Isolde Kakoschky

Eisblumenblüte


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gekommen war. Zärtlich legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Noch immer hielt er das Telefon in der Hand. Er drehte sich zu seiner Frau um. »Kristina kommt im Januar. Berit hat eben angerufen.« Seine große Freude, die er gerade noch empfunden hatte, war in Nachdenklichkeit umgeschlagen.

      Andrea zog ihren Mann an sich. Sie kannte ihn jetzt seit 20 Jahren, da lebte ihre Schwiegermutter Annemarie noch, die von allen nur Annemie genannt wurde, und Schwiegervater Karl. Karsten war Andrea damals immer wie ein Einzelgänger erschienen. Mit fast 40 hatte er noch bei seinen Eltern gelebt. Durch Andrea änderte sich sein Leben, sie heirateten und waren überglücklich als Benjamin geboren wurde. Ein paar Jahre nach Benjamins Geburt war Annemie dann gestorben. Auf dem Sterbebett hatte sie Karsten das gut

      gehütete Geheimnis anvertraut. Sie hatte ihrer Seele Luft gemacht, um ruhig sterben zu können, Karsten hatte es fast den Boden unter den Füßen weggerissen. Von da an war Karl für ihn nur noch »der Alte«. Geredet hatte Karsten nie wieder mit ihm, bis er starb.

      Ja, und dann hatte Andrea mit Berit im Büro gesessen als diese anfing, ein Jahrgangstreffen vorzubereiten. Der Name Kristina Schmidmann ließ sie hellhörig werden. Karsten schien aus allen Wolken zu fallen, als Andrea ihrem Mann von Berits Suche nach ihrer Mitschülerin Kristina berichtete. Dann war auch der letzte Rest von dem aus ihm herausgebrochen, was er seit Annemies Tod mit sich herumtrug. Wie sehr wünschte er sich, Kristina wieder zu sehen. Nun könnte das in greifbare Nähe rücken.

      Es war fast schon dunkel, da stand Berit mit ihrem Mann Daniel vor dem Grab ihrer Eltern. Sie hörte förmlich die Worte ihrer Mutter, als sie die Grabstelle vor drei Jahren, nach dem Tod ihres Gatten, erworben hatte: »Dann könnt ihr mich mal direkt neben meinem Heinrich begraben.« Zwar hatte sie den Herzinfarkt am Tag nach der Beerdigung noch gut überstanden, doch das Herz blieb angeschlagen. So war sie nur ein Jahr später ihrem geliebten Heinrich gefolgt. Da konnte auch die Liebe ihrer Familie die Lücke nicht schließen.

      Berit war so froh gewesen, dass sie in diesem Jahr wieder mit ihrer Mutter ins Reine gekommen war. Längst hatte sie ihr verziehen, dass diese in ihrer Jugend die Briefe ihres Freundes unterschlagen hatte. Berit war, nachdem sie László endlich gefunden hatte, nach Ungarn gefahren und verlebte eine schöne Woche mit ihm. Doch danach war ihr klar geworden, dass man eine Jugendliebe nicht einfach zurückholen kann. Es war keine leichte Entscheidung gewesen, doch jetzt fühlte sich alles gut und richtig an. Daniel nahm Berits Hand und drückte sie sacht.

      So sehr wünschte sie nun Andreas Mann, dass auch er noch seinen Frieden mit sich und der Familie finden möge.

      

       4. Kapitel

      

      Der Montag begann mit der üblichen Hektik. Doch während die meisten Kollegen lieber noch etwas länger Wochenende gehabt hätten, war Kristina froh, sich wieder im vertrauten Arbeitsalltag einzufinden. Der Trubel im Büro, das nervige Klingeln des Telefons, das Piepsen des Faxgerätes oder der Benachrichtigungston des Mailprogrammes, das alles hatte ihr gefehlt. Die Kollegen waren ihr in den Jahren ans Herz gewachsen. In Ermangelung einer eigenen waren sie ihre Familie geworden.

      Als auch der letzte LKW, mit neuer Fracht versehen, unterwegs war, nahm Kristina ihre Kaffeetasse und ging hinüber zu Mark ins Büro.

      »Ich habe dich gestern versucht zu erreichen«, begann sie ohne lange Einleitung. Wahrscheinlich hätte sie kein Wort gesagt, wenn sie es sich noch einmal überlegt hätte, was und wie sie etwas formulieren wollte. Das kannte sie schon, viel zu oft war es ihr passiert. Dann war der Moment vorbei und sie glaubte, an den ungesagten Worten ersticken zu müssen.

      »Ja, ich habe es gesehen, als ich heim kam.« Mark lächelte sie an. »Aber es war wirklich zu spät, da wollte ich nicht mehr bei dir anrufen. Was gab es denn?«

      »Ach nichts weiter.« Kristina winkte ab, überlegte es sich dann aber doch und fuhr fort: »Ich dachte, wir könnten gemeinsam zu Mittag essen, ich war auf dem Friedhof.«

      »Na ja, auf dem Friedhof war ich auch«, erwiderte Mark. Doch noch ehe sich Kristina einen falschen Gedanken machen konnte, sprach er weiter. »Aber über 100 Kilometer entfernt, in Rostock. Mein Bruder und ich waren gemeinsam mit unserer Mutter am Grab von unserem Vater.«

      Du hast es gut, dachte Kristina, sprach den Gedanken aber nicht aus, weil er ihr sofort unpassend erschien. Und doch wäre sie froh gewesen, wenigstens einen Vater auf dem Friedhof besuchen zu können.

