Eindruck, den die Wölbung seines umfangreichen Bauchs unter dem kurzen blauen Uniformrock noch verstärkte. Weder die auffälligen, scharlachroten Manschetten noch der gleichfarbige Saum des Uniformrocks vermochten von dieser Unförmigkeit abzulenken. Die Kürze des Uniformrocks war einer seiner zahlreichen Sparmaßnahmen geschuldet, für die er berüchtigt war. Übrigens lehnte der Monarch Bittgesuche an seine Haushaltskasse mit eigenhändig verfassten, haarsträubenden Reimen wie etwa diesem ab:
„Eure Bitte kann ich nicht gewähren,
Ich habe hunderttausend Mann zu ernähren.
Geld kann ich nicht scheißen,
Friedrich Wilhelm, König von Preußen.“4
Sein Ruf als Geizhals eilte ihm voraus, der eines Banausen folgte ihm unmittelbar.
Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. vor seinen „Langen Kerls“ in Potsdam. Farbdruck, Karl Rönlig, um 1900
Das kleine Mädchen wurde aufgefordert, dem Monarchen den Rocksaum zu küssen, so wie es einem absolutistischen Herrscher gebührte. Doch sie war zu klein, der Rock zu kurz. Der König wehrte sie darum ab. Empört ließ sie ihn stehen und lief zu ihrer Mutter: „Sein Rock ist so kurz, dass ich gar nicht heranreichen kann! Er ist doch reich genug, um einen längeren zu haben!?“5 Umgehend wurde dem König der Tadel des Kindes hinterbracht. Er musste lachen und behielt dieses „naseweise Kind“, wie er es nannte, nicht nur im Gedächtnis, sondern erkundigte sich nach dessen Fortschritten, wann immer er auf den Vater traf. Sie wurde als Anwärterin auf einen europäischen Thron in Erwägung gezogen, auch wenn sie von den eigenen Eltern unterschätzt wurde: hässlich sei sie, von eher gewöhnlicher Begabung. Es war ein schwedischer Diplomat, der die Mutter eines Tages darauf aufmerksam machte, dass in dem Mädchen Geist und Vorzüge steckten, die dringend gefördert werden müssten. Dieser Hinweis hatte triftige Gründe: Schweden suchte die nächste Kandidatin für den Thron. Die junge Askanierin galt als erste Wahl.
Im Alter von zehn erhielt Sophie zusammen mit ihrer Mutter die Einladung ihres Onkels, der seinen älteren Bruder als Fürstbischof von Lübeck beerbt hatte6. Die Reise führte sie nach Eutin. In der dortigen Residenz sollte sie dessen Mündel kennenlernen, den elfjährigen Karl Peter Ulrich, den Sohn seines Cousins. Sophie und Peter waren demnach miteinander verwandt, allerdings erst in der Enkelgeneration - ihre Großväter waren nämlich Brüder gewesen. Zunächst als Kandidat für den schwedischen Königsthron gehandelt, kamen jedoch bald auch Rufe aus Russland, weil Peters mit zwanzig Jahren verstorbene Mutter Anna Petrowna eine Tochter Peters des Großen gewesen war. Der in Kiel geborene Peter hatte seine Mutter nicht mehr kennengelernt, denn sie war bereits drei Monate nach seiner Geburt gestorben. Seine Erziehung oblag einem Schweden, Oberhofmarschall Brümmer. Dieser hatte einen ausgeprägten Hang zur heute so genannten „schwarzen Pädagogik“. Was bedeutete, dass er seinen zarten und blassen Schützling brutal prügelte, massiv bedrohte und ihn hungern ließ, was ihn für Peter zu einem der meist gehassten Menschen machte. Um diese Tortur überhaupt auszuhalten, sprach das Kind schon früh dem Alkohol zu, was es mitunter jähzornig und unbequem machte.
Großfürst Peter, der spätere Zar Peter III., Gemälde, um 1740, des Stuttgarter Malers Georg Christoph Grooth (1716-1749). Die Witwe des Malers würde man später Großfürst Peter als Maitresse zuführen.
Die kleine Sophie fühlte sich dennoch geschmeichelt, als zu ihr durchsickerte, dass sie als spätere Gemahlin für ihn in Frage käme. Das Mädchen träumte schon damals von einer Königinnenkrone auf dem Haupt.
