Thomas L. Viernau

Arkadiertod


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und auch die Rückzugsgefechte bei Halle an der Saale hatten nicht nur die Preußische Armee aufgerieben, sie machten auch den sonst so rechtschaffenen und zurückhaltenden König zu einem seelischen Wrack. Willenlos ließ er sich treiben.

      Nur dank des beherzten Eingreifens eines jungen Kavallerieoffiziers war der König der Gefangennahme durch die Franzosen entkommen. Er wähnte sich schon in Napoleons Händen, als ihn der preußische Major Karl Friedrich von dem Knesebeck mit seinen Reitern aus dem Gefecht holte und seinen Rückzug sicherte.

      Knesebeck begleitete den König auch bei seiner Flucht. Der hochgewachsene Offizier, ein Spross der auf Carwe im Ruppinischen lebenden Gutsherrenfamilie derer von Knesebeck, war außerdem ein heller Kopf und fähiger Stratege. Solche Leute waren rar, die konnte man noch gut gebrauchen.

      Bekümmert sah der König auf das Häuflein Soldaten, was ihm noch verblieben war. Die Hiobsbotschaften schienen nicht abzureißen. Nicht nur, dass die Reste der Armee verstreut in alle Winde waren, auch ein Großteil der jüngeren und fähigeren Offiziere war in Gefangenschaft geraten.

      Die schmählichen Kapitulationen der preußischen Festungen hatten beim König ebenfalls für Verstimmung gesorgt. Kein Ehrgefühl war mehr bei seinen Leuten, kein bisschen Anstand und Vaterlandsliebe. Berlin verbrüderte sich mit den Franzosen und feierte, ja, auch das war dem König zugetragen worden.

      Was ihn aber am meisten ärgerte, waren die bösartigen Schmutzkampagnen, die in den französischen Gazetten über seine Frau verbreitet und von den deutschen Zeitungen bereitwilligst nachgedruckt wurden. Seine liebliche Luise wurde in einem Artikel mit der antiken Helena verglichen, die aufgrund ihrer Schönheit nur den Untergang ihres Volkes herbeigeführt habe. Als ob Troja mit Preußen vergleichbar wäre!

      Ein noch schlimmeres Schundblatt schrieb etwas darüber, dass Königin Luise mit dem russischen Zaren Alexander I. ein Verhältnis habe.

      Impertinent!

      Sie war fasziniert von ihm, aber mehr wie ein junges Mädchen von einer Vaterfigur. Friedrich-Wilhelm wusste das. Er kannte seine Luise gut und wusste über ihre Herzensangelegenheiten Bescheid. Alles andere wäre ja auch fatal!

      In einem Flugblatt wurde er sogar als »Dämel« beschimpft. Im Kleingedruckten stand da noch etwas. Luise solle klagen darüber, dass er, also der König, da nachgebe, wo er nicht solle und dafür den Ratschlägen Wohlgesinnter eine unerschütterliche und unangebrachte Hartnäckigkeit entgegensetze. Was für ein despektierliches Pamphlet!

      Fatal, wenn das in die falschen Hände geriete. Glücklicherweise hatte der Kurier die gesamte Charge dem Zeitungsjungen abgenommen.

      Natürlich war der Kriegseintritt Preußens auf Drängen seiner Frau forciert worden. Luise war Napoleon ausgesprochen suspekt. Mit Abscheu sprach sie von ihm als einem »unmoralischen Monster«. So drastisch äußerte sich Luise sonst nie über ausländische Fürsten. Sie bedrängte ihn zusammen mit dem Außenminister von Stein und ein paar anderen Kabinettsmitgliedern, die Neutralität Preußens aufzugeben und dem Usurpator beherzt entgegenzutreten.

      Der König sinnierte vor sich hin. Luise, die sonst immer mit ihrer Fröhlichkeit und ihrem Optimismus alle ansteckte, litt mit ihm. Seit ein paar Tagen kränkelte sie etwas. Die letzten Wochen waren einfach zu viel.

      Der Leibarzt der Königin, Hufeland, hatte ein leichtes Nervenfieber festgestellt. Nichts Schlimmes, aber immerhin, man solle es nicht ignorieren und auf die leichte Schulter nehmen. Besorgt sah der König auf seine auch jetzt noch bildhübsche Frau. Ihre Haut war bleich, fast weiß, so dass ihre großen braunen Augen umso mehr zur Geltung kamen. Sie schaute ihren Gatten an und verkniff sich ein paar Tränen. Natürlich, sie wusste genauso Bescheid wie alle anderen.

