Harald Haarmann

Die Anfänge Roms


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das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation«, das 1254 erstmals urkundlich belegt ist. Die Auswirkungen der napoleonischen Kriege führten zur Gründung des Rheinbunds, der aus dem Reichsverband ausschied. Das Reich löste sich im August 1806 mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. auf.

      Es gab eine Zeit, da war ein Römer ein Dörfler, der in einer der lokalen Siedlungen auf einem der sieben Hügel lebte, wo später die Stadt Rom erbaut wurde. Es gab eine Zeit, da war Rom als politische Macht unbekannt, weil andere das Land beherrschten. Es dauerte Jahrhunderte, bis die Stadt Rom zum politischen und kulturellen Mittelpunkt ganz Italiens wurde, und noch viel länger, bevor die Römer das Mittelmeer Mare nostrum (›unser Meer‹) nennen konnten, als sämtliche Küstenregionen unter römischer Kontrolle standen. Parallel zur militärischen Expansion ist eine rasante Entwicklung im römischen Kulturschaffen zu beobachten. Der Aufschwung war enorm.

      Was die Geschichte der römischen Zivilisation auszeichnet, ist der Umstand, dass diese von Anbeginn im Zeichen multilateraler Kultur- und Sprachkontakte steht. Die herausragende Stellung des Lateinischen als Medium des öffentlichen Lebens und als Ikone römischer Lebensart ist der Firnis, unter dem der Kulturaustausch und sprachliche Interferenzen mit Kontaktsprachen verdeckt bleiben. Es lohnt sich, hinter die Kulissen der römischen Selbstglorifizierung zu schauen, denn dort liegt der Schlüssel zum Verständnis der Kulturströmungen, die das Römertum geprägt haben und Rom zu dem gemacht haben, was uns seit Langem vertraut ist: zur historischen Drehscheibe der westlichen Zivilisation.

      Die Römer haben nicht aus eigenem Antrieb ihre Zivilisation aufgebaut, zivilisiert wurden sie von anderen, deren Zivilisationen viel älter sind als die römische, von Etruskern und Griechen. Diese waren bereits Jahrhunderte in Italien präsent, bevor aus den Bewohnern der rustikalen Idylle auf den sieben Hügeln Stadtbewohner geworden waren. Die Etrusker im Norden und die Griechen im Süden unterhielten ein ausgedehntes Netz von Handelsbeziehungen und kontrollierten weite Teile der Halbinsel auch politisch. Die Römer profitierten von ihren Beziehungen zu diesen Trägern früher Zivilisation in Italien. Im Anfang waren diese Beziehungen friedlicher Natur, später aber maßen die Römer ihre Stärke militärisch mit den mächtigen Nachbarn. Am Ende waren nur noch die Römer tonangebend, und sie behaupteten sich erfolgreich gegen alle Invasoren, gegen die Kelten im Norden und die Karthager im Süden.

      Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, hat den Charakter einer Saga über die frühen Kontakte der Römer zu ihren Nachbarn, über das dynamische kulturelle Erwachen, über das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen im Stadtgebiet von Rom, über die Entwicklung der Stadtverwaltung und später von staatlicher Ordnung unter etruskischer Ägide, über die dramatischen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Machtwechsel in Rom und der Entstehung der Römischen Republik, über den Wechsel zur Schriftlichkeit und über den Aufbau eines Kulturwortschatzes für das Lateinische. Kurzum: es geht hier um die Beschreibung der Umstände, die für die Ausbildung der Mosaikkultur maßgeblich waren, die wir als römische Zivilisation kennen.

      Das Lateinische hat den modernen europäischen Sprachen eine Vielzahl von Kulturwörtern vermittelt. Deren Zahl geht in die Hunderte. In lateinischer »Verpackung« sind auch viele Ausdrücke in die Sprachen, die wir heute sprechen, gelangt, die ursprünglich gar nicht lateinisch waren, sondern aus anderer Quelle stammen. Es mag vielen überraschend erscheinen, dass die wichtigste dieser Quellen das Etruskische ist. Dieser Sprache verdanken die Römer viele Elemente ihres Wortschatzes, u. zw. in den verschiedensten Bereichen. Wie breit das Spektrum der etruskischen Einflussnahme auf das Lateinische war, kann man an bestimmten Kernelementen erahnen, die Bestandteil des deutschen Kulturwortschatzes sind:

      Austragungsort:

      Arena (← latein. harena, ›Sand; Kampfplatz‹ ← etrusk.)

