Mutter, Königin Alina, war schon lange des Amtes müde. Sie wollte endlich mehr Zeit für ihre zahlreichen Hobbys haben, wollte musizieren, tanzen, schwimmen, reiten, noch mehr seltene Blumen züchten. Und Gloria, die Eiskristallkronprinzessin, sollte deshalb am achtzehnten Geburtstag zur Eiskristallkönigin gekrönt werden. Die Mutter höchstpersönlich bereitete sie auf diese große Aufgabe vor. Und die Kronprinzessin in Königinnenausbildung nahm ihre Aufgaben sehr ernst. Der Name Gloria bedeutet Ruhm und Ehre. Und die pflichtbewusste Prinzessin wollte dem Namen Ruhm und Ehre machen. Der Vater im Himmel sollte stolz auf seine einzige Tochter sein.
Dass der Papa die Tochter bei der großen Aufgabe beschützen würde, das war für Gloria keine Frage. Der Vater hatte oft mit ihr darüber gesprochen, wie es sein wird, wenn er auf einer Wolke sitzt und Harfe spielt. Gloria erzählte dem Vater alles, was sie bewegte. Sie erzählte ihm von geheimen Wünschen, Träumen, auch von Ängsten, fragte ihn um Rat, wenn sie Kummer hatte und nicht mehr weiter wusste. Auch dann, als er schon auf der Wolke saß und die Heeresschar der Engel mit seiner Harfenmusik beglückte. Ihr Papa war ihr allerbester Freund.
Glorias Vater war lange krank gewesen, er hatte aber keine Angst vor dem Tod. Der Tod gehöre zum Leben dazu wie das täglich Brot, meinte er. Der gleichen Meinung war auch die Mutter. Und die Familie legte weiterhin das Leben froh in Gottes Hand.
Gloria liebte die unzähligen Eiskristallprinzessinnennichten und Eiskristallprinzenneffen sehr. Sie trafen sich jeden Abend zum Gebet in der Sternstaubeiskristallglitzerkapelle am Weihnachtssee. Und manchmal machten die Prinzessinnen Streiche. Leider war die Zeit zum Spielen viel zu kurz bemessen, die Eiskristallkronprinzessin musste noch sehr viel lernen für das zukünftige Amt, zum Beispiel: die korrekte Führung der Angestellten, die Hauswirtschaft, die Kassenverwaltung und vor allem voran musste sie die bestehenden Kontakte zu den anderen Königshäusern pflegen.
Gloria beherrschte zehn Sprachen fließend, in Wort und Schrift. Sie lernte aber auch Betten zu machen, kochen, nähen und flicken. Man müsse alles können, meinte die Eiskristallkönigin Alina. Und folgsam lernte Gloria kochen, backen, nähen, flicken, putzen. Obwohl sie das in ihrem späteren Leben nie mehr tun sollte. Aber das konnte man damals noch nicht wissen.
Gloria machte ihre Sache gut. Sie war fröhlich bei jeder Art von Arbeit, sang aus vollem Herzen dabei und fand für alle Schlossbewohner gutherzige Worte. Übung mache den Meister, meinte die Königin und so musste die Kronprinzessin auch dafür sorgen, dass die Fenster und Fußböden im Eiskristallschloss ordentlich geputzt waren. Sie musste dafür sorgen, dass die Vorräte im Keller nie ausgingen, die Tisch- und Bettwäsche in Ordnung war und sogar die Ställe ausmisten. Man müsse alles einmal gemacht haben, um Herrin sein zu können, meinte Königin Alina. Und man müsse immer wissen, wovon man spricht. »Arbeit schändet nicht.«
Gloria meisterte auch diese Aufgaben mit Fröhlichkeit, obwohl sie es überhaupt nicht mochte, Fußböden zu schrubben und Ställe auszumisten. Trällernd befreite sie die Räumlichkeiten des Schlosses vom Staub, schrubbte auf Knien die Fußböden und mistete die Ställe so aus, wie sie es bei den Bediensteten in den Eiskristallwunderschlossställen gesehen hatte. Sie lernte von den Angestellten aber viel mehr als das Schloss staubfrei und die Böden sauber zu halten. Sie erfuhr von einem Leben außerhalb der Schlossmauern, von einem Leben, das fremd für sie war und aufregend, aber ihr auch Angst machte.
Gloria wollte sich mit dem Leben außerhalb des Schlosses vertraut machen, später, wenn sie nicht mehr so sehr mit den Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt war. Im Dezember war es nämlich ihre wichtigste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Eiskristallwunderschlossbewohner an Weihnachten glücklich sind. Noch glücklicher als an gewöhnlichen Tagen. Weil Weihnachten das wichtigste Fest im Jahr ist, nicht nur im Eiskristallwunderland.
Das Weihnachtsfest zu organisieren war eine herausfordernde Angelegenheit für Gloria. So musste sie zum Beispiel dafür sorgen, dass exakt 3003 Eiskristallsterne die 1001 Fenster des Schlosses schmückten. Sie war auch zuständig dafür, dass acht schneeweiße Rentiere den großen Holzschlitten zur Kirche ziehen, auch dafür, dass es Weihnachtsgeschenke für alle Kinder im Schloss gibt. Jedem Kind im Eiskristallwunderschloss sollte sein Herzenswunsch erfüllt werden. Da hieß es Geschenke auswählen, Geschenke verpacken. Aber Gloria hatte viel Freude an der Arbeit. Sie machte sehr gerne Geschenke. Und sie wusste alle geheimen Wünsche der Kinderschar im Schloss.