Doch bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr schien Sophie, dieses schief gewachsene bucklige Kind eher ein hässliches Entlein gewesen zu sein. Auf Anraten des örtlichen Henkers – offenbar war er damals der Einzige, der über physiotherapeutische Kenntnisse verfügte – wurde sie in ein enges Korsett gezwängt, damit sie sich eine gerade Körperhaltung antrainierte. In Ermangelung äußerer Schönheit habe sie sich um „innere Vorzüge“ bemüht, schrieb die spätere Zarin nicht ohne Koketterie in ihrer Autobiografie, wusste sie doch, dass aus ihr längst ein schöner junger Schwan geworden war. Inzwischen hatte der Vater nicht nur den höchsten Militärrang eines Generalfeldmarschalls inne, sondern war, nach dem Tod seines Cousins, auch zusammen mit seinem Bruder der regierende Fürst von Anhalt-Zerbst7: Die Familie zog von Stettin in das Schloss Dornburg in der Nähe der thüringischen Stadt Magdeburg, schließlich nach Zerbst. Das Haus Hohenzollern wurde erneut auf die mittlerweile Vierzehnjährige aufmerksam, dieses Mal in Gestalt des Prinzen Heinrich, der sie auf Bällen zu seiner Tanzpartnerin auserkor. Diese offenkundige Zuneigung des jungen Prinzen blieb auch anderen nicht verborgen. Und sogar einer der Brüder der Mutter, ihr Onkel Georg, machte ihr eindeutige Avancen, die sie allerdings ob des engen Verwandtschaftsgrades ignorierte. Die Zeichen waren unmissverständlich. Sophie war geschlechtsreif: Die Brautschau hatte begonnen.
Kapitel 2
Ihr wisst, wes Tochter ich bin!
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Der junge Karl Peter Ulrich indes war nach Russland geholt worden: Dort hatte Elisabeth Petrowna, seine Tante und Schwester seiner Mutter, am 25. November 1741 den Thron zwar legitim, doch nach etlichen Wirren und ihrem Staatsstreich bestiegen. „Mir nach Männer, ihr wisst, wes Tochter ich bin!“ Mit dieser selbstbewussten Anspielung auf ihren Vater, Peter den Großen, hatte die streitbare Zarentochter zusammen mit der Garde den Winterpalast gestürmt. Ein Anderer hatte dafür weichen müssen: Iwan VI., dem seine Großtante, die im Oktober 1740 verstorbene Zarin Anna Ivanovna, den Thron vererbt hatte. Dieser einjährige Säugling – ein Urgroßneffe Peters des Großen - war chancenlos. Im Land regierten Chaos und Gewalt. Von seinen Eltern getrennt – sie wurden in Klosterhaft genommen - wurde er schließlich nach Schlüsselburg gebracht, einer abgelegenen Festungsinsel inmitten des Ladogasees, nördlich von Sankt Petersburg. Dort sollte dieser „Gefangene von Schlüsselburg“ fortan ein trostloses Leben in Vernachlässigung und Verwahrlosung fristen.
Zarin Elisabeth Petrowna, Zarin von Russland (1741-1762). Porträt, Gemälde, um 1741/7151. Alexej P. Antropow
Dass Elisabeth Petrowna während ihrer Brautsuche für ihren Neffen Peter auch Sophie von Anhalt-Zerbst als Ehekandidatin in die engere Wahl zog, war kein Zufall. Sie selbst hatte das Problem der schwedischen Thronfolge in einem Friedensvertrag8 gelöst: Statt Peters hatte sie erwirken können, dass der Fürstbischof von Lübeck, Adolf Friedrich, der jüngere Bruder von Sophies Mutter Johanna, zum schwedischen Thronfolger ernannt wurde. Er sollte als derjenige Herrscher in die Geschichte Schwedens eingehen, dessen hemmungslose Fresssucht ihn eines Tages das Leben kostete: Der König, der sich zu Tode fraß. Doch die Verbindungen Elisabeths zu Johannas Familie gingen noch viel weiter. Denn Elisabeth war mit Johannas älterem Bruder Karl-August von Schleswig-Holstein-Gottorf verlobt gewesen. Sie hatte eine innige Zuneigung verbunden. Ihre Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft wurde aber jäh zerschlagen, als Karl-August unmittelbar vor der Hochzeit an einer Pockenerkrankung starb. Elisabeth war damals untröstlich und beschloss, sich künftig nicht mehr zu verheiraten. Dieses sich selbst auferlegte Gebot hielt sie nach außen hin mit stoischer Gelassenheit aufrecht und wies interessierte Kandidaten erfolgreich ab. Mit dieser Verweigerung - in Wahrheit dem weiblichen Machterhalt geschuldet - tat sie es ihrer Namensvetterin gleich, der englischen Königin Elisabeth I.. Diese hatte damals mit ihrer theaterreifen Selbstinszenierung einer jungfräulichen Königin ihre Opferbereitschaft und Liebe für ihr Volk glaubhaft versichern können. Die russische Elisabeth hatte allerdings noch einen ganz anderen Grund für die lebenslange Verweigerung: Denn 1735 war ihr schließlich die große Liebe begegnet: Alexei Grigorjewitsch Razum, Sänger in der Petersburger Hofkapelle und Sohn eines Saporoger Kosaken.