen, weil sie so wirkten, als ob sie völlig zugedröhnt wären. Ich dachte mir: „Das ist der absolute Hammer, die scheißen einfach drauf.“ Wishbone Ash – diese Architekten meines Dilemmas mit der Zulassungsplakette – standen auch auf dem Programm. Sie wurden sogar zu Headlinern befördert, weil Curved Air sich geweigert hatten auf die Bühne zu gehen, da es ihnen schlicht und ergreifend zu kalt war. Das Album, das mir nicht gefallen hatte, Argos, hatte sich als großer Erfolg für Wishbone Ash erwiesen, weshalb ich beschlossen hatte, ihnen noch eine Chance zu geben. Jedoch konnten sie mich auch diesmal nicht überzeugen.

      Von dieser Nacht ist mir am meisten der spektakuläre Meteoritenschauer in Erinnerung geblieben. Da draußen in den Hügeln gab es keine Lichtverschmutzung und so hatten wir vielleicht den besten Ausblick im ganzen Land. Wir standen unter einem mit Sternen überflutetem Nachthimmel, über den ununterbrochen kleine Lichtflecken huschten und umgehend wieder verschwanden. Über das Soundsystem lief die Titelmelodie von Doctor Who, was das ganze Szenario ein bisschen schrullig wirken ließ. Ich war trotzdem schwer beeindruckt. Ich saß da, starrte mit offenem Mund nach oben und war komplett verzaubert. Vielleicht hört sich das ja ein wenig naiv an, aber ich war