Gloria musste auch das Weihnachtsmenü zusammenstellen, die Einkaufslisten schreiben, die Tischdekorationen aussuchen und dafür sorgen, dass Schneeflocken vom Himmel fallen, genau dann, wenn die Glocken um Mitternacht zur Weihnachtsmesse rufen. Das war sehr, sehr schwierig, aber Gloria schaffte es immer. Fast immer, um genau zu sein. Einmal nämlich ging etwas total schief. Das war, als Frau Holle für ein paar Tage zu Gast im Schloss war und unbedingt das Schneegestöber mitgestalten wollte. Frau Holle ist eine dickköpfige Person, aber das ist eine andere Geschichte, die werde ich ein anderes Mal erzählen, nächstes Jahr an Weihnachten vielleicht.
Gloria war eine sehr begabte Schlittschuhtänzerin. Und wenn sie über den weihnachtlich geschmückten See schwebte und Pirouetten drehte, verzauberte sie ihre Zuschauer jedes Jahr von Neuem. Sie war nicht nur eine begnadete Eistänzerin, sie war auch sehr musikalisch. Noch keine zehn Jahre alt, konnte sie schon die Harfe spielen und das so wunderschön, wie es keine anderen Harfenspielerinnen und Harfenspieler auf der ganzen Welt vermochten.
Mit glockenreiner Stimme trug sie ihre selbst komponierten Lieder vor, war selbst ihre perfekteste Begleitung. Und wenn Glorias feingliedrige Hände zärtlich die Harfe zupfte und die Prinzessin zum Himmel hoch schaute, hielt selbst der Wind die Luft an, kein einziger Laut war im Eiskristallwunderschloss Nummer eins mehr zu hören, alles lauschte, selbst die Schneeflocken hielten im Tanz inne.
Gloria konnte auch hervorragend Geige spielen, Bratsche, Cello und Kontrabass. Mit vierzehn Jahren schon war sie die Leiterin vom Eiskristallprinzessinnenkinderchor, auch gab sie den kleinen Eiskristallprinzessinnen, von den Eiskristallwunderschlössern in der nahen Umgebung, Kurse über gutes Eiskristallprinzessinnenbenehmen.
Gloria war ein gern gesehener Gast bei den Eiskristallprinzessinneneltern. Auch die großen und kleinen Eiskristallprinzen mochten sie sehr. So manch ein Prinz brachte auf heimlichen Wegen einen Strauß mit Eisblumenwunderschneeglöckchen ins Eiskristallwunderschloss. Sie hofften auf eine Einladung zum Tee. Aber keiner der Prinzen, die um sie warben, gefiel Gloria. Sie wollte einen Mann haben wie Papa. Groß und kräftig sollte er sein, humorvoll und mit warmem Gemüt. Er sollte kühn sein, die unbändigen Schneeschimmel reiten und mit den bockigen Eismondlichteseln umgehen können. Er sollte saftigen Schneegänsebraten in Eiskristallcremesoße zubereiten können, schlau sein, modebewusst. Und was ganz wichtig war, sie sollte mit ihm über alles reden können. Gloria nahm die Eiswunderschneeglöckchen ihrer Bewunderer an, Eiswunderschneeglöckchen waren ihre absoluten Lieblingsblumen. Sie versteckte das Gesicht in den zarten, kalten Blüten. Und sie schickte die Eiskristallprinzen wieder nach Hause.
Gloria legte die Blumen in die Zuchthalle zu den anderen Eiswunderschneeglöckchensträußen. Sie sollten Wurzeln ziehen. Eiswunderschneeglöckchen ziehen nur Wurzeln im Eiskristallwunderland, aber nicht immer, nur manchmal. Und nur dann, wenn sie vom richtigen Prinzen geschenkt werden.
Gloria hatte die Namen der Prinzen auf eine Karte geschrieben, sie auf einen kleinen Stock gespießt und sie zu den Blumen in den Topf gesteckt. Sie schaute einmal pro Woche nach, ob Wurzeln sprießen. Aber keines der Blümchen machte Anstalten, Würzelchen zu bilden.
Natürlich konnte die Eiskristallkronprinzessin die viele Arbeit in der Weihnachtszeit nicht alleine bewältigen, sie hatte unzählige Helfer in der Familie, fleißige kleine Eiskristallprinzen und Eiskristallprinzessinnen, die liebend gerne beim Geschenke verpacken, halfen. Sogar mit einigen Zauberern arbeitete sie in der Weihnachtszeit zusammen. Die Einkaufsmöglichkeiten im Eiskristallwunderland waren begrenzt, damals. Und es gab auch nur sechs Rentiere im ganzen Land. Und die waren braun. Und so mussten die Zauberer zaubern und zaubern und zaubern.
Glorias Lieblingszauberer hieß David. David war ein hübscher, junger Zauberer, der mit einem unbekannten Flugobjekt aus Deutschland angereist kam. Es weilten noch Zauberer aus Rumänien, Russland, England, Schweden, Amerika, Australien und Frankreich im Schloss. Ihre Hubschrauber standen rund um den weihnachtlich