Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III


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Inbrunst ausspielen können.“

      Zweifellos wurde Keith trotz seiner schicksalsbedingten Abwesenheit zum heimlichen Star der Who-Filmfestspiele von Cannes. Jeff Steins Dokumentation The Kids Are Alright war beinahe so etwas wie ein Denkmal für den Medienclown Moon the Loon geworden – sehr zum Verdruss übrigens von John, der sich als musikalischer Leiter mit vollem Einsatz in das Projekt geworfen hatte und seine Rolle hinter den Kulissen unter Wert gewürdigt sah. Pete wurde sowieso ständig zitiert, obwohl er den Regisseur angewiesen hatte, jedem Bandmitglied die gleiche Präsenz zuzugestehen. Roger stand als Sänger bei allen Musikszenen im Fokus der Kameras, und Keith sorgte für die Unterhaltung und für die publikumswirksamsten Zitate – John hatte allmählich die Nase voll, immer nur den bescheidenen Schattenmann abzugeben. Sein Vorstoß kurz vor der Premiere, Keiths Dominanz durch einen Neuschnitt des Films zurückzudrängen, musste aus Zeitgründen jedoch vertagt werden.

      Auch Roger war mit dem wilden Leinwandmachwerk zunächst nicht zufrieden. Ihn störte wie John die fehlende Professionalität, und er sann recht laut darüber nach, ob es klug gewesen war, die Aufgabe einem jugendlichen Anfänger wie Stein zu überlassen. Pete hielt sich weitgehend bedeckt, aber ihm war ebenfalls anzumerken, dass er nicht allzu begeistert war: „Es ist ja keine richtige Dokumentation über The Who oder über ihre Geschichte, sondern bloß eine Sammlung von allem, was gerade verfügbar war“, erklärte­ er in der Zeitschrift Sounds.

      Dagegen fand Steins Who-Hommage volle Zustimmung bei den Fans und weitestgehend auch bei der Kritik, die den Film tatsächlich als Nachruf auf Keith Moon verstand, obwohl der trommelnde Derwisch definitiv erst nach dessen Fertigstellung verstorben war. Die New York Times bezeichnete den Film überdies als „eigensinnig uninformativ“, was für den jungen Regisseur, der sich vom bandinternen Gerangel um sein Erzeugnis bemerkenswert unbeeindruckt zeigte, das größte Kompliment darstellte, das man ihm machen ­konnte: „Der Film ist schließlich nicht für Menschen gemacht worden, die die Times lesen“, meinte Stein, „sondern für die Leute aus Queens und aus Brighton. Ich wollte niemals eine gradlinige, chronologische Dokumentation schaffen. Ich wollte kein historisches Dokument. Ich wollte ein hysterisches Dokument.“

      Das ist ihm zweifellos gelungen. The Kids Are Alright ist unter den Rockmusikfilmen bis heute einmalig und in gewisser Weise unerreicht. Roger, der das Werk bald mit den Augen der Fans zu sehen gelernt hatte, beschreibt das entscheidende Kriterium: „Die meisten Rockmusikfilme sind sehr präten­tiös. Sie werden nur für den Zweck produziert, Robert Plants Schwanz groß aus­sehen zu lassen. The Kids Are Alright ist völlig anders. Innerhalb der ersten halben Stunde werden wir zu kompletten Idioten gemacht.“

      Und genau deswegen liebten die Fans diesen Film, der die Höhepunkte der Band so unterhaltsam und so spektakulär festhielt. Jeff Stein hatte es auf den Punkt gebracht, ein Fan, der für seinesgleichen gesammelt hatte, was die Who vierzehn Jahre lang geboten hatten: großartige Musik, einzigartige ­Charaktere und Keith Moons unsterblichen Humor, der vor der eigenen ­Person nicht haltmachte, geschweige denn vor seinen Bandkollegen. Und der ganze anarchistische Witz wurde melancholisch umweht vom Trauerflor, den der zu früh verschiedene Hauptdarsteller – oder Selbstdarsteller – aus dem Jenseits herüberflattern ließ, eine süßlich schmerzhafte Gewissheit, dass die dargestellte Zeit unwiederbringlich vorüber war. Erst das machte den Film richtig groß – der Tod seines wichtigsten Akteurs.

      Der Erfolg strahlte vor allem auf das von John mit viel Liebe und Mühe produzierte Soundtrackdoppelalbum ab. Es erreichte Platz acht in den US-Longplay-Charts, was den perfektionistischen Who-Bassisten schließlich doch einigermaßen versöhnlich stimmte. Insgesamt freilich genügte Steins Konzept nicht, um über die Kritiker und die zahlenmäßig begrenzte Who-Fan­gemeinde­ hinaus massenhaft Kinobesucher anzuziehen. The Kids Are Alright wurde kein Kassenschlager, was die Unzufriedenheit der Band vielleicht am besten erklärt. Entsprechend hoffnungsvoll sahen die Who ihre zweite Produktion in Cannes, die eher das Zeug zum Publikumsmagnet hatte. Quadrophenia war laut Pete ein sehr kraftvoller Film: „Wir treten darin nicht auf, und es gibt nicht gerade ­höllisch viel Musik zu hören, aber wir sind sehr stolz darauf. Das beste für mich ist, dass es nun nichts mehr zu erklären gibt an Quadrophenia. Die Story ist eindeutig und jeder kapiert sie.“

