Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III


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ihrer Väter fasziniert, lässt sich mit Sicherheit sagen: „Rockmusik ist einfach geil“, so ein Sechzehnjähriger in Ulm. Rockmusik ist längst ein „klassisches“ Genre geworden, und die Botschaft des Rock’n’Roll ist unsterblich.

      Es scheint, als ob The Who und einige andere Bands aus den Sechzigern mit ihrer Musik eine Art zeitfreien Tunnel geschaffen haben, der es Menschen ermöglicht, problemlos in ihre Vergangenheit zu reisen und von dort aus noch weiter bis an den Grund ihres Seins.

      „Was The Who heute noch so interessant macht“, erklärt Pete, „ist ­weniger die Gruppe an sich, sondern die Zeit, in der alles angefangen hat. Und lange bevor die Jugendrebellion und all das angefangen hat, war da die Musik, diese Tiefe, die ohne Zeit ist.“

      Die Tiefe ohne Zeit hat schließlich auch The Who erfasst. Aber der Weg dorthin war sehr beschwerlich, wie wir noch sehen werden.

      1.: „A Face in the Who“: Ein Ex-Mod sorgt für frisches Blut – genau zur rechten Zeit

      „Wenn ihr einen Schlagzeuger braucht – ich würde den Job liebend gern übernehmen.“

      Phil Collins bietet sich als Keiths Nachfolger an

      „Ich konnte in keinen Klub mehr gehen, ohne dass jemand am Nebentisch mit seinem Besteck lostrommelte – in der ­Hoffnung, von mir entdeckt zu werden.“

      John

      „Er war der einzige, bei dem wir nicht immer dachten: Wo ist Keith?“

      Pete über Keiths Nachfolger Kenney Jones

      „Kenney war ein guter Schlagzeuger und ist ein netter Kerl – aber er war nicht im Entferntesten der richtige Drummer für The Who.“

      Roger über Kenney Jones

      „Ich wünschte, wir wären mehr wie The Who gewesen – wenn die ein Problem hatten, machten sie so lange daran herum, bis sie es überwunden hatten.“

      Kenney vergleicht seine frühere Band Small Faces mit den Who

      Als Kenneth Thomas Jones am 16. September 1948 in Stepney geboren wurde, einem Arbeiterviertel im Londoner East End, hätten sich seine Eltern sicher nicht vorstellen können, dass ihr Sohn einmal so berühmt werden würde, dass er mit dem britischen Thronfolger hoch zu Ross Polo spielen durfte. Sein Vater war Lastwagenfahrer, und seine Mutter arbeitete in einer Glasmanufaktur.

      Kenney, wie der Junge bald genannt wurde, war ein geliebtes Einzelkind und Sternzeichen Waage wie John. Er war ein ausgeglichener, fröhlicher Junge, der sich im Teenageralter zur Überraschung seiner Eltern, die alles andere als musikalisch gewesen waren, in den Kopf setzte, Drummer zu werden. Er trommelte der Legende nach solange auf Keksdosen herum, bis er sein erstes Schlagzeug geschenkt bekam, ein weißes Olympic für die damals stolze Summe von vierundsechzig Pfund.

      Kenney wuchs im Teenageralter zu einem waschechten Mod heran. Er war drei Jahre jünger als Pete und John, und so erfasste ihn der Modkult im richtigen Alter. Mit Ronnie Lane spielte er in einer Jugendband, bis sie den Sänger Steve Marriott in einem Musikgeschäft kennen lernten. Mit Marriott und Lane gründete der erst sechzehnjährige Kenney die Small Faces, eine der wenigen echten­ englischen Modbands, die zweifellos authentischer war als die von Peter Meaden­ auf den Modkult hingetrimmten High Numbers, wie The Who einige Monate während des Siegeszugs der Mods im Jahr 1964 hießen (siehe Band eins). Der legendäre britische­ Musikmanager Don Arden, dem der einschüchternde Beiname „Al Capone des Popgeschäfts“ anhing, verschaffte den Small Faces innerhalb kürze­ster Zeit einen Plattenvertrag mit Decca.

      Schon die erste Single, „Whatcha Gonna Do About It“, die im August 1965 veröffentlicht wurde, war ein Kassenerfolg. Von Platz vierzehn in den britischen Charts aus konnten die Small Faces zu ihren späteren Labelkollegen The Who hochschielen. Anfang 1966 überholten sie die Berufsgenossen sogar: Petes Komposition „Substitute“ kam nur auf Rang fünf der Charts, während die zweite Faces-Single, „Sha La La La Lee“, Platz drei erreichte. Und mit „All Or Nothing“ gelang den Small Faces im August 1966, was The Who nie schafften: ein unanfechtbarer Nummer-eins-Hit. Petes Who-Komposition „I’m A Boy“, die fast zeitgleich erschien, wurde nur Zweiter.

