in der Skinner-Box
Das Geschäftsmodell der Firma Facebook erwies sich auch noch in einer anderen Hinsicht als ethisch fragwürdig, um nicht zu sagen: verwerflich. Sean Parker, Gründungspräsident der Firma, Start-up-Investor und enger Berater von Mark Zuckerberg in der Anfangszeit, erklärte im November 2017:
«Die Motivation bei der Entwicklung der frühen Applikationen – und Facebook war die erste – war: Wie können wir so viel Zeit und Aufmerksamkeit der Nutzer wie möglich bekommen. Das bedeutete, dass wir einen regelmäßigen Dopaminausstoß triggern mussten, weil jemand ein Bild oder Post likte oder kommentierte. Das führte dazu, dass mehr Leute mehr Content lieferten, die wiederum mehr Likes und Kommentare erzeugten. Facebook ist eine soziale Bestätigungsmaschine, genau die Sache, die ein Hacker wie ich entwerfen würde, weil es sich die Verletzlichkeit der menschlichen Psyche zunutze macht. Die Erfinder – ich, Mark Zuckerberg und Kevin Systrom bei Instagram – haben das verstanden. Und wir haben es trotzdem gemacht. (…) Nur Gott weiß, was es mit den Gehirnen unserer Kinder anrichtet.»18
Einen Monat später bekannte Chamath Palihapitiya, der ab 2007 verantwortlicher Manager für das Nutzerwachstum des sozialen Netzwerks war, dass er durch seine Beteiligung «unendliche Schuld» auf sich geladen habe. Er warf Facebook vor, das menschliche Verlangen nach Feedback und Bestätigung auszubeuten. Die durch die eingebauten «Likes» erzeugte Dopaminausschüttung im Gehirn bringe die Nutzer dazu, immer wieder und wieder diese Bestätigung zu suchen und dabei den Bezug zur Realität zu verlieren. Das Funktionieren der Gesellschaft werde zerstört, denn durch die Pseudo-Interaktion auf die geposteten Inhalte finde kein ziviler Diskurs und keine Kooperation mehr statt; stattdessen dominierten Falschinformation und Unwahrheiten. «Wenn du das Biest fütterst, wird es dich zerstören.» Er habe seinen Kindern verboten, «diesen Scheiß» zu benutzen.19
Es hätte dieser freimütigen Selbstbezichtigungen nicht bedurft, um schon längst zu wissen, dass alle privaten Anbieter im Medienbereich wegen der unverzichtbaren Werbeeinnahmen existenziell darauf angewiesen sind, mit ihren Angeboten den Nutzer möglichst lange am Bildschirm festzuhalten, und dass sie dafür alle erdenklichen Tricks einsetzen. Solange zwischen Nutzer und Bildschirm keine Interaktion möglich war, kam es auf die Musik und starke Bildeindrücke an, z.B. durch Aggression und Sex. Sobald aber die fortgeschrittene Computertechnik die Interaktion möglich machte, konnten die Produzenten weit wirksamere Mittel einsetzen, um den Nutzer an sich zu binden. Eines davon sind die oben angedeuteten Feedback-Schleifen, die das dopamingesteuerte «Belohnungssystem» im Gehirn stimulieren. Der bei ehrlicher Selbstbeobachtung schon früher spürbare Sog des Bildschirms, dem man nur schwer widersteht, wurde dadurch auf eine neue Stufe gehoben, die tief in die Physiologie des Gehirns eingreift und nichts Geringeres darstellt als eine Konditionierung zur Sucht, ohne dass der Nutzer dazu sein Einverständnis gegeben hätte. Absichtliche Förderung einer Sucht bedeutet aber de facto Freiheitsberaubung, und sie ist umso heimtückischer, als der Nutzer sich dessen gar nicht bewusst ist, sondern sich im Gegenteil für völlig frei und unbeeinflusst hält.
