Isolde Kakoschky

Zweitsommer


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und er tut Julia gut. Vielleicht lernst du ihn ja bald einmal kennen.«

      Damit umarmte Berit ihre Mutter noch einmal und stieg wieder ins Auto ein. Hinter der Mutter fiel die Tür ins Schloss.

      Kurz darauf lenkte Daniel das Auto in die Einfahrt. Es gab zwar auch eine Garage am Haus, doch wegen des Geschäfts hatte Daniel einen kleinen Lieferwagen angeschafft, der momentan wenig genutzt wurde und meistens in der Garage stand. Also musste der Audi mit dem Außenplatz vorlieb nehmen.

      Als sie ins Haus eintraten, wirbelte ihnen eine fröhlich lachende Julia entgegen.

      »Hallo Mami, hallo Papi! Na, hattet ihr einen schönen Ausflug? Und wie geht es Omi?«

      Daniel bremste den Überschwang seiner Tochter.

      »Mal immer langsam mit den jungen Pferden! Unser Ausflug war schön. Aber wir müssen dir doch erst mal die Gegenfrage stellen. Wie war denn euer Ausflug? Es war ja ganz schön spät oder eher früh letzte Nacht!«

      »Ach, wenn ich das alles erzählen würde, es könnte etwas länger dauern. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was da ab geht in Leipzig! Einfach genial. Und alles ganz friedlich, wir haben einen Haufen nette Leute kennengelernt. Wir haben sogar ein Autogramm von einem Sänger bekommen. Der lief da einfach auf der Straße rum und Basti hat ihn angesprochen. Der war so was von cool drauf! Ich glau-

      be, nächstes Jahr kaufen wir uns eine Wochenendkarte und fahren mit dem Zelt hin. Ich fange schon mal an mit sparen.« Sie machte eine kleine Verschnaufpause. »Und danke noch für das Geld, das war lieb von Euch, wir haben uns Döner gekauft, irgendwann am Nachmittag hatten wir doch Hunger.

      Aber nun sagt schon, wie geht es der Oma? Hat es ihr im Harz gefallen?«

      Berit legte ihrer Tochter den Arm um die Schulter.

      »Der Oma hat es gut gefallen und ich glaube, es ging ihr heute auch gut. Sie braucht einfach etwas Gesellschaft. Kannst du nächste Woche ab und zu mal bei ihr vorbei gehen und nach ihr sehen? Du hast doch Ferien.«

      »Aber klar, mache ich das. Ist doch auch immer schön, sich von Omi eine heiße Schokolade kochen zu lassen.«

      Berit stand auf und sah ihre Eltern an. »Seid ihr böse, wenn ich noch mal zu Basti gehe?« Sie war schon auf dem Weg zur Tür.

      Daniel lachte. »Verschwinde schon!«

      »Und grüße den Sebastian von uns!«, fügte Berit noch hinzu, ehe die Tür ins Schloss fiel.

      Berit richtete für sich und ihren Mann ein paar belegte Brote zum Abendessen an und schaltete den Fernseher ein. Daniel öffnete eine Flasche Wein und so ließen die beiden den Tag ausklingen.

      Auch wenn morgen noch ein Feiertag war und damit etwas Ruhe, so wussten sie doch, dass die kommenden Tage jeden wieder fordern würden.

      Als Berit am nächsten Morgen die Augen aufschlug, hingen dunkle Wolken vor dem Fenster. Noch fiel kein Regen, aber wer weiß, wie lange sich das Wetter noch halten würde. Welch ein Glück, dass sie den Ausflug am Sonntag gemacht hatten!

      Nun ließen sie es also ruhig angehen. Nach einem ausgiebigen Frühstück, zu dem sich sogar Julia hinzu gesellte, bereitete Berit das Mittagessen vor.

      »Und, was steht bei dir heute noch auf dem Plan?«, wollte sie von ihrer Tochter wissen.

      Julia grinste ihre Mutter an. »Na was schon! Nach dem Essen gehe ich zu Basti, bisschen Musik hören und auf dem Sofa rumhängen. Wenn ich den Himmel ansehe, wird es keinen Spaziergang geben.«

      Berit lächelte vor sich hin. Ach ja, wenn man jung und zu zweit ist, dann ist das Wetter sowieso egal, solange sich irgendwo ein gemeinsames Plätzchen findet. Und Sebastians Eltern schienen der Beziehung der beiden offen gegenüber zu stehen. Berit erinnerte sich noch an die Zeit, als Markus so alt war. Da waren sie irgendwie ruhiger und gelassener gewesen. Wahrscheinlich lag es doch daran,

      dass Markus eben ihr großer Junge und Julia ihr kleines Mädchen war.

