lieber nicht, Vatichen, das ist so graulich«, erhob Suse Einspruch.
»Aber Suschen, das ist doch nichts zum Graulen. Noch dazu, wenn du hier in Berlin bist«, lachte der Vater die kleine Furchtsame aus. »Vesuv heißt der feuerspeiende Berg – man sagt nicht Feuer spucken, sondern Feuer speien, Herbert.«
»Das ist doch ganz dasselbe«, verwunderte sich Herbert.
»Und die Städte, die er unter seiner Asche begraben hat, heißen – ei, wißt ihr's wirklich nicht mehr, Kinder?«
»Pompeji«, antwortete Herbert nach kurzem Besinnen.
»Richtig. Und die andere? Na, Suschen? Ich habe es euch doch erst erzählt.«
»Herr – mit irgendeinem Herrn war das doch was?«
»Hahaha – Herkulanum. Aber mit einem Herrn hat der Name nichts zu tun, mein Dummerchen. Nun müßt ihr mir aber noch sagen, wie man die feuerspeienden Berge nennt und auch die Asche, die sie auswerfen.«
Da machten sie beide lange Gesichter. Keiner von den beiden hatte es behalten.
»Also dann muß ich es euch noch mal sagen. Feuerspeiende Berge heißen Vulkane. Und die Asche heißt –«
»Lava«, schrien die Kinder, die sich plötzlich wieder erinnerten.
»So ist es. Und nun lauft ein bißchen mit Bubi herum, Kinder, damit ich auch noch mit Mutti gehen kann.«
»Verwechsele – verwechsele das Bäumelein«, kommandierte Herbert, während die Mutter an Vaters Arm zurückwanderte und Bubi von beiden Kindern zu einem kleinen Galopp mitgezerrt wurde.
»Wie wirst du unseren Kindern fehlen, Paul!« sagte die Mutter nachdenklich. »Wie hast du auf den Spaziergängen stets ihr Wissen bereichert und ihren geistigen Gesichtskreis erweitert.«
»Das mußt du nun übernehmen, mein Herz. Wozu hättest du denn früher in der Jugendfürsorge gearbeitet«, scherzte der Professor.
»Durch die Waldschule entwachsen sie mir auch, unsere beiden. Sie bekommen draußen ihr Mittagessen. Vor fünf Uhr nachmittags werden sie kaum daheim sein, im Sommer noch später.«
»Ja, Fränzchen, das ist mir auch gar nicht recht. Aber nicht der Kinder wegen, sondern deinetwegen, mein Herz. Du wirst nun bei der Mittagsmahlzeit ganz allein sein. Wir haben das doch nicht genügend in Erwägung gezogen.«
»Ich habe es hin und her überlegt, Paul. Aber ich wollte nicht selbstsüchtig sein und an meine eigenen Wünsche denken. Für unsere Kinder ist es sicher besser, daß sie beisammen bleiben und nicht getrennt werden.« So war sie immer, die Mutter. Nie dachte sie an sich selbst. Stets nur an das Wohl der anderen.
Beim Gutenachtsagen schloß der Vater seine Zwillinge heute besonders liebevoll in die Arme. »Wie werde ich euch entbehren, meine Kinderchen.«
»Du hast ja den Vesuv dafür«, tröstete Herbert.
»Und die vielen Apfelsinen in Italien,« meinte auch Suse.
»Nun müßt ihr mir aber auch versprechen, Kinder, für Mutti zu sorgen, wenn ich fort bin. Und sie vor allem nicht zu ärgern. Stets artig und fleißig zu sein. Ja, versprecht ihr mir das?«
»Ein Mann, ein Wort!« sagte Herbert voll Überzeugung und reichte dem Vater seine Hand zur Bekräftigung hin.
»Ich bin jetzt als einziger Mann im Hause der Beschützer von den dreien, von Mutter, Lene und Suse. Die Suse, die ist noch zu klein dazu, weil sie doch zwei Stunden jünger ist als ich. Und dann ist sie überhaupt ein Mädel.« Es kam nicht oft vor, daß der Zwillingsbruder sich derart gegen die Schwester aufspielte.
Die empfand das denn auch. »Ich will auch für Mutti sorgen«, sagte sie ein bißchen weinerlich.
»Ihr seid meine guten Kinder und werdet beide für eure Mutter sorgen. Und vor allem sorgt dafür, daß ihr sie nicht quält, nicht ärgert, ihr nur Freude bereitet.«
Ja, das wollten sie alle beide ganz gewiß.
»Weißt du, Herbert«, überlegte Suse drin in der Kinderstube, »wir müssen Vati noch irgend etwas Hübsches zum Andenken mitgeben. Die kleine Omama hat ihm das Lederkissen zur Reise geschenkt, und Mutti die feine Reisedecke. Was könnten wir ihm denn schenken?«
Herbert machte ein betroffenes Gesicht. Das war ihm noch nicht in den Sinn gekommen. Aber er wußte wie immer Rat.
