Etwas Wissenswertes über Kraniche
Der erste lateinische Name der Kraniche lautete »Ardea Grus«. Carl von Linné hatte ihnen diesen Namen zugeteilt. Der ließ sich dabei wohl von dem lateinischen Wort »Grus« inspirieren, das wohl eine Verkürzung des altgriechischen »Geranos« ist. Die alten Hellenen hatten für ihre Theateraufführungen solche »Geranoi« als Hebevorrichtungen für Kulissen konstruiert. Mit ihren langen Hälsen waren sie den großen Federtieren nicht ganz unähnlich.
Der spanische Gelehrte Isidor von Sevilla schlug vor, den Wortstamm auf das lateinische Verb »congruere«, das »übereinstimmen« heißt, zurückzuführen. In den romanischen Sprachen wird der Kranich dementsprechend auch als »Grulla« (spanisch), »Gru« (italienisch) und als »Grue« (französisch) bezeichnet. Der deutsche Name wird aus dem altgermanischen »Kranch« abgeleitet. Hier steckt auch wieder das schöne Wort »Kran« mit darin. Im Englischen ist das Wort für den großen Vogel ähnlich:»Crane«. Jeder kennt die großen rotschimmernden Moosbeeren, die im angloamerikanischen Sprachraum als »Cranberries« bekannt sind. Sie gehören zu der Lieblingsnahrung der Kraniche. In der neueren Ornithologie hat sich übrigens die Bezeichnung »Grus Grus« für den bei uns heimischen Graukranich durchgesetzt.
I
Potsdam
Montag, 23. Oktober 2006
Linthdorfs Wochenbeginn war stets eine Qual. Speziell nach einem langen Wochenende fiel es dem großen Mann besonders schwer, sich früh um sechs aus dem Bett zu quälen, das Bad zu suchen und den Tag in eine geordnete Struktur zu zwingen. Meist musste er in solchen Momenten an einen amerikanischen Film denken, der vor knapp zwanzig Jahren in den Kinos lief. Ein Reporter erlebte darin immer wieder ein und denselben Tag. In Erinnerung an diese lustige Filmkomödie nannte Linthdorf solche Tage wie diesen ebenfalls Murmeltiertag.
Also, dieser Montag begann auf alle Fälle wie einer dieser berüchtigten Murmeltiertage.
Die Fahrt nach Potsdam in der S-Bahn war auch wieder so ein typischer Horrortrip. Mit großer Verwunderung stellte Linthdorf fest, dass ihn die Menschenmassen, die früh und abends in den öffentlichen Nahverkehrsmitteln unterwegs waren, nervten. Nie hatte er bisher ein Problem mit seinen Mitmenschen gehabt. Er kannte keinerlei Berührungsängste und galt auch nicht als schüchtern. Aber diese aggressive Lust der Leute am Drängeln und Schieben, so als ob sie zu kurz kämen bei den großen Kämpfen des Alltags, trat besonders zu den Stoßzeiten offen zu Tage.
Linthdorf beobachtete diese Entwicklung nun schon seit geraumer Zeit mit wachsendem Unmut. Höflichkeit oder wenigstens etwas Zurückhaltung waren schon lange nicht mehr maßgeblich beim Kampf um die freien Plätze. Rücksichtsloser Einsatz von Ellenbogen und anderen Körperteilen hingegen war zur Regel geworden.
Eigentlich brachte den Kommissar nicht aus der Ruhe. Er war immerhin stattliche 204 Zentimeter groß und auch sonst kein Strich in der Natur. Aber was da so in Schulterhöhe um ihn herum wimmelte, ließ ein ungutes Gefühl von körperlicher Ohnmacht in ihm aufsteigen. Man wurde automatisch mitgerissen von einem aufgescheuchten Wespenschwarm, begann sich plötzlich selbst wie eine Wespe, in Linthdorfs Fall, eher wie eine Hornisse, zu fühlen und verteilte ab und an ebenfalls nun kleine Ellenbogenkicks oder setzte seine Füße aktiv bei der Raumgewinnung mit ein.
Etwas zerknautscht erreichte Linthdorf auch an diesem Montag sein Ziel. Die Skyline von Potsdam war an diesem nebligen Oktobermorgen nur zu erahnen. Die runde Kuppel der Nikolaikirche schimmerte inmitten der vielen Quader der zahlreichen Plattenbautürme. Die Wasserflächen der Havelseen lagen versteckt unter einer dicken Nebelschicht. Erstaunlich war, dass viele Bäume noch ihr Blätterkleid hatten.
Im Flur wurde er schon von seinem Chef begrüßt. Dr. Nägelein, ein etwas missmutig schauender Bürokrat, war in Begleitung eines ebenfalls recht missmutig dreinschauenden Schlipsträgers an ihn herangetreten. Beide waren knapp zwei Köpfe kleiner als Linthdorf, der mit seinem schwarzen Mantel und dem schwarzen Borsalino-Hut noch gewaltiger aussah als sonst.
