Isolde Kakoschky

Papakind


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Opa, das mache ich.« Franzi verstand, dass er mit der Frau lieber alleine sprechen wollte, dabei hätte sie doch auch gerne erfahren, wer das war und was das alles bedeutete. Sie hörte nur noch, wie der Opa die Frau wieder ansprach.

      »Entschuldige Helene, aber geht es dir nicht gut? Du siehst müde aus.«

      »Nein, es geht mir wirklich nicht gut«, antwortete die Frau. »Ich habe nicht mehr lange zu leben. Ich habe Krebs im Endstadium, da ist nichts mehr zu machen. Ich wollte nur noch ein paar Sonnenstrahlen erhaschen, ehe es für immer um mich kalt und dunkel wird. Und ich bin so froh, dass ich euch getroffen habe, dass ich die Kleine noch einmal sehen konnte.«

      Sie trank ihre Tasse Kaffee aus und erhob sich.

      »Machs gut, Paul. Und pass gut auf sie auf!« Helene drehte sich noch einmal um, als sie zum Ufer ging. Dort strich sie der erstaunten Franziska übers Haar, die ihr verwundert nachschaute.

      Als Franzi zum Opa zurück kam, sah sie, dass er geweint hatte.

      »Opa, was hast du? Was ist mit der Frau?«

      Paul schaute seine Enkeltochter an. »Das war eine alte Freundin und nun ist sie krank und stirbt bald.«

      »Oh, das ist traurig.« Franzi streichelte dem Opa tröstend über den Arm.

      Sie hätte ihn gerne noch gefragt, wem sie ähnlich sehen sollte, aber sie wollte nicht, dass er noch trauriger wurde, also ließ sie es lieber.

      Die nächsten Tage waren ausgefüllt mit fröhlichem Spiel mit ihrer Freundin Gabi, ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Gabi war ein Einzelkind und hatte so viele Spielsachen, dass man jede Stunde etwas anderes hätte nehmen können. An den Wochenenden war sie immer mit den Eltern unterwegs zu Ausflügen, aber in der Woche war sie froh, eine Spielgefährtin zu haben.

      Am Freitag erreichte die sommerliche Hitze ihren Rekord und am Mittag zogen dunkle Wolken auf, die sich schon bald in einem heftigen Gewitter entluden. Die beiden Mädchen saßen in Gabis Zimmer, dicht aneinander gekuschelt und zuckten bei jedem Blitz und jedem Donner zusammen. Der Regen fiel so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Auf den Straßen ergossen sich wahre Sturzbäche. Und dann war mit einem mal Schluss. Doch erst jetzt nahmen die Menschen das ganze Ausmaß des Unwetters wahr. Das Wasser war in die Keller eingedrungen, die Gärten waren verwüstet und Straßen unpassierbar. Ein Nachbarsjunge brachte die Nachricht zu Gabi:

      »Die Bahnbrücke steht unter Wasser. Los, wir wollen hin gehen. Ehe die Feuerwehr das alles weggepumpt hat, können wir noch prima drin schwim-

      men.« Die Kinder der Siedlung kannten dieses Phänomen.

      »Klar, ich komme mit«, stimmte Gabi dem Plan zu und blickte fragend zu Franzi.

      »Ich muss erst fragen, ob ich darf«, warf Franzi ein.

      »Ich komme mit, und wenn ich frage, darfst du bestimmt.«

      Das war es nun nicht, was Franziska gewollt hatte, aber Gabi war schon auf dem Weg.

      So zogen sie bald darauf los. Eine ganze Kinderschar bewegte sich in Richtung Bahnbrücke, wo schon reges Treiben herrschte. Da diese Brücke nur eine Nebenstraße war, kam die Feuerwehr erfahrungsgemäß nicht so schnell. Und auch Franzi fand sich schon bald in dem lustigen Treiben wieder.

      Bis ihr plötzlich fast das Herz stehen blieb. Das Rattern, das Pfeifen, ein Zug! Nur, wohin jetzt so schnell laufen? Und die anderen Kinder würden sie bestimmt auslachen. Mit 12 noch vor einem Zug weglaufen! Sie drückte sich ganz eng an die Mauer. Ein Vibrieren ging durch das ganze Bauwerk. Sie hielt die Luft an, und dann, dann war es auch schon vorbei. Franzi atmete tief durch. Und in ihr kam eine große Freude auf: Ich habe es geschafft, die Angst endlich überwunden!