      Mark spürte, wie eine gewisse Melancholie plötzlich von seiner Kollegin ausging. Er hatte so etwas vorher nie bei ihr bemerkt, sie war immer so kühl, abgeklärt, fast gefühlsarm gewesen. Etwas musste passiert sein, was ihr Seelenleben durcheinander gebracht hatte. Sie war so anders, seit dem Tag, als sie morgens zu spät gekommen war. Nein, drängen würde er sie nicht, vielleicht kam sie doch noch von selbst auf ihn zu.

      Routiniert erledigte Kristina ihre Arbeit. Manchmal hatte sie schon gedacht, dass sie funktionierte wie ein Uhrwerk. So lag dann auch pünktlich am Nachmittag der Wochenbericht für die Geschäftsleitung fertig ausgedruckt vor ihr und die Datei verließ ihr Postfach.

      Als sie zum Feierabend vor die Tür trat, fröstelte sie. Der kalte Nordwind war etwas, woran sie sich einfach nicht gewöhnen konnte. Er war auch der Grund gewesen, weshalb sie sich von der Mutter hatte überzeugen lassen, ihre langen Haare abzuschneiden, obwohl sie darauf so stolz gewesen war. Wie ein winziger Funke glühte eine Erinnerung auf: Eine Hand, die ihr über das Haar strich und jemand, der zu ihr sagte, sie würde einmal allen Männern den Kopf verdrehen. So war es nicht gekommen, dachte sie, aber sie hatte ja auch keine langen Haare mehr gehabt.

      Kristina war froh, als sie zuhause die Tür aufschloss und ihr der Kater schnurrend entgegen kam. Sie füllte dem Tier seinen Napf und brühte sich einen Tee auf, ehe sie den Laptop anschaltete. Sie hatte nicht viele Mailkontakte und war auch bei keinem sozialen Netzwerk angemeldet. Und eigentlich wusste sie auch nicht, warum sie damals auf dieser Seite für alte Schulfreunde gelandet war. Zumindest hatte das den Kontakt in ihre alte Heimat ermöglicht. Und prompt fand sie auch eine Mail von dieser Berit in ihrem Postfach vor. Was sie schrieb, kam Kristina zwar etwas komisch vor, aber andererseits war es auch schön zu lesen: »Hier wirst du viele alte Bekannte treffen und alle freuen sich auf dich!«

      Sie überlegte, ob sie antworten sollte, konnte sich dann aber doch nicht dazu entschließen. Was hätte sie auch schreiben sollen, auf die Frage, wie es ihr ginge? Gut wäre im Moment nicht das passende Wort, schlecht aber auch nicht. Es gab so verdammt wenig zu sagen über sich. Das Wenige ließ sich dann beim persönlichen Treffen rasch in Worte fassen.

      Als Kristina am nächsten Morgen erwachte, wusste sie noch, dass sie geträumt hatte, konnte aber nichts wirklich zusammen bringen. Es schien ihr, als hätte sie einen Puzzle-Karton mit 1000 Teilen vor sich und noch überhaupt keinen Anfang. Und es gab auch kein Bild, an dem sie sich orientieren konnte.

      Also behielt sie das bei, was sie seit Jahren erfolgreich praktiziert hatte, sie versuchte, die Gedanken an die Vergangenheit zu ignorieren und sich der Gegenwart zu widmen. Sie strich ihrem Kater über das Fell und verabschiedete sich mit einem fröhlichen »Mach´s gut, Toni!« in Richtung Büro.

      Auch wenn sie manchmal innerlich fluchte über diesen ganz normalen Wahnsinn, der sich tagtäglich im Speditionsgewerbe abspielte, so liebte sie doch ihren Beruf, der ihr nicht nur ein Auskommen sicherte, sondern auch schöne Momente bereitete. Kaum war sie in der Firma angekommen, als auch schon ihr Telefon klingelte.

      »Guten Morgen, Frau Schmidmann!«, grüßte sie ihr Vorgesetzter und kam gleich darauf zum Grund seines Anrufes. »Sie denken doch daran, nachher den Tieflader loszuschicken?«

      »Aber natürlich«, bestätigte Kristina die Frage. »Es ist alles in die Wege geleitet, wie man so schön sagt, alle Jahre wieder!«, fügte sie scherzhaft an. Schon in der DDR hatten sie den Weihnachtsbaum vor dem ersten Advent zum Rathausplatz transportiert. Meistens kam er aus einem der umliegenden Wälder. Doch in den letzten Jahren fanden sich immer öfter Leute, die ihren über Jahrzehnte gehegten und gepflegten Baum, der nun für den Vorgarten zu