Isolde Kakoschky

Eisblumenblüte


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zu DDRZeiten oft in Polen gewesen, ging ihr jetzt so durch den Kopf.

      »Vielleicht hast du ja recht«, sprach sie ihren Gedanken jetzt aus. »Mutti und ich waren so oft hier, eigentlich nie aus einem bestimmten Grund. Wir sind einfach nur spazieren gegangen. Das hätten wir auf der deutschen Seite aber auch tun können. Möglich, dass sie die ganze Zeit nach ihm gesucht hat.« Wenn das so war, dann tat es ihr jetzt umso mehr leid. Dann war die Mutter über ihrer ganzen Suche hinweg gestorben.

      »Weißt du, was ich dann nicht verstehe«, entgegnete Mark. »Wenn deine Mutter immer nach diesem Krzysztof gesucht hat und er dein Vater ist, warum war sie dann so böse, als du sie nach deinem Vater gefragt hast?«

      Kristina überlegte. »Stimmt, ist seltsam. Aber vielleicht hat er sie sitzen lassen mit mir.«

      »Möglich. Allerdings hat sie dich Kristina genannt, mit K am Anfang. Das kann ein Hinweis auf Polen sein.« Mark nahm ihre Hand. »Doch hier weiter zu suchen, wie es deine Mutter tat, das hilft nichts. Am liebsten würde ich zu dir sagen: Sieh nach vorne, lass die Vergangenheit ruhen. Aber ich verstehe dich auch, du musst deine vergessene Kindheit wiederfinden. In ein paar Wochen fährst du in deine alte Heimat, das bringt dir vielleicht etwas Licht ins Dunkel.«

      Kristina nickte. »Ja. Und jetzt lass uns essen gehen. Mir knurrt der Magen.«

      Nachdem sie das hervorragende Fischgericht in einem der Restaurants genossen hatten, liefen sie langsam wieder in Richtung der deutschen Grenze und statteten dem berühmt-berüchtigten Markt noch einen kurzen Besuch ab. An jedem zweiten Stand plärrte irgendein Spielzeug elektronische Weihnachtslieder in den Nachmittag. Da war kein Gedanke an »Stille Nacht, heilige Nacht«. Obwohl Polen durch die katholische Kirche geprägt war, regierte hier nur der billige Kommerz.

      An der Grenze warteten sie auf den nächsten Bus. Dort wo einstmals Zoll und Kontrollbeamte ihren Dienst taten, hatten sich nun Imbissbetreiber und Händler niedergelassen. Und wären nicht die Schilder gewesen, man hätte den Grenzübertritt kaum bemerkt.

      »Jetzt haben wir aber eine große Runde gedreht«, stellte Mark fest, als sie den Bus wieder verließen.

      »Schön war es. Aber nun werde ich erst einmal nach Hause fahren.« Auf Kristinas enttäuschten Blick fügte er scherzhaft hinzu: »Ich muss doch mal wieder die Socken wechseln.«

      Sie schmunzelte. »Na gut, das sei dir gegönnt. Und was hast du morgen vor? Wollen wir uns richtige Weihnachtsstimmung um die Nase wehen lassen? Wie wäre es mit Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt?«

      »Gute Idee!«, stimmte Mark ihr zu. »Dann kommst du zu mir, da ist es nicht weit. Bis morgen dann!« Er zog Kristina in seine Arme und drückte sie sanft an sich.

      Noch einen Moment verweilten sie, ehe sich jeder in eine andere Richtung entfernte. Während Mark sein Auto vom Hotel-Parkplatz holte, lief Kristina zu ihrer Wohnung. Es fühlte sich so gut an, wenn Mark sie umarmte. Ob sie nun wusste, wer ihr Vater war, das schien ihr plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Mark mochte sie, das spürte sie deutlich. Und sie mochte Mark; mehr noch, ihr schien, als hätte sie sich in ihn verliebt. Das war ein großartiges Gefühl.

      »Na Toni, was meinst du, kann uns Mark öfter besuchen kommen?« stellte sie ihrem Kater die Frage. Als der wohlig schnurrte, lächelte sie: »Dann ist es ja gut!«

      Mit einem leichten Kribbeln im Bauch stand Kristina am Sonntag vor dem Haus, in dem Mark wohnte.

      Auch er bewohnte nur eine kleine Mietwohnung, aber in sehr zentraler Lage. Kristina konnte es kaum erwarten, los zu fahren. Schnell hatte sie die notwendigsten Hausarbeiten erledigt und ihren Kater noch mit Fressen und einer neuen Füllung für sein Katzenklo versorgt. Mit schief gelegtem Kopf hatte Toni sein Frauchen beobachtet. Er war es zwar gewöhnt, alleine in der Wohnung zu bleiben, wenn sie bei der Arbeit war, doch vielleicht kannten ja auch Tiere den Unterschied zwischen Arbeitstagen und Wochenenden. Dass Kristina nun schon wieder weg fuhr, schien ihn zu irritieren.