»Ich weiß schon, wir lassen uns photographieren. Dann kann Vati uns mitnehmen.«
»Geht nicht«, widersprach Suse. »Wir haben ja gar kein Geld. Und dann hat Mutti auch heute Vati versprochen, daß sie ihm zu seinem Geburtstag ein Bild von sich und uns schickt.«
»Ende Mai, das ist noch lange hin.« Herbert untersuchte auf alle Fälle seine Hosentaschen nach etwaigen Geldmitteln. Da kamen allerlei Herrlichkeiten zutage: Bindfaden in allen Stärken. Ein altes, vom Vater geerbtes Taschenmesser. Eine lederne, ziemlich abgeschabte Geldtasche desselben Ursprungs. Leider war sie leer. Drei Taschentücher, die einstmals weiß gewesen sein mochten. Elf Murmeln. Ein Kreisel. Mehrere verbogene Nägel, vom Umzug her. Zuletzt noch drei Kupferpfennige. »Das ist alles«, sagte er betrübt, auf seine Barschaft deutend.
»Dafür kriegen wir nichts.« Beide Kinder überlegten angestrengt, womit sie dem Vater zum Abschied wohl noch eine Freude machen könnten.
Suse blickte in ihren Puppenwinkel. Ihr Blick begegnete dem ihrer Schwarzwald-Lotti, die noch nicht schlief. »Was meinst du, Lotti?« fragte das Auge des kleinen Mädchens. Lotti nickte unmerklich mit dem Zelluloidkopf. »Wird es dir auch nicht zu schwer, Lotti?« flüsterte die Kleine der Puppe ins Ohr. Denn ihr wurde es ganz entsetzlich schwer, sich von ihrem Kinde zu trennen. Aber mußte sich der Vater nicht auch von seinen Kindern trennen, die er doch sicher ebenso lieb hatte? Na also.
»Ich gebe Vati meine Schwarzwald-Lotti zum Abschied mit, damit er in Italien nicht so doll Sehnsucht nach uns kriegt«, sagte Suse mit möglichst fester Stimme.
»Quatsch mit brauner Butter. Was soll denn ein Herr Professor mit einer dummen Puppe? Nee, nee – denn schon eher –«, Herbert verstummte plötzlich. »Bubi«, hatte er sagen wollen. Aber konnte er das seinem Hündchen antun? Würde der sich nicht nach ihm bangen in dem großen Italien? Herbert kämpfte einen schweren Kampf. Wollte die Suse nicht auch ihr Liebstes für den Vater hingeben? War er weniger opferfreudig als sie? Nein, gewiß nicht. Aber die Puppe war ein lebloses Ding. Und Bubi hatte ein Herz. Was für ein zärtliches kleines Hundeherz! Es schien dem Jungen unmöglich, sich von seinem vierfüßigen Freunde zu trennen. »Der Laubfrosch ist auch sehr schön«, sagte er schließlich. »Und dann weiß Vati wenigstens, was für Wetter in Italien ist.« Er griff nach dem Laubfroschglas.
»In Italien ist immer schönes Wetter, auch ohne Laubfrosch«, warf Suse ein.
Aber Herbert ließ keine Einwände gelten, denn Bubi – nein, den gab er nicht fort. Auch Suse ließ sich durch den Bruder nicht von ihrem Vorhaben abbringen.
Am anderen Tage, als der Vater seinen Koffer packen wollte, fand er zu seinem Erstaunen darin bereits Einquartierung: die Puppe und den Laubfrosch. Gerührt trug er beide wieder an ihren Platz zurück, empfand er doch die große Liebe seiner Kinder, die sich in dieser Abschiedsgabe offenbarte.
Aber die Zwillinge waren doch ungeheuer erleichtert, daß Vaters Koffer zu klein war, um Puppe und Laubfrosch zu beherbergen. –
Und nun war es so weit. In der großen Halle des Anhalter Bahnhofs stand der Schlafwagenzug nach Rom abfahrtbereit. Die Zwillinge hatten bereits das Abteil, in dem der Vater heute sein Bett hatte, gründlich untersucht. Es war recht gemütlich darin. Sie wären auch ganz gern mitgefahren.
Vater und Mutter standen Hand in Hand. Sie sprachen nicht viel, fühlten aber um so mehr. Nur die kleine Omama, die ihren Sohn zur Bahn begleitet hatte, trug die Kosten der Unterhaltung. Denn Herbert war von der Zusammenkoppelung der Eisenbahnwaggons ganz und gar in Anspruch genommen. Und Suse half ihm bei der Besichtigung.
»Einsteigen«, rief