Isolde Kakoschky

Zweitsommer


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Bericht war so positiv, selbst die »normalen« Passanten auf der Straße äußerten sich nicht abfällig über das illustre Völkchen, dass die Eltern sich nun von Herzen für ihre Tochter freuen konnten.

      »Weißt du was, Berit«, überlegte Daniel am Abend, »wir könnten doch morgen einen Ausflug machen.« Berit ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken, als sie erwiderte: »Gute Idee, hast du schon ein Ziel ausgesucht?«

      »Ich dachte, wir fahren in den Harz, das ist nicht weit und ich denke, am Josephskreuz ist bestimmt einiges los zu Pfingsten. Wir könnten auch deine Mutti fragen, ob sie mitkommt. Es wäre doch gut, wenn sie mal rauskommt nach dem Schock. Auf Julia brauchen wir wohl nicht mehr zählen. Wer weiß, wann die beiden wieder zurück sind, da ist bestimmt erst mal ausschlafen angesagt und dann wird sie doch lieber zu Sebastian wollen als mit uns rum zu kutschen.«

      »Ja, genau so machen wir es!« Berit war mit allem einverstanden, was ihr Mann vorgeschlagen hatte. Es würde ihnen allen gut tun, dem Stress der letzten Tage zu entfliehen. »Ich rufe Mama gleich noch an.«

      Als Berit ihrer Mutter von Daniels Vorschlag berichtet hatte, war die, entgegen aller Befürchtungen, sofort einverstanden. »Wir holen dich dann ab, so gegen 10!«

      Sie verabschiedete sich von ihrer Mutter und wandte sich dem Fernsehprogramm zu. Die seichte Samstagabendunterhaltung plätscherte aber mehr an ihr vorbei, als sie es in sich aufnahm. Irgendwie waren ihre Gedanken nicht bei der Sache. Mehrfach ging ihr Blick zur Uhr und zum Telefon und wieder zurück. Zu gerne hätte sie Julia auf ihrem Handy angerufen, wollte wissen, ob es ihr gut ging, wo sie war. Doch sie verkniff es sich lieber. Wie peinlich war es damals gewesen, wenn die Mutter einfach »zur Kontrolle« in ihr Zimmer geplatzt war, wenn sie Besuch hatte oder wenn ihr Vater am Abend vor dem Jugendclub stand, um sie abzuholen. Oh, hätte es damals schon Handys gegeben, Berit hätte wohl keine ruhige Minute gehabt.

      Schließlich gingen Berit und Daniel zu Bett. Doch spät in der Nacht drang das vertraute Geräusch der Haustür an Berits Ohr und Julias Schritte auf der Treppe. Nun erst schlief sie ruhig weiter bis zum Morgen.

      Nach einem gemütlichen Sonntagsfrühstück rüstete sich das Ehepaar für den geplanten Ausflug. Sie legten für ihre Tochter einen Zettel auf den Tisch,

      dass sie zum Abend wieder da sein würden. Daniel zückte seine Geldbörse und holte noch 20 Euro heraus. Vom Taschengeld dürfte wohl nach dem Tag in Leipzig nicht mehr viel übrig sein. Vielleicht wollten die jungen Leute ja ein Eis essen gehen. Und auch wenn Sebastian schon 18 war, er befand sich noch in der Ausbildung und das Lehrgeld war hierzulande nicht so üppig.

      Berits Mutter musste schon fix und fertig angezogen hinter der Gardine gestanden haben. Kaum, dass sie mit dem Auto vor dem Haus angehalten hatten, kam sie auch schon aus der Tür.

      Berit war ausgestiegen, um ihrer Mutter den Platz auf dem Beifahrersitz anzubieten. Doch die lehnte ab. »Lass nur, Mädchen, euer Auto ist hinten doch auch bequem und Platz genug habe ich auch.« So stieg die Mutter also hinten ein und lehnte sich ins Polster zurück. Daniel sah noch einmal nach hinten, ob seine Schwiegermutter auch den Gurt umgelegt hatte, dann fuhren sie los.

      Sie nahmen die steil bergan führende Ausfallstraße in Richtung Harz. Der Vater hatte Berit einmal erklärt, dass diese Straße ein Stück der alten Kohlenstraße sei, die vom Harz bis zur Saale führte. Noch immer war es die kürzeste Verbindung, wenn man in den Harz wollte. Sie durchquerten zwei kleine Dörfer und bogen dann auf die Bundesstraße ein, die Harzhochstraße, die seit Jahrhunderten den Ost-

      harz und den Westharz verband. Auch das hatte ihr der Vati erzählt. Im Atlas ihrer Schulzeit und den damaligen Landkarten hatten der Harz und die Straße abrupt im Nichts geendet und Berit hatte sich gar nicht vorstellen können, dass danach doch noch etwas kam. Als die Straße wieder durchgängig befahrbar war, hatten sie sich auch den westlichen Teil des Harzes angesehen, waren in Braunlage und Clausthal-Zellerfeld gewesen. Doch es zog sie immer wieder hier her, in den östlichen Teil des Gebirges. Zwar waren auch hier die Souvenirläden und Restaurants nur so aus dem Boden geschossen, doch hatte sich der Kommerz nicht in dem Maße durchsetzen können, wie im westlichen Teil. Vieles hier war einfacher, aber auch uriger und die Menschen irgendwie herzlicher.