      Nun stand sie also hier und drückte auf den Klingelknopf. Sofort ertönte im Lautsprecher Marks Stimme: »Schön, dass du da bist, komm kurz rein.« Im selben Moment summte der Türöffner. Sie stieg die Treppe hinauf, wo sie Mark schon an der geöffneten Tür in Empfang nahm und in Richtung Wohnzimmer geleitete.

      »Setz dich noch mal hin, ich ziehe mir nur die Schuhe an«, rief er ihr zu. Kurz darauf stand er fertig angezogen neben ihr und nahm ihre Hände, um sie vom Sessel hoch zu ziehen. »So, wir können.«

      In gemächlichem Tempo liefen die beiden in Richtung Rathaus. Sie erfreuten sich an der bunten Weihnachtsbeleuchtung, welche die Straße in ein warmes Licht tauchte, obwohl es erst kurz nach dem Mittag war. Als sie den Rathausplatz erreichten, blieben sie einen Augenblick stehen und ließen den großen Tannenbaum auf sich wirken.

      »Der Baum ist wirklich schön. Und irgendwie waren wir wieder mit beteiligt, dass er nun hier steht und uns die Adventszeit verschönert!«, sprach Mark aus, was Kristina gerade gedacht hatte. So ähnlich hatte sie sich das Anfang der Woche vorgestellt, doch nun war alles viel schöner gekommen.

      »Möchtest du hier etwas essen oder suchen wir uns ein Restaurant?«, wollte Mark nun wissen. Keiner von beiden hatte schon zu Mittag gegessen.

      Kristina überlegte nur kurz. »Lass uns hier etwas passendes suchen. Es wird doch genug angeboten. Ich hatte mich ja heute auf eine Bratwurst vom Grill eingestellt.«

      Wenig später saßen sie auf einer Holzbank neben einem wärmenden Feuerkorb und ließen sich die Wurst schmecken.

      »Du, Mark«, stupste Kristina ihn plötzlich an, »mir ist gerade was eingefallen, was aus meiner Kindheit.«

      »Echt? Willst du es erzählen?« Neugierig sah er sie an.

      »Ja. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal mit meiner Mutter mit dem Bus zu einem Weihnachtsmarkt gefahren bin. Dort gab es ganz tolle Würstchen, Thüringer. Die haben so gut geschmeckt. Dort hat Mutti einen kleinen, geschnitzten Räuchermann gekauft. Schade, dass wir ihn damals nicht mitgenommen haben. Ich glaube, das war die einzige Reise, die ich mit

      meiner Mutter je unternommen hatte, bis zu dieser langen Bahnfahrt.«

      Mark schmunzelte. »Und das fällt dir ein, weil wir gerade eine Bratwurst essen! Na dann ist ja noch nicht alles verloren von deiner Erinnerung. Wenn du erst die Stadt wiedersiehst, wirst du dich bestimmt an ganz viel erinnern.« Er legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. »Aber jetzt hole ich uns einen Glühwein. Da wirst du dich wohl kaum erinnern, oder hast du schon als Kind Glühwein getrunken?«

      Ehe Kristina noch etwas erwidern konnte, war Mark schon in Richtung Glühweinstand verschwunden und kam bald darauf mit zwei bunten Porzellanbechern zurück. Sie prosteten sich zu. Das heiße Getränk rann durch ihre Kehle und wärmte den Magen. Und der Mann neben ihr sah sie zärtlich an und wärmte ihr Herz. Hand in Hand bummelten sie an der Vielzahl von kleinen Verkaufsständen entlang und freuten sich über die lachenden Kinder, die eine um die andere Runde auf dem Karussell drehten.

      In ihrer Tasche fühlte Kristina die Umrisse der Glühweintasse, für die sie sich den Pfandbetrag nicht hatte zurückzahlen lassen. Ab sofort würde sie selbst für ihre Erinnerungen sorgen.

      

       7.Kapitel

      

      Als Kristina am Montagmorgen über die Peenebrücke fuhr, klang dieses schöne Gefühl vom Wochenende noch immer in ihr nach. War Mark auch schon vorher ein netter Kollege gewesen, jetzt war er mehr!

      Die Arbeit hatte sie schon bald wieder fest im Griff. Wie immer in der ersten Woche des Monats gab es Berge von Lieferscheinen und Frachtbriefen zu sortieren und den entsprechenden Kunden zuzuordnen, damit die Rechnungen möglichst schnell auf den Weg gingen. An ihr sollte es nicht liegen, falls die Firma finanzielle Probleme bekam. Spätestens Ende der Woche musste dann auch der Monatsbericht fertig sein. Da legte die Geschäftsführung großen Wert darauf, dass die Zuarbeit klappte. Kristinas seit Jahren entwickelte Routine machte ihr vieles leichter. So blieb