Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III


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ob du bei ihnen einsteigen willst?‘ Sie ­hielten­ es für eine typische Wahnidee von ­­Rabbit, dem ­Spinner, aber ich sagte nur: ‚Oh doch, ich kenne sie. Sie haben mich gefragt, ob ich ­Crawler verlassen und bei ihnen einsteigen will, und ich habe gesagt: ,Ja, nach dieser Tour.‘ Also bin ich draußen, Jungs. Ihr könnt machen, was ihr wollt, aber ich fliege jetzt nach England und ­steige­ bei den Who ein.‘“

      Und so wurden The Who zum Quintett. Das sakrosankte Konzept vom wilden­ Vier-Männer-Ensemble, das so viel Krach macht wie zehn Big Bands zusammen, gehörte also bereits acht Wochen nach Keiths Tod der Vergangenheit an – notgedrungen, denn es war vor allem Keith gewesen, der ein ­ganzes Orchester ersetzt hatte.

      Pete begrüßte den Umstellungsprozess mit kaum verhohlenen Stoßseufzern, denn er hatte spätestens nach der anstrengenden Studioproduktion von Who Are You keinen Weg mehr aus der Sackgasse gesehen, in die er mit den Who unweigerlich geraten war, nachdem ihr Solist an den Pauken die erforderliche musikalische Weiterentwicklung nicht mitgehen konnte. Während Roger noch zögerte und sich unsicher fühlte, ob und wie Keith zu ersetzen sei, pflanzte Pete eine Wegmarke nach der anderen ein:

      „Lange Zeit hatte ich mich eingeschränkt gefühlt, weil ich vorwiegend Rhythmusgitarre spielte. Deshalb wollte ich für die Band einen Key­boarder,­ der Klavier und Orgel spielte, und nach Möglichkeit noch einen zweiten Gitarristen, damit ich auf der Bühne mit Synthesizern arbeiten und verschiedene Gitarrenparts ausprobieren konnte. Damit wären wir endlich in der Lage gewesen, unsere komplexeren Kompositionen aufzuführen, die es ja in unserem Repertoire durchaus gab.“

      Petes Wunschformation entspricht übrigens exakt der aktuellen Who-Tourband (2007/2009), die ja mit Petes Bruder Simon an der zweiten ­Gitarre, Zak Starkey am Schlagzeug, Pino Palladino am Bass und Rabbit an den Tasten sowie mit Pete und Roger ein Sextett ist.

      Mit der Verpflichtung von Rabbit, der nicht als vollwertiges Mitglied aufgenommen wurde, sondern eher eine Art ständiger Mitarbeiter wurde, und mit Kenney Jones, der ein taktgenauer, sachlicher Schlagzeuger mit einem kraftvollen, aber traditionellen und wenig experimentierfreudigen Stil war, glaubte sich Pete musikalisch schon Ende 1978 so weit abgesichert, dass The Who aus dem zu eng gewordenen Korsett ausbrechen konnten. Auch für sich als Bühnenkünstler sah er neue Freiheiten, nachdem weder Rabbit noch ­Kenney als neue Kollegen sonderlich extrovertiert schienen. Rabbit ver­schanzte­ sich gern meist nahezu unsichtbar fürs Publikum hinter seinen Keyboards, und Kenney lehnte zu viel Emotionalität am Schlagzeug erklärter­maßen grundsätzlich ab: „Über die Jahre hinweg musste ich mir ständig anhören, wie toll das Leben als Schlagzeuger sei, weil ich doch meine Frustra­tionen samt und sonders an den Trommeln ausleben konnte. Das habe ich niemals getan. Im Gegenteil, sobald ich Wut und Ärger verspüre, höre ich sofort auf. Ich bin stolz darauf, ein akustisches Instrument zu spielen; das ist nichts, worauf man seinen Frust auslässt.“

      Man mochte diese Äußerung auch als bewusste Distanzierung zum überirdischen Vorgänger Keith Moon auffassen. Kenney Jones galt als korrekter, gradliniger und kontrolliert lebender Mensch; er war glücklich verheiratet mit Jane Osborne, der Tochter des Dirigenten und Komponisten Tony Osborne, und Vater von zwei Söhnen, Dylan und Jesse. Die Neigung, sich auf und ­hinter der Bühne in Exzessen gehen zu lassen, kannte man von ihm nicht. ­Besser gesagt: Er zeigte solche Neigungen nicht, bis er bei The Who einstieg. Ian McLagan schilderte Kenney als Faces-Schlagzeuger noch als zurück­haltenden, fast schüchternen Mensch, der sich den Dramen des Musikgeschäfts meist klug fernhielt. Doch der Mythos oder die geheime Kraft hinter The Who erfasste den Neuen bald ebenso heftig wie die verbliebenen Bandmitglieder, die sich der Illusion hingaben, dass sie den Weg ihrer ­Gruppe­ nach Gut­dünken lenken konnten.

