Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III


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sie besuchte, lief den ganzen Nachmittag dieses Doppelalbum. Wir waren dermaßen infiziert, dass ich mein Drumkit in ihrem Klavierzimmer auf­baute, und wir versuchten allen Ernstes, Tommy in der Besetzung von ­Klavier und Schlagzeug (!) nachzuspielen.“

      Ein solches Vorhaben hätte vermutlich der Ausnahmetalente von Keith Moon und Rabbit Bundrick bedurft, um auch andere Menschen als die beiden entflammten Nachwuchsmusiker zu entzücken. Aber dermaßen für Schlagzeug und Klavier sensibilisiert, ist Andreas Mock natürlich ein geeigneter Zeuge des erst neunten Auftritts der Band mit Drummer Kenney Jones und Keyboarder Rabbit. Bei dreißig Grad Außentemperatur und nach vier Stunden auf dem Notsitz des Sportwagens – Ines durfte natürlich neben dem Klavierlehrer Platz nehmen – erreichte das Trio den monumentalen Ort des Geschehens: das Zeppelinfeld, Teil der gigantischen Anlage, die Hitlers Baumeister Albert Speer einst für die Aufmärsche der Reichsparteitage in Nürnberg hatte errichten lassen. Andreas Mock erzählt:

      „Die Vorgruppen versuchten mit mehr oder weniger Erfolg, die Massen zu begeistern. Aber erst AC/DC schafften es, die Menge zum Toben zu ­bringen. Ich kam mir vor wie beim deutschen Woodstock. Ich fühlte mich wie im Traum. Auf der Bühne erschienen meine Helden Roger, Pete, John – gern hätte ich natürlich mein Vorbild Keith Moon gesehen, der fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor gestorben war und der sicherlich durch niemand ersetzt werden konnte; doch Kenney Jones machte einen guten Job und passte damals hervorragend ins Konzept der Band. The Who boten ein unglaubliches Spektakel aus Lautstärke und Lichteffekten. Die Lasershow, damals eine Revolution in Sachen Bühnenbeleuchtung, erzeugte bei ‚Won’t Get Fooled­ Again‘ eine fantastische Atmosphäre. Zum Abschluss dann mein ­persönliches Highlight: ‚See Me, Feel Me / Listening To You‘, das Tommy-­Finale. Mir kam es vor, als spielte die Band dieses Stück länger als fünfzehn Minuten, die Menschen wollten gar nicht aufhören zu singen. Es war das Größte, was ich in meiner jungen Karriere als Who-Fan erlebt hatte, und mir war es auch egal, die Rückfahrt wieder zusammengekauert in diesem dämlichen Sportwagen verbringen zu müssen. Ich hatte etwas Einmaliges erlebt und gesehen: die bis heute größte Rockband aller Zeiten live!“

      Unser Zeuge erinnert sich noch, dass der Auftritt in Nürnberg ein enormes Presseecho zeitigte und Ausschnitte davon anderntags sogar in der Tagesschau gesendet wurden. Insofern gilt: Härtetest bestanden. Rabbit und Kenney ­fügten­ sich harmonisch in die Gruppe ein; die deutschen Fans waren hin­gerissen, und der Boden für die Filme Quadrophenia und The Kids Are Alright, die wenig später in die Kino kamen, war bereitet.

      Das Open-Air-Konzert in Nürnberg war der letzte kontinentale Probelauf unter ähnlich kolossalen Bedingungen, wie sie die anschließende ­Tournee durch die Vereinigten Staaten mit sich brachte. The Who ­­schienen bestens dafür gerüstet.

      3.: „Dance It Away“: Cincinnati oder der Anfang vom vorläufigen Ende

      „Es war ein symbolischer Moment und wir hätten richtig damit umgehen können, aber das taten wir nicht.“

      Pete über die Tragödie von Cincinnati, bei der elf Fans zu Tode getrampelt wurden

      „Ich spürte, dass ich auf jemandem stand.“

      Ein Augenzeuge im Bericht der offiziellen Untersuchungskommission

      „Es waren viel zu viele Leute auf zu engem Raum, die nur ­vorwärts gehen konnten.“

      Ein Augenzeuge im Rolling Stone

      „Das ist das Ende.“

      Rogers erste Reaktion, als er nach dem Konzert über das ­Ausmaß der Katastrophe informierte wurde

      Während der Filmfestspiele in Cannes, die zu einer Hommage an Keith Moon gerieten, war es auch zu einer nostalgischen Begegnung zwischen den Who und ihrem Ex-Manager Kit Lambert gekommen.