      Nach dem Essen nutzte Berit die Zeit, um sich der Bügelwäsche zu widmen. Das gehörte wahrhaftig nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Doch Daniels Hemden und die Arbeitskittel sollten schon entsprechend gepflegt aussehen. Schließlich stand er tagtäglich den Kunden gegenüber. Als Berit auch noch eine offene Naht an einem der Kittel entdeckte, holte sie kurzerhand die Nähmaschine hervor. Dann ist heute eben der Bügelund Flicktag, dachte sie bei sich.

      Daniel hatte sich in die Garage verzogen und sah mal nach den Autos. Schließlich hatte er Schlosser gelernt und konnte viel selbst erledigen. Leider fehlte ihm oft die Zeit. Heute nutzte er sie aber intensiv und Berit hörte später sogar das Brummen des Staubsaugers zu ihr herüber dringen und riss sie aus ihren Gedanken.

      Morgen würde sie wieder zur Arbeit gehen. Morgen war der Vater genau eine Woche tot. Noch immer schien es ihr so unwirklich zu sein. Er war der Held ihrer Kindheit gewesen, war wie ein Fels in der Brandung gewesen. Nun gab es ihn nicht mehr. Was blieb, war die Erinnerung.

      Berit dachte an die Kinder, um die sie sich morgen wieder kümmern würde. Sie arbeitete gern mit

      Kindern. Viele von denen hatten keinen Vater, der sie liebte. Manche kannten ihren nicht einmal.

      Nein, sie durfte nicht traurig sein, dass es den Vati nicht mehr gab. Sie musste froh und dankbar sein, dass er ihr so viele schöne Jahre mit so viel Zuneigung geschenkt hatte.

      Das Geräusch des Staubsaugers war verstummt. Berit räumte die Nähmaschine und das Bügeleisen weg und sah verwundert auf die Uhr. Die Zeit war vergangen wie nichts. Zum Kaffee trinken war es zu spät. So setzte sie Teewasser auf und richte ein kleines Buffet an. Daniel würde bestimmt Appetit mitbringen, wenn er rüber kam.

      Ein wenig später trudelte auch Julia wieder ein und stopfte sich gleich ein paar der leckeren Häppchen in den Mund.

      »Ach Mama, ich glaube, zum Essen werde ich auch in zehn Jahren noch her kommen, bei dir schmeckt es noch immer am Besten!«, rühmte sie ihre Mutter.

      »Na, darüber sprechen wir aber noch mal«, wand Berit sichtlich amüsiert ein, während Daniel genüsslich kauend seiner Tochter beipflichtete: »Aber recht hat sie!«

      

       Kinderseelen

      

      

      

      Aus einem unruhigen Schlaf erwachte Berit, als sie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel. Sie sah auf die Uhr und stellte erleichtert fest, dass ihr noch genug Zeit blieb, bis sie zur Arbeit los musste. Nachdem sie rasch geduscht hatte, trank sie eine Tasse Kaffee und bestrich sich eine Toastscheibe mit Frischkäse, ehe sie sich die Haare föhnte. So gestärkt, machte sie sich kurz darauf auf den Weg.

      Das Kinderhaus war eine freie Jugendeinrichtung im Neubauviertel der Stadt. Es war vor allem gedacht für die Kinder zwischen zehn und vierzehn Jahren, die für den Hort in der Grundschule zu alt, fürs Alleinbleiben aber zu jung waren. Viele der Kinder kamen aus problematischen Elternhäusern, die außer »Hartz 4« keinen Beruf der Eltern nennen konnten. Andere waren Kinder allein erziehender Mütter, die sogar mehr als eine Putzstelle annahmen, um ihre Kinder zu kleiden und zu ernähren. Jedoch blieben die Kinder dann oft mangels Zeit und Zuwendung auf der Strecke.

      Wenn Berit darüber nachdachte, hatte es auch früher schon Familien gegeben, die im Sprachgebrauch als asozial bezeichnet wurden, doch hatte es bis zur Wende eine Pflicht zur Arbeit gegeben und irgend eine Arbeitsstelle war jedem zugewiesen worden. Jeder war berufstätig gewesen und hatte damit ein geregeltes Leben und sein Auskommen gehabt. Jetzt reichten die Arbeitsplätze nicht einmal für die, die dringend nach Arbeit suchten. Noch immer gehörte der Landkreis zu denen mit der höchsten Arbeitslosenquote im Land. Es gab daher genug Menschen, die sich ihr Leben mit der »Stütze« einrichteten und gar keinen Grund sahen, etwas an ihrer Situation zu ändern. Nur, die Kinder waren daran völlig unschuldig. Das Kinderhaus