      Die Kinder der beiden waren ebenfalls mitgereist und spielten im Moment mit ihren Zofen im Nachbarzimmer. Luise war im Winter gerade wieder vom Kindbett genesen. Der kleine Prinz hatte es leider nicht geschafft, am ersten April starb das Kleine. Luise war todunglücklich und brauchte geraume Zeit bis sie wieder zu Kräften kam. Ein Trost waren ihr die Kinder, die es geschafft hatten, gesund und glücklich heran zu wachsen. Sie hatte bereits zwei ihrer Kinder verloren, zwei Mädchen, Luise, die bereits tot geboren wurde, und Friderike, die gerade mal fünf Monate alt geworden war. Mit den männlichen Nachkommen hatte sie mehr Glück. Die waren allesamt prächtig gediehen: Prinz Friedrich-Wilhelm, der später mal König werden sollte, war ein inzwischen elfjähriger, musisch begabter Knabe, der gern zeichnete und sehr an seiner Mutter hing.

      Prinz Wilhelm, ihr zweiter Sohn, war ein aufgewecktes neunjähriges Bürschchen, der ein kleiner Wildfang zu werden schien und viel von dem Temperament seiner Mutter mitbekommen hatte.

      Ach ja, da gab es natürlich auch noch Prinzessin Charlotte. Ein zuckersüßes Ding, ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, mit ihren acht Jahren war sie der erkorene Liebling ihres Vaters, der sie zu vergöttern schien.

      Und da waren auch noch der kleine Carl und die noch kleinere Alexandrine, beide gerade so flügge geworden. Der fünfjährige Carl und die dreijährige Alexandrine krabbelten meist im Bett der Frau Mama herum und lebten in der vollkommen intakten Welt der Kleinkinder.

      Luise seufzte, wenn sie an die Zukunft ihrer Kinder dachte.

      Es stand schlimm um Preußen, womöglich würde es in Zukunft gar nicht mehr existieren. Anstelle des unabhängigen Königreichs gäbe es dann nur noch einen französischen Vasallenstaat, ähnlich dem neu geschaffenen Rheinbund, dessen Mitgliedsstaaten allesamt französische Interessen vertraten oder dem von Napoleons Bruder Jerôme geführten Königreich Westphalen. Nur als ein Traum wäre Preußen dann noch in den Köpfen der Leute vorhanden.

      Luise spürte, dass von ihrem Mann im Moment leider nicht viel zu erwarten war. Instinktiv wandte sie sich an den wichtigsten Mann des Preußischen Kabinetts, den Staatsminister Karl August von Hardenberg. Sie kannte Hardenberg lange bevor er Staatsminister wurde. Schon in ihrer Zeit als Prinzessin war er ihr ein väterlich zugetaner Freund, der sie und ihren jungen Gatten mit Rat und Tat unterstützte.

      Hardenberg, ein Mittfünfziger, dem man das Alter nicht ansah, war ein feinsinniger Mensch. Es hieß, er sei in seiner Jugend ein Duzfreund des Dichterfürsten Goethe gewesen und würde immer noch mit ihm in Korrespondenz stehen. In seiner Zeit als leitender Minister der preußischen Provinz Ansbach-Bayreuth habe er sich mit vielen klugen Leuten umgeben, die mit ihm über die Zukunft des Königreichs nachdachten. Darunter so geschätzte Männer wie der Geheime Staatsrat Wilhelm von Humboldt und der ebenfalls im Staatsdienst stehende Freiherr Karl vom Stein zu Altenstein. Beide Männer, die loyal und treu zum König standen. Also, Hardenberg war eine feste Bank.

      Mit ihm musste man reden können, wenn es darum ging, ob und wie Preußen weiter existieren könne.

      Luise nahm sich vor, mit ihm und wenn möglich noch ein paar weiteren Männern aus dem Kabinett zu reden. Vielleicht konnte sie dann ja auch ihren Mann aus seiner Lethargie wecken. Und natürlich, sie musste mit dem Zaren in Kontakt kommen. Wenn es einen festen Bündnispartner im Moment noch gab, dann war es Alexander I. Ansonsten schien ganz Europa ja schon dem frechen Korsen zu gehören.

       Wenige Frauen sind mit so viel Lieblichkeit begabt als sie. Doch ich muss innehalten, oder ihr werdet denken, dass mir der Kopf verdreht ist, wie es schon so viele Köpfe sind, durch die Schönheit und Anmuth der Königin Luise von Preußen…

      

       Paul Baillieu, Sekretär der Britischen Gesandtschaft zu Berlin

      II

      Osterode bei Königsberg in Ostpreußen

      Montag, 3. November 1806

      Der regnerische Tag schien zu der Stimmung der kleinen Gesellschaft zu passen, die hier im »Schwarzen Adler«, dem besten Gasthof mit Logis residierte.

      Überall nachdenkliche Gesichter, gesenkte Häupter und nur wenig Zuversicht. Man könnte glauben, dass es sich um eine Trauergesellschaft handele, aber die Kleidung der Versammelten widersprach dieser Beobachtung. Uniformierte in den Farben Preußens, also dem berühmten Blau, Zivilisten mit preußischen Orden am