Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock III


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keine Zeit verlieren und die leidigen Diskussionen über die Zukunft der Gruppe möglichst schnell beenden. „Kurz nach Keiths Tod musste ich in die USA, um den Soundtrack von The Kids Are Alright fertigzustellen“, erinnert sich John. „Ich konnte in keinen Klub mehr gehen, ohne dass jemand am Nebentisch mit seinem Besteck los­trommelte – in der Hoffnung, von mir entdeckt zu werden.“

      Neben den vielen Namen von britischen Drummern, die in der Öffentlichkeit als Keiths Nachfolger genannt wurden, gab es auch einige Kollegen, die sich selbst ins Gespräch brachten. „Als Keith starb“, erzählt Phil Collins, dessen­ Gruppe Genesis dem vorläufigen Ende zusteuerte, „rief ich Townshend an und sagte: ‚Wenn ihr einen Schlagzeuger braucht – ich würde den Job liebend gern übernehmen.‘ Ich wusste, dass man Feuer braucht, um mit The Who zu spielen, und das hatte ich. Zu ihren Songs hatte ich einst vor dem Spiegel Schlagzeugspielen gelernt. Pete antwortete: ‚Ja, Mann, das wäre toll, aber Kenney Jones ist schon auserkoren, die Nachfolge zu übernehmen.‘“

      In dieser etwas steifen Formulierung dringt zweierlei durch: Erstens hatten­ sich The Who viel früher auf Kenney festgelegt, als sie das öffentlich bekannt gaben. Vermutlich hatten Pete und Kenney schon im Oktober ­­darüber gesprochen, als sie gemeinsam an Paul McCartneys Rockestra mit­­wirkten. Die offizielle Vorstellung folgte trotzdem erst im Winter.

      Und zweitens war die Entscheidung für Kenney nicht ganz frei von Nebengeräuschen. Roger nämlich stellte sich quer. Er wollte weder den Ex-Faces-Drummer, dem er nicht zutraute, in Keiths Fußstapfen zu treten, noch wollte er irgendeinen vierten Musiker kurzerhand als vollwertiges Bandmitglied aufnehmen, wie John und Pete das vorhatten. The Who hatten schließlich fünfzehn Jahre lang hart dafür gearbeitet, um so weit zu kommen, und er hielt es für ungerecht, unklug und unnötig, einem neuen Mann sofort die gleichen Rechte und Gewinnanteile zuzugestehen.

      „Niemand konnte Keith ersetzen“, erklärt Roger. „Er war der beste Schlagzeuger der Welt. Wir hatten nach seinem Tod die Chance, vollkommen frei zu entscheiden und alles mögliche auszuprobieren. Meinetwegen hätten­ wir sogar mit einem Streichquartett experimentieren können. Ich hatte wegen Kenney scheußliche Streitigkeiten mit Pete. Kenney war sicherlich ein guter Drummer und ein prima Kerl, aber er war nicht der richtige Schlagzeuger für The Who. Sein Stil passte nicht. Aber keiner wollte auf mich hören. Ich ging sogar so weit, dass ich Pete vor die Wahl stellte – entweder Kenney oder ich. Pete meinte nur gelangweilt: ‚Ich schätze, das ist überhaupt keine Frage …‘ Er teilte mir sozusagen mit, dass ich die Band verlassen sollte. Ich war völlig verzweifelt. Wir kriegten die Sache schließlich auf die Reihe, aber wieder war ich es, der seinen Stolz herunter­schlucken­ musste. Ich musste eine Menge Scheiße fressen über all die Jahre, damit alles heil und zusammen blieb.“

      Über seinem Schmerz übersah Roger vermutlich, welch glückliches ­Händchen der Who-Vordenker bei seiner Wahl für Kenney Jones in anderer ­Hinsicht bewies. Oder war es Zufall, dass der ehemalige Schlagzeuger der Modband Small Faces just zu einem Zeitpunkt den vakanten Posten bei The Who besetzen sollte, da die Who-Unternehmensgruppe den Plan gefasst hatte, Petes Modstory Quadrophenia zu verfilmen?

      Wir erinnern uns, dass Manager Bill Curbishley genau an Keiths ­Todestag die Finanzierung des Films unter Dach und Fach gebracht hatte. Nachdem man verschiedene Regisseure und Drehbuchautoren mit der ­Produktion in Verbindung gebracht hatte, fiel die Wahl schließlich auf den britischen ­Filmemacher Franc Roddam, der bereits im Oktober mit der Arbeit an ­Originalschauplätzen in Brighton begann. Pete und Roger wollten Quadrophenia unbedingt so realistisch wie möglich anlegen und nicht als fanta­stisches, grellbuntes Psychoabenteuer wie Tommy, was abermals dafür spricht, dass The Who die für viele überraschende Wiederkehr des Modkults zum Ausgang der siebziger Jahre frühzeitig erkannt hatten und sogar entscheidend mit prägten.

      Regisseur Roddam hatte zuvor eine erfolgreiche Reality-Serie (The Family) für die BBC gedreht, und sein letzter Film, ein von vierzehn Millionen fas­zinierten Briten mitverfolgtes Fernsehspiel namens The Dummy, behandelte das tragische Schicksal einer taubstummen älteren Prostituierten. Pete hatte das außergewöhnliche Fernsehdrama gesehen und war davon begeistert. Genau so eindringlich und wirklichkeitsnah wollte er seine vor fünf Jahren vertonte Rockoper Quadrophenia auf der Leinwand sehen.