      Zeitrechnung:

      April (← latein. Aprilis ← etrusk.)

      Technik:

      Antenne (← latein. antenna, ›Querholz für das Rahsegel‹ ← etrusk.)

      Gebäude, Bauwerke, Einrichtungen:

      Atrium-(Hof) (← latein. atrium, ›offener Innenhof‹ ← etrusk.)

      Fenster (← latein. fenestra ← etrusk.)

      Küche (← latein. culina ← etrusk.)

      Taverne (← latein. taberna ← etrusk.)

      Zisterne (← latein. cisterna ← etrusk.)

      Gerätschaften:

      Kette (← latein. catena ← etrusk.)

      Kriegswesen:

      Triumph (← latein. triumphus, ›Triumph‹; ursprünglich nur im Sinn von ›militärischer Sieg‹ ← etrusk.)

      Ritualwesen:

      Zeremonie (← latein. caerimonia ← etrusk.)

      Urne (← latein. urna ← etrusk.)

      Lebensmittel:

      Käse (← latein. caseus ← etrusk.)

      Begriffe der Intimsphäre:

      Vagina (← latein. vagina ← etrusk.)

      Verwaltung:

      Magister, Magistrat (← latein. magister ← etrusk.)

      Gemeinschaftsbildung:

      Population, Pöbel, engl. people, franz. peuple (← latein. populus, ›Volk, Leute‹ ← etrusk.)

      (Etruskische Lehnwörter sind im Folgenden mit dem Verweise »B …« nach Breyer 1993 zitiert)

      Es heißt, das Etruskische sei ausgestorben. Angesichts der Vielzahl an Kulturwörtern aus dieser Sprache, die das Lateinische weiter vermittelt hat und die fester Bestandteil unseres lebenden Wortschatzes sind, fällt es schwer, das zu glauben. Wenn man zusätzlich in Betracht zieht, dass es sich bei diesen Entlehnungen nicht um isolierte Wörter handelt, sondern dass diese Elemente eingebettet sind in Kulturmuster etruskischer Prägung, dann ist es sinnvoller, von einer langfristigen Transformation des etruskischen Kulturerbes – sozusagen in römischer »Verkleidung« – in unserer westlichen Zivilisation zu sprechen.

      Die Geschichte der Antike wird bis in die heutige Zeit allgemein verstanden als die Geschichte der Griechen und der Römer. Die Stellung der Etrusker im Kontakt mit beiden und deren Hochkultur als Inspirationsquelle für die Römer sind den wenigsten vertraut. Um die Etrusker rankt sich bis heute das Mysterium ihres Schattendaseins, das es lohnt zu belichten. Wenn man nun aber, wie die Römer, vorhat, seine Meister zu übertreffen, dann neigt man dazu, deren Wertschätzung herunterzuspielen. Das haben die Römer mit Erfolg getan und die Nachwelt ist ihnen darin gefolgt. Es ist an der Zeit, die Etrusker aus der Versenkung zu heben und ihnen einen gleichrangigen Platz neben Griechen und Römern einzuräumen, den sie verdienen. Denn ohne Kenntnis der Rolle der Etrusker als Mittler zwischen der griechischen und der römischen Welt bleibt die Entwicklung des römischen Kulturerbes mysteriös verklärt und letztlich unverständlich.

      Beispielhaft für die Vermittlerrolle der Etrusker zwischen Römern und Griechen steht der Name, unter dem die Griechen bei den Römern bekannt waren: Graeci. Die Griechen selbst nennen sich Hellenes. Woher also stammt die lateinische Namensform? Bei den Etruskern hießen die Griechen Kreike, und diese Namensform ist die Quelle für lat. Graeci. Warum nannten die Etrusker die Griechen bei einem ganz anderen Namen als diese selbst? Um die Hintergründe dieser Diskrepanz in der Namengebung aufzudecken, müssen wir die Bedingungen betrachten, unter denen sich die Kontakte zwischen Etruskern und Griechen entwickelten.

      Griechische Kolonisten waren im Süden Italiens seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. präsent. Die ältesten Kolonien waren Pithekoussai (Ischia) in der Bucht von Neapel (vor 750 v. Chr.) und Syrakus auf Sizilien (bald nach 750 v. Chr.). Es dauerte nicht lange und die Etrusker aus dem Norden begannen, mit den Griechen aus dem Süden Handel zu treiben. In der Anfangszeit rekrutierten sich die Kolonisten vorrangig aus dem wenig bekannten Stamm der Kraikoi