      Als der Modkult verebbte, verkaufte Don Arden „seine“ Band für ­fünf­und­zwanzigtausend Pfund an den Stones-Manager Andrew Loog Oldham. Offiziell begründete der Poppate das Zerwürfnis mit dem exzessiven Drogenkonsum der Bandmitglieder, deren viel beschworenes Zusammen­ge­­hö­rig­keits­­gefühl darunter jedenfalls erkennbar zu leiden begonnen hatte. Steve Marriott, der eine ähnlich kraftvolle und markante Stimme hatte wie Roger Daltrey, rückte sich immer unverblümter in den Vordergrund, während die stilleren Ronnie Lane, Ian „Mac“ McLagan und Kenney Jones nach außen nur noch wie seine Begleitgruppe wahrgenommen wurden. Während eines Konzerts zum Neujahrstag 1969 verließ Marriott abrupt die Bühne und im gleichen Atemzug auch die Band und kehrte­ nicht zurück. „Ich wünschte, wir wären damals erwachsener gewesen“, beklagte Kenney­ noch ein Vierteljahrhundert später die verpasste ­Chance. „Ich wünschte,­ wir wären wie The Who gewesen. Wenn die ein Problem hatten, blieben sie trotzdem zusammen und machten so lange daran herum, bis sie es überwunden hatten.“

      Den Small Faces war nach Marriotts Ausstieg wenig Zählbares von ihrem Ruhm geblieben. McLagan berichtet sogar, dass ihre Manager stattdessen plötzlich jede Menge Geld von der Band forderten, für angeblich geleistete Vorauszahlungen, Auslagen wie Kleider, Hotels, Autos, Drogen …

      „Fakt ist, dass wir nie irgendwelche Tantiemen von Don Arden bekommen haben und dass Decca erst nach Steve Marriotts Tod 1991 die uns zustehenden Anteile rausrückte“, beschreibt Mac das finanzielle Debakel der Small Faces. Die Zusammenarbeit mit den besten britischen Tonmeistern der sechziger Jahre, Glyn Johns und George Chkiantz, hatte ihnen zwar noch einige Hits beschert, „Itchycoo Park“ und „Lazy Sunday“ vor allem; aber den retten­den Imagewechsel von der Modband zur kultigen Popgruppe, wie es die Who vorexerziert hatten, schafften die Small Faces nicht mehr. Hauptsächlich weil die Band nicht Steve Marriott folgen wollte, der sich ambitionierten Projekten zuwandte. „Eigentlich hatte Steve damals die Nase vorn mit seinem psychedelischen Märchen Ogdens’ Nut Gone Flake, und zwar mehr als wir ahnten“, berichtet Kenney vom Wettlauf um die erste Rockoper (siehe Band eins dieser Biografie). „Ogdens’ war ein Meisterwerk. Hätten wir es live gespielt, wären wir damit groß rausgekommen.“

      Stattdessen ernteten The Who mit Tommy alle Lorbeeren, und Marriott gründete mit dem Gitarristen Peter Frampton (von The Herd) die Gruppe Humble Pie, die vor allem in den USA bis 1975 recht erfolgreich war. Aus den Small Faces wurden dann die Faces, zu denen Gitarrist Ron Wood und ­Sänger Rod Stewart stießen. Diese Auffrischung sorgte immerhin dafür, dass sich die Band noch so lange hielt, bis auch Rod Stewart als Solist erfolgreicher als die Gruppe wurde. Die daraufhin eingeleitete mühselige Reunion mit dem geläuterten Steve Marriott konnte das Ende einer der einflussreichsten britischen Bands der sechziger Jahre nicht mehr verhindern. Den Faces fehlte vor allem ein geschäftstüchtiger Führer, der auch die wirtschaftlichen Aspekte im Auge behielt und gegenüber raffgierigen Managern so entschlossen auftrat wie Roger für die Who oder Mick Jagger bei den Stones. Aus diesem Grund stieg auch Ron Wood schließlich lieber bei den Rolling Stones ein. Mac arbeitete, wie bereits erwähnt, als Studiomusiker und ließ sich für Tourneen erfolg­reicher Kollegen engagieren; er heiratete Kim und siedelte in die USA über. ­Ronnie Lane zog sich infolge seiner Erkrankung an multipler Sklerose vom Show­geschäft weitgehend zurück und verfolgte, abgesehen von seiner Zu­sam­men­­arbeit mit Pete, eher esoterische als musikalische Ziele. Nur Kenney, der Drummer,­ wusste nicht so recht, was er machen sollte.

      Die Who und die Faces kannten einander seit vielen Jahren. Sie hatten die legendäre Ozeanientournee 1968 gemeinsam bestritten und untereinander kreuz und quer Freundschaften geknüpft. Pete und Ronnie bildeten die bekannteste Verbindung, aber auch Keith und John verstanden sich gut mit ihren Modvettern aus dem Londoner Osten – Keith mit Mac allerdings nur noch bedingt, nachdem der Kim gefreit hatte.

      John war besonders gut mit Kenney befreundet. Während der Aufnahmen am Tommy-Soundtrack hatten Pete und John verschiedene Schlagzeuger ausprobiert,