Seite durch die Autobahn, auf der anderen durch den Ohio River begrenzt wird. Der Stauraum für die Wartenden wurde bedrohlich eng, als die Menge auf rund achttausend Menschen angewachsen war. Das war gegen achtzehn Uhr dreißig. Die Band erschien ohne Roger Daltrey zu einem späten Soundcheck, was den ungeduldigen Fans vor den Glastüren Anlass zur Vermutung gab, das Konzert würde bereits beginnen.
Von hinten drängten Tausende nach vorn. Dort standen eine Handvoll Ordner, die zwei noch geschlossene Glastüren bewachten – offizielle Quellen sprechen von vier besetzten Eingängen, viele Augenzeugen nur von einer Schiebetür. Einige Menschen kamen im Gedränge zu Fall. Andere warfen die Glasscheiben ein und versuchten durch die aufgesplitterten Lücken ins Innere des Coliseums zu schlüpfen. Gerade einmal fünfundzwanzig Polizisten waren zu diesem Einsatz abkommandiert; sie griffen nicht ein, obwohl viele Menschen um Hilfe riefen.
Nun wurden die Eingänge endlich geöffnet. Das Coliseum hat sechzehn Glastüren, die man alle sofort hätte öffnen müssen, doch die überforderten Ordner befolgten pedantisch die Anweisungen des Veranstalters und quetschten die völlig außer Kontrolle geratene Menschenmenge durch die wenigen vorgesehenen Schleusen, wobei jede Tür nach jedem Besucher geschlossen wurde, damit die Kartenabreißer akribisch die Tickets kontrollieren konnten. Panik brach aus. Einige Fans kletterten über die Wartenden, wodurch weitere Menschen zu Boden fielen, niedergedrückt und zertrampelt wurden. Ihre Schreie gingen im Chaos unter. Wer zwischen die Strömungen der Nachdrängenden und der Zurückgeworfenen geriet, befand sich in höchster Not. Ron Duristch, der zwischen vielen tausend Who-Fans vor dem Coliseum eingeschlossen wurde, berichtet auf der Webseite der Institution Crowdsafe, die nach der Tragödie gegründet wurde, von seiner beklemmenden Erfahrung:
„Eine Welle schob mich nach links, und als ich wieder Halt gefunden hatte, fühlte ich, dass ich auf jemandem stand. Vor lauter Hilflosigkeit schwappte Panik in mir hoch. Ich schrie aus Leibeskräften, dass ich auf jemandem stand. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nur schreien. Eine weitere Welle erfasste mich und spülte mich nach links, auf den Eingang zu. Ich fühlte, wie mein Bein nach rechts gestoßen wurde. Die Menge bewegte sich wieder, und ich langte nach unten an mein Bein, wo ich einen Arm zu fassen bekam. Ich kämpfte eine Weile, und schließlich zerrte ich ein junges Mädchen hoch, an deren Glieder sich noch ein Junge klammerte. Die beiden waren nahezu bewusstlos, und ihre Gesichter waren tränenüberströmt.“
Schon jetzt war klar, dass es viele Verletzte geben würde, doch das kümmerte die wenigsten der enthemmten Menschen vor und im Coliseum. Diejenigen, die endlich Einlass in die Halle gefunden hatten, stürmten wie besessen auf die besten Plätze; sie hatten es überstanden und freuten sich auf das Konzert. Richard Barnes, der den Aufbruch zum Soundscheck verschlafen hatte, erreichte das Coliseum kurz nach zwanzig Uhr:
„Als die Limousine zum Backstagebereich einbog, standen da ein großer Feuerwehrtransporter und einige Krankenwagen. Der Polizist winkte uns fort. Wir wendeten, und beim nächsten Versuch wurden wir eingelassen. Ich hielt das Feuerwehrauto für eine Vorsichtsmaßnahme der amerikanischen Städte bei großen Rockkonzerten. Hinter der Bühne traf ich einen alten Bekannten, und gemeinsam beschlossen wir, die Show vom Auditorium aus anzuschauen. Als wir durch die Korridore gingen, sah ich mehrere Feuerwehrleute hinter den Kids hereinhasten. Ich vermutete, dass es irgendwo einen kleinen Brand gegeben hatte, konnte aber nirgends Rauch entdecken. Nach einiger Zeit sah ich weitere Polizisten und Sanitäter, sowohl innen als auch außerhalb der Glastüren. Ich fragte eine Platz-anweiserin, ob es einen Brand gegeben habe. Sie entdeckte meinen Who-Tourpass und meinte: ‚Wisst ihr denn nicht, was passiert ist? Fünfzehn Leute sind umgekommen!‘ Aus irgendeinem Grund glaubte ich ihr nicht. Ich dachte, es habe vielleicht Herzinfarkte gegeben oder Opfer von Drogenüberdosis, und die Frau habe die Sache nur aufgebauscht. Wir erspähten noch mehr Uniformierte, die sehr besorgt dreinblickten und die Örtlichkeiten inspizierten, und allmählich begriffen wir, dass etwas wirklich ernsthaft schief gelaufen war. Ich fragte einen zweiten Ordner, der mir erklärte, dass es elf Tote gegeben habe. Ein älterer Mann kam dazu und verkündete beinahe stolz: ‚Wussten Sie das nicht? Hier wurde heute Abend Geschichte geschrieben. Die ganze Welt wird es morgen erfahren.‘“
