Alexei Razumowski (1709-1771). Porträt, Gemälde, unbekannter Künstler
Sophie von Zerbst beschrieb ihn als einen der schönsten Männer, die ihr je begegnet waren. Er war aber keiner aus den europäischen Adelsgeschlechtern, sondern ganz im Gegenteil, einer aus dem Volk, auch noch aus der Ukraine – trinkfest und rau. Doch für Elisabeth kein Hindernis. Aus Razum wurde das elegantere Razumowski9 und der römisch-deutsche Kaiser Karl erhob ihn nach Elisabeths Thronbesteigung auch noch zu einem deutschen Reichsgrafen.
Übrigens änderte ein Zweig der Nachkommen während der bolschewistischen Herrschaft den Namen wieder zurück in Razum, beziehungsweise wandelte ihn in Rozum ab, um sich so den lebensbedrohenden Nachstellungen zu entziehen. Einer dieser Nachkommen, der 1954 in Moskau gebürtige Konzertpianist Yuri Rozum, führt heute als einer der zehn bekanntesten russischen Musiker die Tradition Alexei Razumowskis als eines herausragenden Künstlers fort und ist unter anderem Träger des Ordens „Peter der Große“. Mit ihm schließt sich der Kreis.
Mit den damaligen Erhebungen war der kaiserliche Gefährte Alexei Razumowski zumindest im Ansatz standesgemäß. Es wurde sogar gemutmaßt, dass sie in morganatischer Ehe geheiratet hatten – diese Ehe „zur linken Hand“ war rechtsgültig, jedoch unter Ausschluss des nicht standesgemäßen Partners und seiner Nachkommen von der Thronfolge. Razumowski verzichtete in seiner Bescheidenheit auf jegliche Ansprüche, wurde er doch anderweitig von der Zarin mit Auszeichnungen und Würden überhäuft. Vom Oberjägermeister über einen Ritter des Andreas-Ordens gelangte er schließlich in den höchsten Rang eines Generalfeldmarschalls. Trotz dieser etwas inflationär anmutenden Rangerhöhungen war Razumowski sehr beliebt und galt als gutmütig, großherzig und ritterlich. Am Ende war er jedoch machtlos gegen die erodierenden Gefühle der Kaiserin. Elisabeth verliebte sich 1749 in den über achtzehn Jahre jüngeren Iwan Schuwalow, dessen Familie sie bereits 1746 in den Grafenstand erhoben hatte. Sie machte ihn zu ihrem Kammerherrn, ehe sie ihm als ihrem Favoriten sogar politischen Einfluss gewährte. Der pausbäckige Schöngeist mit den wasserblauen Augen korrespondierte mit Voltaire und Diderot und gründete die Moskauer Lomonossow-Universität, benannt nach dem damaligen Universalkünstler Michail Lomonossow, sowie die Sankt Petersburger Akademie der Künste.
Iwan Schuwalow (1727-1797). Porträt, Gemälde, Fjodor Rokotow
In Ermangelung eigener Nachkommen, hatte Elisabeth ihren Neffen Peter adoptiert und zu ihrem Nachfolger bestimmt. Aus dem streng protestantisch erzogenen Kieler Jungen Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf wurde –gegen seinen Willen übrigens – der russisch-orthodoxe Großfürst Peter Fjodorowitsch. Und nun galt es, eine geeignete Gattin für den Thronfolger zu finden. Ganz oben auf der Wunschliste standen preußische Prinzessinnen, was aber dem preußischen König missfiel: „Hinsichtlich meiner Schwestern kennen Sie meine Ansicht – ich gebe keine nach Russland,“10 bestimmte der junge Friedrich II., der später als „der Große“ in die Geschichte eingehen sollte. Seit zwei Jahren saß er auf dem preußischen Thron, nachdem sein Vater, der Soldatenkönig, verstorben war. Er riet zu Sophie von Anhalt-Zerbst, alternativ noch zu zwei Prinzessinnen in Hessen-Darmstadt. Sehr zum Gefallen Friedrichs erging die Einladung Elisabeths schließlich an das Haus Anhalt-Zerbst. Ihr Brief traf am 1. Januar 1744 in Zerbst ein. Sophie war damals vierzehn Jahre alt. Der Wunsch der Mutter schien sich zu erfüllen, der Vater jedoch war nicht davon angetan. Er wollte nicht zulassen, dass seine Fieke so weit weg in ein solch’ fremdes und unheimliches Land zog, womöglich noch von Gefahr bedroht und allein gelassen.