      Am Abend schrieb sie schließlich den versprochenen Brief an ihre Freundin Verena: »Liebe Reni, ich bin heute zum ersten Mal nicht vor der Eisenbahn weggelaufen und wenn wir uns wieder sehen, muss ich dir ganz genau erzählen, was ich hier erlebt habe… Liebe Grüße! Deine Franzi«

      »Opa, morgen fahre ich doch wieder nach Hause«, begann Franzi vorsichtig. Sie wollte den Opa um etwas bitten.

      »Na, frag schon, was hast du auf dem Herzen?« Ihr Opa hatte das Mädchen längst durchschaut.

      »Können wir noch mal runter zur Saale fahren? Ich möchte so gerne die Burg oben auf dem Felsen malen.« Franziska bekam zu Hause seit einigen Jahren einmal in der Woche zusätzlichen Zeichenunterricht. Sie war nicht untalentiert und es machte ihr großen Spaß. »Meinen Zeichenblock und die Stifte habe ich mit.«

      »Wie kann ich denn da noch nein sagen?«, erwiderte der Opa lächelnd.

      Franzi wollte eigentlich die Gelegenheit nutzen, um den Opa noch mal auf die fremde Frau anzusprechen. Doch als sie bemerkte, dass die Oma heute auch mitkommen würde, wusste sie, dass daraus nichts werden würde.

      Am Saaleufer machte Franziska es sich auf einem großen Stein gemütlich und begann ihre Skizzen. Schon bald entstand vor ihr auf dem Papier ein Abbild dessen, was sie oben auf dem Felsen über der Saale sah. Zu Hause wollte sie das Bild in Linoleum schneiden. So konnte man von einem Motiv viele Drucke fertigen. Diese Ansicht war einfach zu schön für nur ein Bild!

      Zum Abschluss kehrten sie noch einmal in das Terrassenlokal ein und Franzi verdrückte einen großen Eisbecher mit Sahne. Es war doch gar nicht so schlecht, mit Oma und Opa allein etwas zu unternehmen!

      »Franzi! Wir kommen!!!« Alexanders Ruf ertönte so lautstark, dass man es gar nicht überhören konnte. Kurz darauf kamen auch die Eltern um die Ecke und Franziska lief ihnen entgegen.

      »Na sag mal, bist du gewachsen?« Der Vater schaute seine Tochter erstaunt an. Franzi sah gesund aus, hatte offensichtlich sogar zugenommen und bekam so langsam frauliche Formen, die sich unter ihrem dünnen Sommerkleid deutlich abzeichneten.

      »Weißt du was«, fing Alex an, auf seine Schwester einzureden »ich bin direkt froh, wenn du wieder da

      bist. Ich durfte nicht mal alleine ins Schwimmbad gehen!« Franzi lachte. Das war ja schön, wenn sie wenigstens von einem vermisst wurde.

      Als die Familie sich später auf den Weg zum Bus machte, staunte der Vater zum zweiten Mal über seine Tochter. Er wollte sie gerade an die Hand nehmen und ihr helfen, in die verhasste Straßenbahn zu steigen, als Franziska ganz alleine einstieg. Ja, Franziska war gewachsen, äußerlich und innerlich.

      

       3

      

      »Gudrun, dein Vater hat mich heute im Büro angerufen.« Franz wusste, dass es kein leichtes Gespräch mit seiner Frau werden würde. »Helene ist gestorben.«

      »Dann sind wir sie jetzt los«, konstatierte Gudrun.

      »Ein bisschen Mitleid stünde dir gut«, entgegnete ihr Mann.

      »Mitleid? Nein, sie hat mir zu viel genommen.«

      »Aber sie hat dir doch auch viel gegeben«, widersprach Franz.

      »Egal, ich will nicht mehr drüber reden, tot ist tot.«

      In diesem Moment trat Franziska in die Stube.

      »Wer ist tot?«, wollte sie wissen.

      »Ach, kennst du nicht, eine entfernte Bekannte.« So, wie es die Mutter sagte, blieb ihr die nächste Frage im Halse stecken. Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass es nur diese fremde Frau, diese Helene sein konnte. Aber was hatten ihre Eltern damit zu tun? Oder irrte sie sich? War es doch nicht Helene gewesen, über die Vati und Mutti gesprochen hatten?

      Viel Zeit zum Nachdenken blieb nicht.

      »Hast du alle Sachen fertig?«, wollte die Mutter nun wissen. Der Sommer ging dem Ende zu.

      Nachdem die Kinder aus dem Ferienlager zurück gekehrt waren, sollte es nun die letzten 10 Ferientage mit den Eltern ins Erzgebirge gehen und direkt nach der Rückkehr