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Ich ging nicht sofort in die Kneipe, sondern wanderte drei Straßenzüge weiter bis zum nächsten Postamt. Ich überzeugte mich davon, dass mir niemand folgte, und ließ mich vom Fräulein vom Amt mit meinem Kollegen Frantzen verbinden.
Er begrüßte mich mit den Worten: "Herzlichen Glückwunsch. Wie machst du es nur, dass du immer wieder die besten Jobs bekommst? Ich würde gern mit dir tauschen und mit dieser tollen Frau zusammen arbeiten..."
"Es stimmt also", sagte ich.
"Du beziehst dich auf Karla Klausner? Ja, es stimmt. Das ganze Haus schwärmt von ihr."
"Was ist los mit euch? Habt ihr vor, euch in eine Pennälergemeinde zu verwandeln?" grollte ich. "Wenn man dich hört, könnte man meinen, du würdest munter auf dieser romantischen Welle mitschwimmen."
"Du hast’s nötig, dich aufzublasen!", spottete Frantzen.
"Wir können von dem Herzchen nur träumen, aber du wirst mit ihr unter einem Dach leben. Trifft es zu, dass die Mansardenwohnung nur ein Bett hat?"
"Ja, das trifft zu", sagte ich. "Es ist übrigens außergewöhnlich schmal."
Wir stoppten die Flachserei und beendeten das Gespräch, nachdem ich mir hatte sagen lassen, dass zwischenzeitlich keine neuen Hinweise auf das Verschwinden von Frank Steinfurt und die Ermordung von Erika Fuchs erfolgt waren.
Zehn Minuten später betrat ich das Lokal, das sich aus unerfindlichen Gründen "Knuff" nannte. Unter knuffig verstand ich etwas Anderes. Hinterm Tresen war niemand zu sehen. Der Pennbruder war verschwunden. Stattdessen saß ein einzelner Mann in der Nähe des Fensters und las in einer abgegriffen aussehenden Zeitung.
Als ich auf die Theke zuging, wandte der Mann den Kopf und schaute mich an. Mir war es zumute, als setzte mir jemand die Faust zwischen die Augen. Es gab nicht den aller geringsten Zweifel. Der Mann am Tisch war Franky Steinfurt.
12
"Hallo", sagte ich halblaut.
Er hob die Augenbrauen, nickte kurz und wandte sich wieder der Zeitungslektüre zu. Der Bierhahn tropfte penetrant in ein darunter gestelltes Glas, aber der Rauch, den Michael Krawulke und seine Freunde erzeugt hatten, war inzwischen verschwunden.
Es war sieben Uhr abends. Durch die beiden großen, mit schmutzigen Gardinen behängten Scheiben, die zur Straße wiesen, leuchtete eine warme, goldene Sonne hinein.
Sie warf einen rötlichen Schein auf Frank Steinfurts Gesicht, das ich von mindestens einem Dutzend Fotos kannte. Ich war überrascht, dass er es nicht verändert hatte, denn ihm musste klar sein, dass man ihn suchte.
Die Abendsonne, deren Strahlen nur spärlich durch die rauchverschmierten Scheiben fielen, sorgte in dem kleinen, spartanisch möblierten Lokal für eine seltsam anheimelnde, aber auch merkwürdig gespannte Atmosphäre. Ich trat an Steinfurts Tisch. Die Zeitung, in der er las, war drei Wochen alt.
"Sind Sie Geschichtsforscher?", spottete ich. "Oder enthält die alte Ausgabe Ihren Namen?"
Er ließ die Zeitung sinken. "Kennen wir uns?"
"Gestatten?", fragte ich, zog mir einen Stuhl heran und nahm an seinem Tisch Platz. Vor Steinfurt stand eine leere Kaffeetasse. Er war salopp angezogen. Sportsakko mit unaufdringlichem Karo, braunes Hemd, heller Schlips mit gelockertem Knoten, offener Kragenknopf.
Er war gut rasiert, sah aber trotzdem irgendwie abgespannt und strapaziert aus. Wie jemand, der nicht gut schläft. Seine Augen waren rot umrändert — wenn auch nicht sehr stark.
"Ja, wir kennen uns", sagte ich und blickte zur Theke.
Der Wirt war nicht zu sehen.
"Er kommt gleich zurück", informierte mich Frank Steinfurt. "Er muss was holen."
Ich schaute wieder Steinfurt an. Seine Mundwinkel zuckten leicht. Ansonsten machte er einen gefassten Eindruck.
Er schien keine Angst zu haben. Das überraschte mich. Mein Auftauchen und meine Worte mussten ihm klargemacht haben, dass er das Ende seines Fluchtweges erreicht hatte.
Vielleicht hatte er nichts zu befürchten. Vielleicht konnte er beweisen, dass er mit Erika Fuchs Tod nichts zu tun hatte - aber warum war er dann nicht auf die Idee gekommen, die Polizei dahingehend zu informieren? Ein paar Zeilen, oder ein höchstpersönlicher Auftritt hätten genügt, um der Behörde eine Menge Arbeit und Nachdenken zu ersparen.
"Sie sind Frank Steinfurt", stellte ich provokant fest.
"Bitte?"
Ich wiederholte, was ich gesagt hatte. Er schüttelte den Kopf.
"Ich bin Frank Kräutner."
"Wohnen Sie in der Nähe?"
"Nein, wieso?"
"Hören Sie, Frank, ich – darf sie doch Frank nennen? Sie haben kein ungewöhnliches, aber auch kein Allerweltsgesicht. Ich habe es schon auf vielen Fotos gesehen. Würden Sie bitte mal Ihren linken Unterarm freimachen? Ich möchte Ihre Narbe sehen."
"He, was soll das?", fragte er und seine Stimme nahm einen unangenehmen Beiklang an. "Ist das ein Verhör?"
"So was Ähnliches."
"Können Sie sich ausweisen?"
"Nicht hier. Wenn Sie wollen, gehen wir zur nächsten Polizeirevier."
"Schon gut", sagte er und zog sein Jackett aus. Ich beobachtete, wie er ohne Eile seinen Hemdsärmel hochkrempelte, und starrte auf seinen Unterarm. Er hatte keine Narbe.
"Zufrieden?", fragte er. Seine Stimme klang eher bitter als höhnisch.
"Moment", sagte ich und strich mit den Fingerspitzen über seine Haut. "Gute Arbeit. Alle Achtung! Fast nicht mehr zu sehen – nur spüren kann man sie noch."
Ich schaute hoch und ließ den Arm los.
"Wie haben sie das angestellt?"
"Ich weiß nicht, wovon Sie reden", versetzte er barsch, streifte den Ärmel nach unten, zog sein Jackett an und setzte sich wieder.
"Darf ich mal Ihren Pass sehen?"
"Langsam fallen Sie mir auf den Wecker", stellte er fest. "Was soll der Quatsch?"
"Ihren Pass, bitte."
Er zog die Brieftasche hervor, entnahm ihr seinen Pass und drückte ihn mir in die Hand. Ich musterte ihn mit den Augen eines Experten.