Christian Gude

Mosquito


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identifiziert hatte. Bartmanns Bemerkung überspielend, referierte er hastig den Sachstand und wendete sich an Habich.

      »Haben Sie eine Idee, wie wir die Leiche möglichst schonend bergen können und eine ordentliche Spurensicherung am Fundort hinbekommen?«

      »Da fallen mir spontan drei Möglichkeiten ein, von denen Ihnen zwei ganz sicher nicht gefallen werden.«

      Habich kicherte über ihre Bemerkung wie ein kleines Schulmädchen, für eine ausgewiesene Spezialistin im Alter von fast 50 Jahren eine deplatziert und infantil wirkende Masche, mit der sie sich bei Besprechungen präventiv vor Angriffen und Kritik zu schützen suchte. Sie hatte die aschfahle, ledrige Haut einer langjährigen starken Raucherin und wirkte nervös, weil sie sich in der Herberge keine Zigarette anzünden konnte.

      »Erklären Sie mir alle drei.«

      »Die erste: Wir lassen den ganzen See ab, bis am Fundort nur noch ein paar Zentimeter Wasser stehen, genug für eine Arbeitsplattform mit flachem Boden. Das würde sicher ein paar Tage dauern, aber wir hätten optimale Arbeitsbedingungen.«

      Bartmann nickte zustimmend, Rünz schüttelte den Kopf.

      »Und ich werde von einer Meute aus Anglern, Woogsfreunden, Naturschützern, Enten, Schlammbeißern und Badegästen, angeführt vom Oberbürgermeister, aus der Stadt gejagt. Die Alternativen, bitte.«

      Habich giggelte. Bartmann rollte mit den Augen. Erwachsene Menschen, die zur Regression neigten, waren ihm zuwider.

      »Na ja, Möglichkeit zwei: Wir könnten rund um die Fundstelle eine Spundwand einbauen und innen das Wasser abpumpen, dann hätten wir zumindest ein paar einigermaßen trockene Quadratmeter, auf denen wir bergen und sichern könnten.«

      »Wie viel Aufwand ist das?«

      »So eine Wand ist aus einzelnen Metallprofilen zusammengesetzt, die direkt nebeneinander mit einer hydraulischen Presse in den Seegrund gedrückt werden. Dazu braucht es allerdings schweres Gerät, das kostet ein paar Wochen und einige 10.000 Euro, und Ärger mit den Naturschützern wird es da auch …«

      »Ich hoffe, das waren die beiden Möglichkeiten, die mir nicht gefallen werden«, unterbrach Rünz sie.

      Sie kicherte wieder.

      »Richtig. Vorschlag drei, mein Favorit: Wir ziehen mit einer Seilwinde den Betonklotz hoch. Dann organisiere ich so eine Art Staubsauger, mit dem Unterwasserarchäologen arbeiten. Damit können wir den Schlick auf der Leiche und drum herum absaugen und an Land mit einer Filtereinheit alles auf Verwertbares sieben. Mit dem Sauger könnten wir heute Nachmittag schon loslegen und der finanzielle Aufwand ist überschaubar. Dafür brauche ich allerdings die DLRG-Truppe zur Unterstützung.«

      Rünz schaute zum Rechtsmediziner.

      »Einwände, Herr Bartmann?«

      Der Rechtsmediziner blinzelte aus dem Fenster in die Morgensonne. Er nahm seine Brille ab und massierte seine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger.

      »Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir den Korpus unversehrt herausbekommen. Mir wäre am liebsten, wir könnten ihn mit dem Seesediment, in dem er steckt, wie ein Kuchenstück herausschneiden, dann könnte ich ihn an Land quasi in situ…«

      »Das wird nicht funktionieren«, unterbrach ihn Habich. »Dafür müssten wir mindestens zwei oder drei Kubikmeter tropfnassen Schlick mit herausheben, das sind über zwei Tonnen Gewicht. Das geht nur mit einem großen Greifer, das haben nur Schwimmbagger, das ist unrealistisch.«

      Rünz versuchte zu vermitteln. »Wenn Sie mit Ihrem Staubsauger den Körper vom Schlamm befreien, können wir ihn vielleicht konventionell mit ein paar Tragegurten heben. Wir müssten schonend vorgehen.«

      »Ziehen Sie mir wenigstens rund um die Leiche vier oder fünf Sedimentproben mit dem Kernbohrer, ich will sehen, ob die Stratigrafie gestört ist. Außerdem brauche ich ein paar Wasserproben aus verschiedenen Tiefen.«

      Bartmann leistete kaum Widerstand, er schien erschöpft. Er arbeitete zuviel, hatte aber keine Alternative. Weit in der zweiten Lebenshälfte wurde die noch zur Verfügung stehende Zeitspanne für produktive berufliche Tätigkeit überschaubar, eine deprimierende Erkenntnis für einen leidenschaftlichen Wissenschaftler.