      Pete schielte unverkennbar schon in Richtung USA, wohin die Who im Spätsommer für eine ausgedehnte Tournee reisen wollten und wo Quadrophenia fünf Jahre vorher im Dschungel des anglo-amerikanischen Kulturaustauschs stecken geblieben und grandios gescheitert war. Der Film erlitt jedoch das­selbe Schicksal wie das Album und blieb in Nordamerika nur ein Insidertipp: Die Modkultur war ein allzu britisches, bestenfalls europäisches Phänomen, und die vordergründige Auseinandersetzung zwischen Mods und Rockern – ­mochte sie noch so sehr die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen auf der ganzen Welt thematisieren – erreichte das ländliche Amerika überhaupt nicht und seine Großstädte nur in Maßen.

      In England hingegen, wo der Film im Sommer in die Kinos kam, ­erfüllten sich die Hoffnungen der Band und des Regisseurs, der einen klassischen Leinwandstreifen mit allen Effekten und Emotionen schaffen wollte, um das gesamte jugendliche Publikum zu erfassen. Die Themenbereiche Mobilität, Gewalt, Gruppenkonflikte, Rebellion gegen Autorität, Identitätsentwicklung und Rockmusik sprachen die Zielgruppe an – zumal in einer Zeit, da jeder männliche Teenager in den Industrieländern West- und Mitteleuropas, der etwas auf sich hielt, ein Mofa, Moped oder Kleinkraftrad haben wollte, eine Vespa oder gar ein richtiges Motorrad.

      Rocker, ob gewaltbereit oder friedlich, waren überdies häufig in den Schlagzeilen, vor allem wegen der martialisch auftretenden Hell’s Angels, denen eine bedenkliche Nähe zur Kriminalität nachgesagt wurde. In Deutschland, wo man bisher wenig von Mods gewusst hatte, spielten die Zeitläufe der Band thematisch wie publizistisch besonders in die Karten. Die Hamburger Abteilung der Hell’s Angels beispielsweise terrorisierte die Szene in St. Pauli unverhohlen schlagzeilenträchtig mit Schutzgelderpressungen und Gewaltdemonstrationen, bis sie 1983 als „kriminelle Vereinigung“ verboten wurde. So urteilte der deutsche Film-Dienst durchaus positiv über Quadrophenia: „Der Film ist dank guter Darsteller und schwungvoller Regie ein bemerkenswertes Generationsporträt ohne falschen nostalgischen Glamour.“

      Die Besetzung der vielleicht interessantesten, da ambivalenten Figur des gescheiterten Modführers Ace mit einem aufstrebenden New-Wave-Musiker namens Sting, der mit seiner fulminanten Drei-Mann-Band The Police musikalische und modische Akzente gesetzt hatte, erwies sich ebenfalls als kluger Schachzug mit internationaler Auswirkung. Hits wie „So Lonely“, „Ro­xanne“, „Can’t Stand Losing You“ oder „Message In A Bottle“ erreichten bis zum Filmstart (in Deutschland am 19. November 1979) auch Kontinentaleuropa, und manch einen oder eine zog es danach sicherlich ins Kino, um den neuen ­Popstar mit dem blondierten Haar zu sehen. New-Wave-Musiker hatten gegenüber den zu mutwilliger Hässlichkeit tendierenden Punkrockern ein vergleichsweise sauberes, properes Image, das den weiblichen Teil des Publikums ­deutlich mehr ansprach. Dem 1951 geborenen Gordon Matthew Thomas ­Sumner diente Quadrophenia jedenfalls als perfektes Sprungbrett für seine Weltkarriere unter dem Namen Sting.

      Vor den Filmen – Steins Spektakel erreichte im Winter 1979 ebenfalls die Bundesrepublik – kam jedoch die Originalmusik live nach Deutschland. Jawohl, nach dreieinhalb Jahren Pause und nach Auftritten in Paris, ­Glasgow, Edinburgh und London, wo Pete nach eigener Auskunft so betrunken gewesen war, dass er das Solo des ihn begleitenden klassischen Gastgitarristen glatt verschlief, beehrten die Who auch ihre deutschen Fans wieder mit einem Konzert. Und mit was für einem! Der Auftritt am 1. September 1979 auf dem Zeppelinfeld von Nürnberg war eine der größten Rockmusikveranstaltungen, die bis dahin in Deutschland stattgefunden hatten. Veranstalter Fritz Rau hatte diesen Megaevent perfekt organisiert. Sogar die letzte Hürde, einen Zollbeamten, der den Who zunächst die Einreise verwehrte, weil ihre Pässe nicht in Ordnung waren, überwand der Konzertpromoter mit dem untrüglichen Gespür souverän. Die damals unerhörte Investition von über einer Million Mark für ein Rockmusikspektakel sollte sich für Lippmann und Rau lohnen. Mehr als fünfundsechzigtausend Menschen kamen, um die neuen Who zu sehen – und natürlich auch so prominente Vorgruppen wie AC/DC, Cheap Trick oder Scorpions. Unter den Besuchern war Andreas Mock aus Kassel, der den weiten Weg nach Nürnberg im Sportwagen des Klavierlehrers seiner Freundin auf sich genommen hatte:

      „Ines