Isolde Kakoschky

Eisblumenblüte


Скачать книгу

Heute war es eine moderne Zugmaschine, die sonst im Hafen für den Containertransport eingesetzt wurde. In einer Stunde würde sich der Kollege auf den Weg machen und am Nachmittag konnte dann die Feuerwehr die Beleuchtung anbringen. Und wenn sie vielleicht am Sonntag einmal einen Bummel über den Weihnachtsmarkt machen würde, dann dachte sie daran, auch etwas zur weihnachtlichen Gestaltung der Stadt beigetragen zu haben.

      Am Mittag saß Kristina wie fast täglich mit Mark zusammen. Der versuchte immer noch, das sich so seltsam veränderte Wesen seiner Kollegin zu durchschauen.

      »Was meinst du«, sprach er sie deshalb an, »wir wollten doch mal wieder gemeinsam was essen gehen, was sagt dein Plan denn diese Woche?«

      Kristina fühlte sich ertappt. Natürlich merkte Mark, dass sie etwas mit sich herumschleppte, sich noch mehr zurückzog als sonst. Sie mochte Mark, sehr sogar. Und vielleicht war es ja auch gar nicht so schlecht, mit jemandem zu reden.

      »Du hast recht«, sagte sie dann auch zu Mark. »Wie wäre es am Freitag?«

      »Ja, Freitag ist gut«, stimmte der ihr sofort zu. »Wohin wollen wir gehen?«

      »Warte mal bis morgen, ich sage dir dann bescheid. Es geht ja nicht an, dass du mich immer einlädst, diesmal bin ich dran!«

      »Na gut!« Mark lächelte verschmitzt. »Ich lasse mich gerne überraschen und bin gespannt.«

      Auf der Heimfahrt führte Kristina ihr Weg zuerst zu ihrem favorisierten Wellnesshotel. Obwohl es nun nicht gerade in der Saison war, schien es ihr besser, für den Freitagabend einen Tisch vorzubestellen. Schließlich sollte da nichts schief gehen, jetzt, wo sie sich schon auf das gemeinsame Essen mit Mark freute. Sie spürte, wie ihr warm ums Herz wurde bei dem Gedanken.

      Während sie allein mit sich und Kater Toni ihr Abendessen einnahm, überlegte sie schon, was sie am Freitag anziehen sollte. Ihre üblichen Jeans mit T-Shirt oder Pullover kamen wohl nicht infrage. Aber noch waren es ja zwei Tage, an denen sie ihre Garderobe aufbessern konnte.

      Da der Fernseher ihr nicht die erhoffte Unterhaltung bot, kuschelte sie sich wieder mit dem Stubentiger und einem Buch auf die Couch. Sie liebte lesen über alles. Im Laufe der Jahre hatten sich hunderte Bücher in den Regalen angesammelt. Sie besuchte aber auch oft die Bibliothek, und seit einiger Zeit besaß sie einen EbookReader, der es ihr ermöglichte, sehr schnell online neuen

      Lesestoff zu beschaffen. Nun ließ sie sich entführen in die historische Biografie, die sie später bis in ihre Träume beschäftigte und keinen Raum für ihre eigene Lebensgeschichte ließ.

      Es war noch stockdunkel, als das Piepsen des Weckers sie aus den Träumen riss. Eigentlich mochte Kristina den Winter nicht besonders. Sie wusste nicht einmal, warum überhaupt. Im Sommer, da ließ sie sich von den ersten Strahlen der Sonne wecken, die in ihr nach Osten gerichtetes Schlafzimmer fielen. Die Terrasse lag nach Westen und von ihr konnte man die tollsten Sonnenuntergänge sehen, die die Ostsee zu bieten hatte. Doch in der kalten Jahreszeit erlebte sie hier kaum Licht, geschweige denn Sonne. Sie fuhr zur Arbeit, wenn es noch dunkel war und kam zurück, wenn es schon wieder dunkel war. Und die Kälte setzte ihr auch mehr zu als anderen. Welch ein Glück, dass ihr neues Auto über eine Sitzheizung verfügte, die ihr die Fahrt zur Arbeit angenehmer machte.

      Auch deshalb fühlte sie sich in ihrem Büro so wohl. Der alte Speicher am Kai, in dem sich die Büroräume befanden war ein wunderbarer, alter Bau, in dem es im Sommer fast klimatisiert wirkte und der im Winter die Wärme einschloss. Da sie allein im Zimmer arbeitete, musste sie sich auch mit keinem anderen über die Temperatur einigen. Nur Mark stöhnte manchmal, wenn er zu ihr kam, welche Hitze doch bei ihr war. Hier hätten Eisblumen keine Chance gehabt. In ihrer Kindheit, da hatte es Eisblumen am Fenster gegeben, daran erinnerte sie sich plötzlich wieder. Alle ihre Erinnerungen fühlten sich irgendwie kalt an. So, als wäre es nie Sommer gewesen.

      »Träumst du?« Mark war ins Büro gekommen und sah seine Kollegin nachdenklich an.