      Rünz ließ die beiden für die Klärung technischer Details alleine und ging. Er übergab Wedel, der noch mit den DLRG-Leuten am See stand, die Einsatzleitung vor Ort mit der Bitte, ihn rechtzeitig zur Bergung zu rufen. Dann fuhr er nach Bessungen ins Präsidium.

      2

      Er versah seine Bürotür mit einem ›Bitte nicht stören‹-Schild und unterrichtete die zuständige Staatsanwältin telefonisch. Sie gab ihm vorab das mündliche Einverständnis für die besprochenen Aktionen am Fundort. Sein Vorgesetzter Eric Hoven würde ihn im Laufe des Tages sicher noch kontaktieren, aber nicht vor Mittag. Hoven hatte einen Termin beim BKA Wiesbaden, es ging um effizientere Zusammenarbeit zwischen BKA, LKAs und Präsidien, schlankere Entscheidungsstrukturen, optimierte Kommunikationsprozesse, verbessertes Qualitätsmanagement – die postmoderne Sintflut, die aus der Wirtschaftswelt heraus alle Lebensbereiche überschwemmte und vor der Staatsgewalt nicht Halt machte.

      Rünz legte den Kopf auf den Schreibtisch und döste ein. Kurz vor Mittag schreckte er auf, in einem der Kreißsäle im Marienhospital mussten die Fenster offenstehen, er hörte die markerschütternden Schreie einer Gebärenden. Übelkeit und Kopfschmerzen waren leichtem Hunger gewichen. Er fand in seinem Schrank ein Ersatzhemd und machte sich in den Sanitärräumen der Bereitschaftspolizei frisch. Dann ging er in die Kantine und stellte sich einige Beilagen zusammen, gekochten Reis und Salzkartoffeln, Speisen mit denkbar geringem Risiko einer Kontamination durch pathogene Erreger, die sich in seinem Magen-Darm-Trakt unkontrolliert vermehren konnten. Zur Sicherheit würde er ohnehin nur einen Teil der Beilagen essen, gerade so viel, dass er am Nachmittag, wenn er von der Arbeit abgelenkt war, verdauen konnte und abends mit leerem Magen aus der Gefahrenzone war. An einem der kaum besetzten großen Tische stellte er sein Tablett ab und zog ein kleines, in Folie verschweißtes Plastikbesteck aus der Tasche, das er stets dabeihatte. Das Letzte, was er brauchen konnte, war eine durch Schmierinfektion infizierte Kantinengabel, die durch die Hände eines kranken Küchenmitarbeiters gegangen war. Mit gesenktem Kopf begann er zu essen, den Blickkontakt mit Kollegen und anderen Mitarbeitern meidend.

      Am Nebentisch saß eine Gruppe von Bereitschaftspolizisten, drei Frauen und drei Männer. Der Wortführer der Runde war Brecker, Rünz’ Schwager. Er lachte alle paar Sekunden dröhnend auf wie ein röhrender Hirsch. Er war ein massiger Typ mit Stiernacken und millimeterkurzen grauen Haaren und hatte Rünz den Rücken zugewandt, sein Oberkörper schien die Nähte des braunen Hemdes fast zu sprengen. Brecker hatte als Polizeihauptmeister die oberste Sprosse auf der Karriereleiter im mittleren Polizeivollzugsdienst erreicht, aber das frustrierte ihn nicht, er war eins mit seinem Beruf, ein Raubtier auf Streife, das allein durch seine physische Präsenz kritische Situationen im Außendienst meisterte und auch dann mal blaue Flecken verteilte, wenn es nicht unbedingt notwendig war. Ganz und gar alte Schule, hatte er für jüngere Kollegen, die nach heiklen Einsätzen schon mal den psychologischen Dienst des Präsidiums in Anspruch nahmen, nur Hohn und Spott übrig.

      Die Namen der beiden anderen Männer am Tisch kannte Rünz nicht, er nannte sie insgeheim die Lakaien, weil sie Brecker wie Pudel begleiteten und bei jeder seiner derben Zoten kräftig ablachten. Sie wirkten grotesk, wenn sie ihm nacheiferten und selbst versuchten, kernige Sprüche zu machen.

      Zwei der Frauen kannte Rünz, erfahrene Polizistinnen mit über zehn Jahren Berufserfahrung. Die dritte, eine untersetzte Brünette, vielleicht Anfang 20, hatte er noch nie gesehen. Eine Anfängerin. Beute für das Tier. Brecker fragte sie ohne Unterlass nach ihrem Privatleben, ließ sie aber nie zu Wort kommen, sondern schoss direkt sexuelle Anspielungen hinterher, über die der Rest der Truppe sich amüsierte. Die Brünette wirkte verunsichert, lachte mal mit, starrte dann wieder wie versteinert auf ihren Teller. Sie hatte den richtigen Zeitpunkt verpasst, eine klare Grenze zu ziehen und wollte sich jetzt nicht als Spielverderberin isolieren, obwohl ihr die Unverschämtheiten sichtlich unangenehm waren. Ihre beiden Kolleginnen