Linthdorf grüßte freundlich, schaute höflich auf die beiden Herren herab, die mit ihrer sauertöpfischen Mimik zur richtigen Stimmung an diesem Tag beitrugen. Umständlich stellte Nägelein seinen Begleiter vor: »Ja, also, Herr Linthdorf, Herr Dr. Knipphase. Also, Herr Dr. Knipphase vom BKA wird die neue Einsatzgruppe koordinieren, also bundesweit. Sie werden sich ja jetzt ...«
Er schaute etwas nervös auf seine dezent glänzende Armbanduhr, ein sündhaft teures Liebhaberstück aus dem Hause »Glashütte«, für das Linthdorf gut und gerne ein ganzes Jahresgehalt hätte ausgeben müssen.
Linthdorf hatte das unbestimmte Gefühl, dass hier sein Chef den BKA-Mann irgendwie beeindrucken wollte. Eigentlich waren auf den Gängen und Fluren des LKA überall große Funkuhren installiert, die von allen Winkeln aus gut zu sehen waren. Er selber trug deshalb auch nur sehr selten eine Uhr. Das Armband fühlte sich für ihn wie eine Art Fessel an, die er nur ungern spüren wollte. Es war eine Zeitfessel, die ihn stets gemahnte, pünktlich zu sein und damit eine wesentliche Quelle für Stress. Linthdorf hatte diese Zeitfessel daher, so oft es ihm möglich war, abgelegt. In seinem Schreibtisch lag eine Armbanduhr, in seinem Wagen ebenfalls, und zu Hause auf dem großen alten Radio lag noch eine. Allesamt Weihnachtsgeschenke von seinen Söhnen, die immer wieder bemerkten, dass er fast nie mit Uhr unterwegs war.
Er nickte flüchtig zu den Ausführungen Nägeleins und war froh, diese Begegnung auf das Notwendigste beschränkt zu haben. Er eilte schnell durch die Gänge in Richtung seines Büros um Mantel und Hut abzulegen und ein paar Unterlagen zu schnappen, mit denen er im großen Konferenzsaal seinen Platz etwas dekorieren konnte.
Es machte immer einen guten Eindruck, wenn man nicht an einem blanken Tisch saß, sondern etwas vor sich aufgebaut hatte. Linthdorf hatte durch lange Jahre Polizeidienst diese Erfahrung gemacht und damit stets wohlwollende Blicke auf sich gezogen. Meist verzierte er diverse Blätter mit kleinen Zeichnungen. Spiralen, die manchmal zu Schneckenhäusern wurden oder auch futuristische Raumschiffe, die durch die unendlichen Weiten des Alls düsten.
Er lächelte jedes Mal, wenn ihn die Kollegen fragten, was er da immer so mitschrieb. Die Vorträge waren doch meist vollkommen langweilig. Zumal man in einer sorgfältig zusammengestellten Mappe den Inhalt des Vortrags in kopierten Blättern noch einmal ausgehändigt bekam.
Die heutige Sitzung schien allerdings wenig Zeit für solche kleinen Fingerübungen zu lassen. Linthdorf ahnte, dass es komplizierte Fragen zu klären gab und eine Menge unangenehmer Arbeiten auf ihn zukommen würden. Der einzige Trost war, dass Louise Elverdink mit ihm zusammen arbeiten sollte.
Im Sitzungssaal A II waren bereits fast alle Plätze besetzt. Linthdorf sah einige vertraute Gesichter, aber größtenteils waren ihm die Leute unbekannt. Am anderen Ende der U-förmig angeordneten Tische sah er auch Louise Elverdink. Sie sah noch genauso aus, wie im Frühjahr. Das dunkle Haar straff zurückgekämmt und von einem Haarband zusammengehalten, die dunkel geränderte Brille korrekt auf der Nase sitzend, grüßte sie ihn mit einem flüchtigen Lächeln.
Linthdorf nahm auf einem der wenigen, freien Stühle Platz. Kurz nach ihm traf auch der missmutig blickende Dr. Knipphase zusammen mit seinem Chef ein. Beide setzten sich auf die beiden Plätze an der Stirnseite. Umständlich begrüßte Dr. Nägelein alle Anwesenden, stellte dann jeden einzeln kurz vor. Linthdorf stellte fest, dass die meisten Mitarbeiter der Steuerfahndungsbehörde waren und eigentlich dem Finanzministerium unterstanden. Ein paar Computerspezialisten waren auch dabei, die sahen etwas verwahrlost aus und schauten eher gelangweilt in die Runde. Aber immerhin, auch sechs Polizisten waren hier versammelt. Nägelein übergab jetzt das Wort an seinen Nachbarn Knipphase. Der begann mit monotoner Stimme kurz das Anliegen seiner Behörde an diese so eigentümlich besetzte Runde nahe zu bringen.
Natürlich es ging um Geld, viel Geld. Geld, das dem Staat zustand und nicht vorhanden war. Jedenfalls nicht offiziell. Mit ernstem Gesicht warf er mit