The Who standen indessen auf der Bühne und spielten ein begeisterndes Konzert vor Zuschauern, die ebenfalls keine Ahnung hatten, was einige Meter hinter ihnen geschehen war. In der Halle herrschte eine völlig andere Stimmung als in den Gängen und vor dem Coliseum, wo man die ersten Toten nach einer halben Stunde entdeckt hatte und Dutzende von Verletzten ärztlich versorgte. Der alarmierte Richard Barnes eilte zurück in den abgeschotteten Bereich hinter den Kulissen:
„Bill Curbishley stand hinter der Bühne an der Verstärkerwand. Ich sagte ihm: ‚Ich habe gerade gehört, was passiert ist.‘ Er erklärte, die Gruppe wisse von nichts, und wir sollten so wenigen Leuten wie möglich davon erzählen. Er hatte es erst nach der fünften oder sechsten Nummer erfahren; der Promotor hatte ihm mitgeteilt, dass es zwei Tote gegeben habe. Kurz darauf waren es vier Tote, die angeblich an einer Überdosis Drogen gestorben waren. ‚Erst mit dem Fortgang der Show bekam ich mit, was wirklich geschehen ist‘, sagte Bill. Jemand schlug vor, das Konzert abzubrechen; aber Bill meinte, das sei das Schlechteste, was die Verantwortlichen tun konnten: ‚Wenn Sie neunzehntausend Jugendlichen erklären, dass einige von ihnen da draußen tot liegen, werden Sie keine Möglichkeit mehr haben, den Platz in Ordnung zu bringen, und hier drinnen bricht Gewalt aus.‘ Der Leiter der Feuerwehr war der gleichen Ansicht. In der kurzen Pause vor der Zugabe versammelte Bill die Band im kleinen Aufwärmraum und sagte: ‚Es ist etwas sehr Ernstes geschehen. Ich möchte, dass ihr jetzt rausgeht und eure Zugabe spielt und dann geradewegs wieder hierher kommt. Ich werde euch alles erklären.‘ Bill wies sie an, mit niemandem zu sprechen, sondern sofort zurück hinter die Bühne zu kommen. Pete stieß ein kurzes nervöses Lachen aus und zündete sich eine Zigarette an. Dann besprachen sie, welche Stücke sie spielen wollten, und gingen zurück auf die Bühne.“
Wenn es bei einer Vergnügungsveranstaltung zu einem Unglück kommt, was angesichts von vielen Menschen am selben Ort gar nicht so unwahrscheinlich ist, wie es den trügerischen Anschein hat (tatsächlich wächst ja die statistische Gefahr eines Unfalls mit der Zahl der Menschen, ungeachtet ihrer Fröhlichkeit), stellt sich immer die gleiche Frage: Soll man die Veranstaltung abbrechen oder weitermachen? In den meisten Fällen heißt es: „The show must go on!“ Auch in Cincinnati waren die besseren Argumente wohl auf der Seite der Befürworter dieser Strategie, die darauf zielt, die Menschen nicht zusätzlich in Unruhe zu bringen, sondern die Situation zu kontrollieren. Der Schock wirkt allerdings umso heftiger, wenn die Wahrheit verzögert ans Licht kommt. Die Überlebenden fühlen sich nicht nur bedrückt und traurig, was die natürliche Reaktion auf das Unglück anderer ist, sondern noch dazu schuldig und hintergangen. „Wir haben uns vergnügt, während andere qualvoll sterben mussten – weshalb hat uns niemand etwas davon gesagt?“ The Who teilten diese schmerzhafte Erfahrung mit ihren Fans; jedenfalls an diesem einen Tag, in dieser Nacht, bevor sie weiterzogen. Richard Barnes berichtet von den Reaktionen, nachdem der Manager seiner Band in der Garderobe reinen Wein eingeschenkt hatte:
„Die Stimmung war verständlicherweise sehr niedergeschlagen und angespannt. Das Büffet wurde kaum angerührt, und es kamen keine Gäste in dieser Nacht. Einige standen in Gruppen zusammen und sprachen leise über das Geschehen. Die meisten waren sprachlos und schwiegen. Wir kannten immer noch nicht die genauen Fakten. Bill wusste von zehn Toten, ich hatte von elf oder fünfzehn gehört. Die Band stand unter Schock. Roger war besonders emotional und den Tränen nahe. Er verkündete das Ende der Tournee, später sogar das Ende von The Who. Die Gespräche drehten sich im Kreis, jeder suchte nach Erklärungen, keiner fand eine. Stunden vergingen auf diese Weise. Alle waren erschöpft und leer, als wir nach draußen geführt wurden und in Autos einstiegen, die uns zum Hotel brachten. Der Veranstalter wollte, dass die Band die Stadt noch in der Nacht verließ. Vor dem Hotel warteten schon Reporter und Fernsehkameras, wir hasteten vorbei auf unsere Zimmer. Vor der Suite, die ich mit Pete teilte, standen zwei Wachmänner, um die Presse fernzuhalten; innen wanderten wir ruhelos umher und versuchten rauszukriegen, wer wo untergebracht war. Nach einiger Zeit telefonierte John alle zusammen, und wir trafen uns in seiner Suite. In einem solchen Moment will keiner allein