      »Nein, nein«, beeilte sich Kristina zu versichern, »ich war nur in Gedanken.« Sie setzte ein demonstratives Lächeln auf und wechselte das Thema. »Am Freitag unser Essen geht klar. Ich habe im Strandhotel einen Tisch reserviert.«

      Mark ging auf den Themenwechsel ein und lächelte ebenfalls. »Ich freue mich!« Und das meinte er wirklich so. Er hoffte so sehr, seine Kollegin einmal etwas aus der Reserve locken zu können. Da musste doch noch etwas unter dieser glatten Oberfläche sein, das spürte er ganz genau.

      Der Tag verging für Kristina heute zu langsam. Eigentlich war sie froh, darüber, dass es nur ein halbes Dutzend Sattelzüge gab, die sie einsetzen und abrechnen musste, aber so in der Mitte der Woche floss alles ruhig dahin, die Fahrer arbeiteten den Plan ab. Sie waren ein eingespieltes Team und hatten seit Jahren feste Auftraggeber. Das brachte Ruhe in den Arbeitsalltag. Doch heute verging die Zeit einfach nicht. Sie wollte doch gleich nach Feierabend noch ins Kaufhaus fahren, um sich wenigstens eine hübsche Bluse zu kaufen. Oder vielleicht

      doch ein Kleid? Nein, dann würde sich Mark nur wundern. Egal, nachher würde sich schon etwas finden.

      Entsprechend motiviert fuhr Kristina dann später ins Zentrum der Stadt. Doch nicht im Kaufhaus wurde sie fündig. In einer kleinen Boutique erstand sie eine cremefarbene, langärmlige Tunika, die, obwohl sie locker geschnitten war, ihren immer noch wohlproportionierten Körper dezent zur Geltung brachte. Dazu passte die dunkle Stoffhose, die für besondere Anlässe zuhause im Schrank hing.

      Da sie gleich am Markt noch im Restaurant gegessen hatte, musste sie sich heute keine Gedanken über das Abendessen machen. Es machte aber auch gar keinen Spaß, immer alleine zu essen. Kochen war sowieso nicht ihre Lieblingsbeschäftigung, und so ging sie auch an den Wochenenden oft in eine Gaststätte in der Nähe. Oder sie fuhr über die Grenze nach Polen. Dort gab es auch gutes Essen, noch dazu recht preisgünstig. Vielleicht sollte ich mal wieder rüber fahren, dachte sie so bei sich und vor ihr inneres Auge schob sich das Bild aus Mutters Schachtel. Doch erst einmal freute sie sich auf den Abend mit Mark.

      Der Donnerstag verging dann ohne nennenswerte Höhen und Tiefen. Die Arbeit floss so dahin, wie vor dem Fenster der feine Nieselregen. Da war ihr der erste Schnee vor einer Woche fast noch lieber gewesen, solange es nur nicht zu kalt wurde.

      Am Freitagmorgen schaltete Kristina den Rechner an und verschaffte sich, wie jeden Tag, erst einmal einen Überblich über die Standorte der Fahrzeuge. Aber so, wie sie es einschätzte, sah es sehr gut aus. Spätestens am Nachmittag sollten sich alle wieder auf dem Hof einfinden. Das klappte bei Weitem nicht an jedem Freitag. Oft wurde es Samstag früh oder sogar Mittag, ehe der Letzte eintrudelte. Ganz selten kam es auch vor, dass mal ein Fahrzeug gar nicht in Richtung Norden fahren konnte und am Wochenende dann irgendwo in Bayern stand. Das tat Kristina zwar immer etwas leid, hatten doch die meisten ihrer Kollegen eine Familie, doch es war dann nicht zu ändern. Heute aber wertete sie den Stand der Dinge als gutes Omen. Auf gar keinen Fall wollte sie heute länger im Büro bleiben oder sich von zuhause aus noch mal im Internet einloggen.

      Den ganzen Tag über war da ein Kribbeln in ihrem Bauch und als sie zum Mittag Mark gegenüber saß, empfand sie eine leichte Aufregung, wie Kristina sie noch nie im Zusammensein mit Mark gespürt hatte. Haben wir jetzt so was wie ein Date, stellte sie sich irritiert die Frage. Und als sie sich mit einem lockeren »Bis nachher!« von Mark verabschiedete, da klang das gar nicht so locker, wie es klingen sollte.

      Mark amüsierte sich über das Verhalten seiner Kollegin ein wenig. Da schien doch die harte Schale langsam einen Riss zu bekommen.

      

       5. Kapitel

      

      Mark hatte schon ein paar Minuten vor dem Strandhotel gewartet, als er Kristina um die Ecke kommen sah und ihr entgegen ging. In der Hand hielt er eine rote Rose und fühlte sich damit etwas unsicher. Schon lange hatte er kein Rendezvous mehr gehabt und er wusste auch nicht, wie Kristina darauf reagieren würde.

      »Oh, ist die für mich?« Erfreut lächelte sie ihm zu.

      »Die