      Es lässt sich nicht ganz rekonstruieren, weshalb der schwer drogenabhängige Lambert plötzlich in Südfrankreich auftauchte, und vor allem, wie er die kostspielige Reise dorthin finanzieren konnte, wo doch das Vormundschaftsgericht seine Eingaben zur Wiederherstellung seiner Geschäftsfähigkeit regelmäßig ablehnte. Wir erinnern uns: Um den vollständigen Verlust seiner Güter und Rechte an die Banken abzuwenden, hatte sich der einst geniale homosexuelle Exzentriker, der The Who groß gemacht hatte wie Manager Brian Epstein die Beatles, im Herbst 1976 vom Court of Protection als unmündig erklären lassen (siehe Band zwei). Lambert focht seitdem einen verzweifelten, aber hoffnungs­losen Kampf um Glaubwürdigkeit. Zu groß waren seine Schulden, zu hartnäckig die Gläubiger in England, Italien und den USA, und zu schwer wog seine Sucht, der Alkoholismus und seine nachgewiesene Unserio­sität, um das ­Vormundschaftsgericht überzeugen zu können. Wer sich einmal diesem ­Kuratorium unterstellt hatte, musste sehr gute Argumente vorbringen können, wenn er aus der Vormundschaft wieder entlassen werden wollte. Und diese Argumente hatte Lambert offenkundig nicht.

      Nach dem zweiten Konzert im römischen Amphitheater traf der gebeutelte­ Ex-Manager seine früheren Mündel – vermutlich mit dem ­Vorsatz, sich der Band erneut anzudienen. „Kit hat mir gerade in fünfzehn Minuten erklärt, was mit den Who nicht stimmt“, berichtete Pete nach dem Wiedersehen. „Und er hat recht.“

      Dieses Statement wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der ­beiden Gesprächspartner. Kit hätte sich eher damit beschäftigen sollen, was mit ihm selbst nicht in Ordnung war, und auch Petes Konfusion muss beachtlich gewesen­ sein, wenn er sich allen Ernstes eine Analyse der Bandsituation zu eigen machte, die von einem gefallenen Lebemann kam, der zum unrett­baren Trinker, Junkie, Habenichts geworden war.

      Lambert jedoch zog aus Petes Äußerung die vage Hoffnung, die Who würden­ ihn wieder als Manager akzeptieren. Er wusste, dass der aktuelle Geschäftsführer Bill Curbishley Rogers Mann war, und er versuchte Pete klar zu machen, dass diese Kon­stellation auf Dauer zu seinem Nachteil gereichen würde. Außerdem benötigte Lambert dringend Geld. Von seinen Reichtümern war ihm nichts mehr geblieben, nachdem das Gericht erst einmal die Forderungen der Gläubiger befriedigt hatte. Die private Treuhänderin Daria ­Shuvalloff, Kits Jugendfreundin, hatte ihre Aufgabe inzwischen weitgehend an einen amtlichen Konkurs­verwalter übergeben, der bei einem Besuch in ­Lamberts venezianischem Dogenpalast umgehend den Verkauf des Hauses angeordnet hatte.

      Der Palazzo Dario war in einem erbärmlichen Zustand. Kaum noch möbliert, da regelmäßige Auktionen das kostbare Interieur zur Deckung der Kredite und Forderungen fast völlig ausgebeint hatten, inzwischen dreimal ausgeraubt und durch einen Brand beschädigt, nachdem die in einem Seiten­flügel hausende Vertraute Lamberts, Anya Butler, vergessen hatte, die Heizung­ abzustellen, fand das ehedem märchenhafte Haus am Canale Grande­ zunächst keinen Käufer. Sotheby’s versteigerte im Sommer 1979 den Rest der Einrichtung – darunter die wertvollen Kristallkronleuchter, die Bibliothek, Gemälde und persönliche Gegenstände Lamberts – für vierunddreißig­tausend Pfund. Das Haus selbst kam erst im November 1979 unter den Hammer und fand für dreihundertsechzigtausend Pfund einen Käufer, ­woraufhin Daria ­Shuvalloff ihre Pflicht als erfüllt betrachtete und von ihrem Amt als Treuhänderin zurücktrat.

      Lambert zeigte sich über die Schuldentilgung wenig erfreut, vielmehr bezichtigte er alle daran Beteiligten, sie hätten sich persönlich an seinem Leid bereichert. Er lebte inzwischen nicht mehr bei seiner Mutter, sondern hatte bei einem kinderlosen Ehepaar Unterschlupf gefunden, das sich allerdings bald nach seinem Einzug trennte. Abermals obdachlos geworden, erinnerte er sich an eine alte Bekannte, Louise Fitzgerald, die einst in der Werbeabteilung eines Schallplattenvertriebs gearbeitet hatte. „Eines Tages stand er plötzlich vor der Tür meines Apartments“, erzählt sie, „mit zwei Papiertüten unter dem Arm. Es war schockierend, dass er wohl nur noch die Möglichkeit hatte, eine ferne Bekannte wie mich aufzusuchen. Er sah aus wie ein Landstreicher, und als ich ihm das sagte, meinte er nur: ‚Geld brennt dir Löcher in die Hosen­tasche.‘ Ich sagte ihm, dass er drei Monate bleiben dürfe, und dass die Haus­regel vorschrieb: ,Keine Jungs!‘“

      Louise Fitzgerald war nicht die erste und auch nicht die letzte weibliche Rettungsstation, die Kit Lambert in seiner Not aufsuchte. Seine Motive waren relativ durchsichtig und nachvollziehbar. Was die alleinstehenden Damen