      So in ihre Gedanken versunken, bemerkte Berit gar nicht, dass sie die Hauptstraße schon verlassen hatten und sich dem Auerberg näherten. Daniel bog auf den Parkplatz ein. Früher hatten sie meistens in einem ständig feuchten Waldweg geparkt, wenn sie mit Markus hier hoch gefahren waren. Jetzt gab es einen, den Touristenströmen angepassten, großen befestigten Parkplatz. Aber noch immer stand der winzige Andenkenkiosk an der selben Stelle wie vor 25 Jahren. Fast so etwas wie Nostalgie kam in Berit bei dem Anblick auf.

      Am Beginn des Waldweges, der hinauf auf den Berg führte, stand ein Pferdegespann mit einem Kremserwagen. Daniel hatte es als erster entdeckt.

      »Seht mal, da könnten wir doch nach oben mitfahren!«, schlug er den beiden Frauen vor. Er dachte dabei natürlich an seine Schwiegermutter, welcher der beschwerliche Weg nach oben doch Mühe bereiten würde. Aber wie aus einem Mund kam von beiden die Antwort: »Gute Idee!«

      Der Fahrpreis, den der Kutscher verlangte, war moderat. So nahmen die drei in dem Wagen Platz. Rasch füllten sich auch die anderen Plätze und das Pferdegespann setzte sich in Bewegung. Langsam und bedächtig wand sich der Waldweg dem Gipfel entgegen. Und nach der letzten Kurve kam es den Fahrgästen ins Blickfeld, das Josephskreuz. Es galt noch immer als das größte eiserne Doppelkreuz der Welt. Vor über 110 Jahren nach dem Vorbild des Eiffelturms in Paris errichtet, erhob es sich seit dem auf dem Großen Auerberg fast 40 Meter in die Höhe. Ein traumhafter Blick war der Lohn für die mühsame Kletterei hinauf. Aber wer nicht schwindelfrei war, dem wurde dringend von der Besteigung abgeraten.

      Die drei Ausflügler hatten das auch gar nicht vor. Schon von Weitem hatte Blasmusik vom Berg geklungen. Nun setzten sie sich am Waldrand auf eine Bank und lauschten den Klängen der Kapelle,

      die sich mit einem Chor abwechselte, der romantische Volkslieder vortrug. Es war eine melancholische Stimmung, die doch nicht ins Traurige umschlug. Berit und Daniel sahen sich an und ohne Worte waren sie sich einig. Es war eine gute Idee gewesen, mit der Mutter hier her zu fahren.

      Eine Stunde später saßen sie im Biergarten des Berggasthauses und ließen sich das deftige Mittagessen schmecken.

      »Wollen wir nachher wieder mit dem Kremser fahren oder vielleicht laufen?«, erkundigte sich Daniel bei den beiden Frauen.

      »Ach weißt du«, meinte Berits Mutter, »es geht ja bergab und ein paar von den Kalorien kann man sich ruhig wieder ablaufen.« Sie deutete auf ihren gesättigten Bauch.

      »Gut, dann machen wir aber einen Abstecher zum Schindelbruch. Dort können wir Kaffee trinken oder ein Eis essen.« Das Hotel am Fuße des Berges entwickelte sich immer mehr zum Touristenmagneten. Vor zwei Jahren hatte Daniel seine Berit einmal zu einem Wochenendaufenthalt eingeladen. Und am Lächeln seiner Frau sah er, dass sie es noch immer in der besten Erinnerung hatte.

      Pünktlich zur Kaffeezeit nahmen sie auf der Terrasse des Hotels Platz.

      »Ach, wenn ich nur die Speisekarte lese, könnte ich schon wieder essen!«, schwärmte Daniel in Erinnerung an die Kochkünste des Hauses. Doch schließlich entschieden sich alle drei für Kaffee und Kuchen und genossen das Ambiente, hier inmitten des Waldes.

      Noch einmal gut gestärkt machten sie sich schließlich auf den Rückweg zum Auto. Daniel hatte zwar vorgeschlagen, alleine bis dorthin zu laufen und das Auto her zu holen, doch das war von seiner Schwiegermutter vehement abgelehnt worden. Und Berit war froh, ihre Mutti wieder in so guter Verfassung zu wissen. Sie konnte die Kraft brauchen, es würde noch schwer genug werden, bis sie den plötzlichen Tod ihres Mannes verarbeitet hatte.

      »Danke für den schönen Tag, ihr Lieben!« Berits Mutter stand vor der Haustür und umarmte Daniel und ihre Tochter. »Lass nur Mama, es hat auch uns gut getan. Morgen werden wir es noch ein bisschen schleifen lassen, aber am Dienstag geht die Arbeit von vorn los. Nur Julia hat Glück, bei ihr sind Pfingstferien. Sie wird dich ganz bestimmt mal besuchen kommen. Sie