      Große Bands zeichnet stets eine besondere Fähigkeit aus: nämlich jene, dass sie über sich und ihre Rolle Klarheit erlangen und aus den internen ­Prozessen musikalische Energie beziehen, die sie an ihr Publikum weiter­geben können. Gerade aus diesem Grund ist die Rockmusik ja hauptsächlich von Bands geprägt worden, also weniger von Einzelpersönlichkeiten wie etwa der Schlager, die Popmusik oder der Rock’n’Roll. Die gruppendynamischen ­Prozesse innerhalb einer Rockband scheinen auf die Anhängerschaft auszustrahlen, und das macht wohl auch ihre Magie und Identität stiftende Kraft aus. Einige große Gruppen haben den Verlust eines Gründungsmitglieds nie verkraftet und sich bald danach aufgelöst, wie Led Zeppelin, die nach dem Tod ihres Schlagzeugers John Bonham im September 1980 offiziell aufgaben – John Bonham wurde übrigens wie Keith nur zweiunddreißig Jahre alt, und er starb tatsächlich so, wie man es Keith zudichtete: an seinem Erbrochenen nach übermäßigen Alkoholkonsum. (Bonhams Sohn Jason, 1966 geboren und also fast gleich alt wie Zak Starkey, saß im Dezember 2007 am Schlagzeug, als Led Zeppelin noch einmal für ein groß angekündigtes Wohltätigkeitskonzert zusammenkamen.) Andere Musikerkollektive haben ihr internes Drama ­relativ­ offen in ihrem Werk verarbeitet, wie etwa Pink Floyd, die ihrem „Crazy Diamond“ Syd Barrett ein musikalisches Denkmal setzten, wenngleich wohl eher aus schlechtem Gewissen.

      Die dritte – und offenbar erfolgreichste – Variante der Verarbeitung trauma­tischer Erlebnisse ist, das Trauma unter den Teppich zu kehren. Die Rolling Stones haben das mit Brian Jones vorgeführt, und in gewisser Hinsicht ­folgten­ ihnen die Who in diesem Muster. Die hervorstechenden Talente von Brian Jones, seine leuchtende Bühnenpräsenz und die freie, vielschichtige Musikalität, wurden von den beiden stärksten Persönlichkeiten der Stones, Mick ­Jagger­ und Keith Richards, auf fast unheimliche Weise absorbiert, so dass die für die Band wichtigen Elemente trotzdem irgendwie erhalten blieben. The Who hatten mit Keith Moon vor allem ihre irrwitzige, anarchistische Radika­lität verloren. Doch auch hier entstand eine seltsame Eigendynamik, aufgrund derer die verbliebenen – und in Maßen auch die neu hinzugewonnenen – Bandmitglieder anscheinend die Anteile neu belebten, die durch Keiths Tod abhanden gekommen waren.

      Beobachten ließ sich diese Entwicklung besonders an Pete, der sich unmittel­bar nach Keiths bedrückendem Abgang in Hyperaktivität stürzte, die er, seiner Gewohnheit folgend, mit erhöhtem Alkoholkonsum begleitete. Im schon erwähnten und von Dennis Wholey (sic!) geschriebenen Büchlein über Alkoholismus The Courage To Change (1984) erzählt er:

      „Ich hatte immer das Gefühl, dass Trinken und Arbeit in völlig angemessener und passender Weise zusammengehörten. Meine Frau erkannte darin ein potenzielles Problem, während ich der Auffassung war, dass es zu mir und zu meinem Lebensstil gehörte. Und das, obwohl ich in Roger Daltrey einen großartigen Partner hatte, der niemals exzessiv trank, nicht am Beginn unserer Karriere und bis heute nicht. Aber ich meinte, ich trüge mehr Verantwortung, weil ich die Songs schrieb und der Sprecher der Gruppe war.“

      Petes Erklärungen klingen heute ziemlich einsichtig, aber sie machen nicht plausibel, weswegen er in die gleichen Konflikte rutschte wie vor ihm Keith Moon. Seine Ehe und das ihm heilig gewordene Familienleben gerieten im Verlauf des Jahres 1979 plötzlich aus den Fugen, und erstmals seit seiner bislang ernsthaftesten Krise Anfang der siebziger Jahre, als mit dem Scheitern von Lifehouse auch seine künstlerische Existenz auf dem Spiel gestanden hatte, zeigte Pete 1979 auf der Bühne ein Ausmaß von Trunkenheit, das ihn erkennbar in seinen Fähigkeiten beeinträchtigte.

      Noch überdeckte er allerdings die drohende Gefahr mit der rastlosen Geschäftigkeit eines Keith Moon zu seinen besten Zeiten. Pete wirkte nicht nur am Quadrophenia-Film mit und an Paul McCartneys Rockestra, sondern auch am neuen Soloalbum des Ex-Beatle, Back To The Egg. Außerdem begann er eine Vielzahl eigener Projekte; er arbeitete mit seinem Schwiegervater Ted Astley und mit dem jungen Baba-Anhänger Raphael Rudd im Studio, er schrieb ein Fernsehspiel, engagierte sich gegen Rassismus und nahm noch einige­ Songs für ein Wohltätigkeitsalbum auf, dessen Erlöse Meg Pattersons neu eröffneter Suchtklinik in Sussex zuflossen. Die Produktion hieß The Free Charity Album und umfasste neben Who-Songs auch Beiträge anderer Musiker mit schmerzhafter Drogenvergangenheit wie Eric Clapton, George Harrison, Keith Richards und Jack Bruce.

      Mit Beginn des Jahres 1979 standen überdies auch die Proben für die geplante Who-Tournee auf dem Programm. Sie sollte nach dem Willen des Managements zeitgleich mit der Premiere von Jeff Steins Dokumentation The Kids Are Alright bei den Filmfestspielen von Cannes starten. Doch Roger bestand darauf, dass die englischen Fans ein Anrecht hatten, die neu formierte Band als