      The Who sollten in ihrem Film übrigens nicht selbst auftreten, obwohl sie ihn produzierten. Bill Curbishley und sein Mitarbeiter Roy Baird, der auch den Kontakt zu Roddam hergestellt hatte, übernahmen die Leitung über die zweieinhalb Millionen Dollar teure Produktion und hielten den langwierigen Entstehungsprozess eisern durch.

      „Es ist viel schwieriger, einen Film zu produzieren, als einen zu drehen, denn letztlich überantwortet man seine Story dem Regisseur“, sagt Pete. „Das erste Drehbuch schrieb ich mit Chris Stamp; es enthielt noch keine Gewaltszenen. Für mich fand die Gewalt in den Köpfen der Jungen statt. Mein Drehbuch war mehr eine Studie über spirituelle Verzweiflung, über eine Hoffnungslosigkeit, die dazu führt, dass jemand das erste Mal in seinem Leben erkennt, wie wichtig es ist, sein Herz zu öffnen. Da ging es noch nicht um Blut oder um Schneid, um Blitz und Donner, wie später im Film. Franc Roddam dachte wohl, das macht gutes Kino aus.“

      Roddam bearbeitete Petes Ausgangsstory mit zwei Autoren so lange, bis ein klares Skript entstand, das dennoch „den Geist des Who-Albums enthält“, so die Vorgabe des Managements. Roddam traf zu diesem Zweck auch mit Pete zusammen und erzählte beeindruckt:

      „Er ist außerordentlich intelligent, wach und gut informiert. Ein sehr ­reicher­ Mann, aber immer noch mit allem verbunden und berührbar. Die Kernidee von Quadrophenia ist, dass einem nicht erlaubt wird, man selbst zu sein. Von der Familie kommt Druck, von der Schule, vom Beruf, und wenn man sich entwickeln will, muss man diesem Druck standhalten. Ich versuche, diese Idee des Albums in bewegte Bilder zu übersetzen, aber die Musik spielt dabei eine geringere Rolle. In Tommy dominierte die Musik den Film, war seine treibende Kraft und kontrollierte die Handlung. In Quadrophenia ergänzt und unterstützt die Musik die Handlung nur, sie greift kaum bestimmend ein. Das war eine ziemlich schwierige Entscheidung, denn damit wurde die Musik in den zweiten Rang versetzt. Auf diese Weise wurde es eine ganz andere Art von Film als Tommy“.

      Das war auch notwendig, sollte dem Leinwandepos nicht das gleiche Schicksal widerfahren wie Petes gleichnamigem Album von 1973. Die Story von Quadro­phenia hatte im wichtigsten Musikmarkt der Welt, in den USA, zu wenig Eindruck hinterlassen, da der Modkult ein vorwiegend britisch-urbanes Phänomen gewesen war. Eine weitere Aufgabe von Franc Roddam bestand deswegen darin, die Geschichte von ihrem soziologischen Binnencharakter zu befreien. Letztlich sollte es eine sensible Studie um die ewigen Themen von männlichen Heranwachsenden werden: Konfrontation mit Autorität und Gewalt, Revolte, Auflehnung, Frustration. Das waren nicht bloß Aspekte der Modbewegung, sondern im Kern die Ursache dafür, dass sich so viele männliche Jugendliche auf der ganzen Welt mit den Who und ihrer energiegeladenen Musik identifizierten.

      Petes kunstvolle Konstruktion der vier Persönlichkeitsanteile von Jimmy, dem unsicheren Quadrophenia-Helden, der vorwiegend in Konflikt mit sich selbst stand, wurde effektvoll nach außen verlagert: auf den mythologisierten Konflikt zwischen Rockern und Mods, sowie auf die Fragen, welcher Kleiderordnung man sich zugehörig fühlte, ob man lieber Harley oder Vespa fuhr oder sich eher mit Pillen als mit Bier zudröhnte. Was viele Kritiker bei dieser simplen Struktur übersahen, war, dass Heranwachsende sich tatsächlich mit solchen Problemen beschäftig­ten. Selbst Pete, der doch völlige Wirklichkeitsnähe wollte, aber schon deutlich über dreißig war, hatte vergessen, wie stark sich Teenager nach Identität und Absicherung durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe sehnten. Er meinte:

      „Für das ganze Klamottentheater rund um die Mod-Renaissance waren doch vor allem The Jam verantwortlich,“ – eine englische New-Wave-Band, die sich stark an The Who orientierte – „die hatten damit angefangen, während wir bloß das Glück hatten, dass es den Film gab. Vor unserem ersten Konzert nach Keiths Tod im Rainbow konnte ich nicht widerstehen, zu den langen Reihen von Jugendlichen raus zu gehen, die alle Parkas mit Who-Stickern trugen. Ich fragte: ‚Habt ihr schon mal The Who spielen sehen?‘ Ein Junge drehte sich um, er hatte keine Ahnung, wer ich war. Er warf mir bloß einen Blick zu, in der Richtung von: ‚Hau ab, du altes Arschloch.‘ Und mir wurde plötzlich klar,