Es hatte sich nämlich herumgesprochen, dass die Zarin mit äußerster Grausamkeit gegen ihre Feinde vorging. Nicht nur, wie sie die Auslöschung des kindlichen Zaren Iwan VI. und seiner Familie betrieben hatte, sondern auch, dass sie einer Hofdame die Zunge auf dem Blutgerüst hatte herausschneiden und eine andere trotz fortgeschrittener Schwangerschaft foltern und nach Sibirien hatte verbannen lassen. Auch wurde kolportiert, dass sie nicht gerade zimperlich mit Hofdamen umging, die ihr ihre Schönheit streitig machten: Solche bedauernswerten Geschöpfe mussten dann ihr Haar kurz schneiden oder es sogar zu einer Glatze stutzen lassen. Es war ein Hof voller Intrigen, Morde und gefährlicher Fehden, den der Vater fürchtete. Und nicht nur dies. Als überzeugter Protestant war ein Glaubenswechsel zum orthodoxen Glauben für ihn undenkbar. Dies wäre jedoch Voraussetzung, um überhaupt eines Tages Zarin von Russland werden zu können. Doch Elisabeth hatte ihn gar nicht eingeladen. Seine Bedenken ahnend, war die Einladung nur an Mutter und Tochter ergangen. Bei beiden siegte am Ende der Ehrgeiz, denn sie waren sich sehr wohl bewusst, dass Peter „von allen vorgeschlagenen Partien die glänzendste war“11.
Kapitel 3
Eine deutsche Braut für den Zarenthron
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Der Abschied verlief unter Tränen, doch er war unaufschiebbar: Bereits zehn Tage später brachen Sophie und ihre Mutter auf, zunächst mit dem Ziel Berlin. Sie reisten inkognito als Gräfin Reinbeck und Tochter. Auch Friedrich II. wollte Sophie, für die er sich verwendet hatte, nicht nur persönlich kennenlernen, sondern auch sicher gehen, dass von dieser Prinzessin keine Gefahr für Preußen ausgehen würde. Die Gelegenheit eines persönlichen Gesprächs bot sich anlässlich eines Soupers in der Redoute des Opernhauses. Der König hatte Sophies ehrgeizige Mutter ausmanövriert, die nur immer sich in den Mittelpunkt rückte, und sie an den Tisch seiner Frau gesetzt. Mit diesem strategischen Zug erreichte er, dass Sophie an seinen Tisch kam. Sogar direkt neben sich ließ er die Vierzehnjährige sitzen. Das erfüllte sie einerseits mit einem kaum zu verhehlenden Stolz, andererseits war sie dadurch eingeschüchtert. Der damals Einunddreißigjährige hatte eine traumatische Kindheit und Jugend hinter sich – er wurde vom eigenen Vater tyrannisiert, gemaßregelt, geprügelt und bestraft, hatte die Hinrichtung seines engsten Freundes miterleben müssen und war selbst in Haft gekommen. Es war der eigene Vater, der ihm Liebe, Vertrauen und Glauben brutal aus dem Leib geprügelt hatte. Es hatte ihn hart gemacht, unnachgiebig, schonungslos gegenüber sich selbst.
Flötenkonzert Friedrichs des Großen, König von Preußen (1740-1786) in Sanssouci. Gemälde, Adolph von Menzel (1815-1905)
Er war ein Verächter alles Verweichlichten und Weichen und hielt Frauen lieber auf Distanz, was für eine Vierzehnjährige den Umgang mit ihm nicht leicht machte. Und doch war er auch ein Schöngeist, Musiker und Literat. Die Unterhaltung thematisierte die Oper, die Komödie, Poesie und Tanz. Er gab sich sichtlich Mühe, das Kind an seiner Seite mit Themen zu unterhalten, zu denen es auch etwas beitragen konnte. Seine Ausführungen waren sachlich, doch geistreich. Unzweifelhaft war er ein Kenner. Seine etwas unbeholfenen Komplimente an das schüchterne Mädchen radierte die spätere Zarin Katharina wieder aus ihren Memoiren. Sie fühlte sich davon peinlich berührt.
Tafelrunde bei Friedrich II. in Sanssouci. Gemälde, Adolph von Menzel (1815-1905)
Am 16. Januar 1744 fuhr die kleine Reisegesellschaft weiter. In Schwedt an der Oder traf Sophie noch einmal auf ihren Vater. Besorgt gab er ihr Ratschläge mit auf den Weg, unter anderen den, ihren lutherischen Glauben auch im orthodoxen Russland beizubehalten. Es war das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie ihren Vater sehen sollte.
Der Landweg nach Russland, für den sie sich entschieden hatten, war schlecht ausgebaut, eine Poststraße, die vor allem im Winter selten befahren wurde: Matsch, Schneeregen und tiefe Spurrillen hatten sie aufgeweicht. Schnee lag keiner, weshalb sie mit der Kutsche fahren mussten. Übernachten konnten sie nur an den Stationsgebäuden. Es war so kalt, dass sie Kopf und Gesicht mit wollenen Tüchern schützten, so dass nur noch die Augen zu sehen waren. Mit jedem Kilometer wurden sie nicht nur durchgerüttelt, sondern bekamen schmerzhafte Frostbeulen, deren Juckreiz mitunter unerträglich war. Doch auch die Nächte auf den Stationen erwiesen sich als Albtraum: Es gab kein einziges beheiztes Zimmer, in das sich die übermüdeten