Während des Siegeszugs der elektronischen Medien nach 1945 wurde deren Suchtpotenzial vehement bestritten und als Panikmache gebrandmarkt. Nach der Jahrtausendwende indessen waren die aufkommenden Suchtphänomene nicht mehr zu leugnen, und ab etwa 2015 richtete auch das Bundesministerium für Gesundheit seinen Fokus darauf. In seinem Bericht hieß es damals noch vorsichtig: «Viele Jugendliche und Erwachsene zeigen bereits heute Anzeichen einer Medienabhängigkeit. Computerspielsucht oder Internetabhängigkeiten werden zunehmend thematisiert.»20 Zwei Jahre später lautete der Bericht:
«Die Zahlen internetabhängiger Jugendlicher und junger Erwachsener steigen rasant – mittlerweile gehen Experten von etwa 600.000 Internetabhängigen und 2,5 Millionen problematischen Nutzern in Deutschland aus.»21
Gleichzeitig ergab eine Online-Studie von ARD und ZDF, dass in Deutschland 90 Prozent der Gesamtbevölkerung täglich das Internet nutzen, wobei die Altersgruppe 12 bis 25 Jahre im Schnitt pro Woche 22 Stunden online unterwegs sei.22 2018 wurde die Computerspielsucht von der Weltgesundheitsorganisation WHO in die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) aufgenommen. 2019 folgte die Online-Spielsucht, mit weiteren Einträgen ist zu rechnen.
Allerdings ist es nicht so, dass sich die Öffentlichkeit von solchen Nachrichten sonderlich beeindruckt gezeigt hätte. Unbehelligt von Protesten pries beispielsweise im Silicon Valley das Startup Dopamine Labs noch Ende 2017 seine neue Software an mit dem Satz: «Macht Ihre App noch suchterzeugender.»23 Das Produkt war nach B. F. Skinner benannt, jenem berühmten Forscher, dem es gelungen war, in einem speziellen Käfig (genannt Skinner-Box) Ratten durch Futterbelohnung zu einem bestimmten Verhalten zu konditionieren. – Menschen wie Ratten ködern und dressieren, um sie dann auszubeuten? Drastischer hätte der Hohn auf jegliche Humanität kaum mehr ausfallen können.
Dieses Menschenbild erinnert fatal an den Zukunftsroman Brave New World, in welchem Aldous Huxley 1932 eine durch und durch konditionierte Gesellschaft beschrieb, in der es im Jahre 2540 n. Chr. kein kritisches Denken und keine Entscheidungsfreiheit mehr gibt. Sind wir im 21. Jahrhundert mit unserer «schönen neuen Welt» schon auf dem Wege dorthin?
Milliarden Menschen in den Fängen der Suchtmaschinen
Adam Alter, seines Zeichens Professor für Marketing an der Stern School of Business der New York University, ist in den USA als Bestsellerautor bekannt. Er hat 2017 ein Buch herausgebracht (2018 auf Deutsch erschienen), das nüchtern und schonungslos die Situation beleuchtet, in die sich die moderne Menschheit manövriert hat. Aus seinen aufschlussreichen Recherchen in den USA sollen hier einige Passagen wiedergegeben werden, in denen u.a. auch führende Köpfe des Silicon Valley zu Wort kommen:
«Walter Isaacson, der während der Recherchen zu seiner Steve-Jobs-Biografie oft mit Jobs’ Familie zu Abend saß, verriet Bilton: ‹Ich habe die Kinder nie mit einem iPad oder einem Computer gesehen. Sie wirkten von technischen Geräten jeder Art ganz und gar unbeeindruckt.› Es schien so, als würden die Menschen, die Hightech-Produkte herstellen, die Grundregel aller Drogendealer beherzigen: Never get high on your own supply (so Michelle Pfeiffer in Scarface – Nimm nie selbst die Drogen, die du verkaufst.) (…) Viele Experten, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hightech-Welt, haben ähnliche Entscheidungen getroffen. Mehrere Spieledesigner erzählten mir, sie würden das extrem schnell süchtig machende Online-Spiel World of Warcraft tunlichst vermeiden. (S. 10)
Greg Hochmuth, einer der Instagram-Gründer, begriff schnell, dass er eine Suchtmaschine baute. ‹Immer findet man einen weiteren Hashtag, auf den man klicken könnte›, sagte Hochmuth. ‹Und dann entwickelt sich wie bei einem Organismus ein hashtaggetriebenes Eigenleben, das Menschen obsessiv macht.› Instagram ist, wie so viele Social-Media-Plattformen, bodenlos. Die Timeline von Facebook ist endlos; Netflix startet die nächste Folge einer Serie automatisch; Tinder ermutigt seine Nutzer, auf der Suche nach immer besseren Partner-Optionen weiterzuklicken. Nutzer profitieren zwar von diesen Apps und Websites, tun sich aber schwer damit, sie nur in Maßen zu benutzen. Der ‹Design-Ethiker› Tristan Harris glaubt, dies liege nicht an mangelnder Willenskraft, doch kämpfe man gegen ‹ein ganzes Heer auf der anderen Seite des Bildschirms, dessen Job einzig darin besteht, jegliche Selbstdisziplin zu unterminieren›. (S. 11)
Die Leute, die Hightech-Geräte, Computerspiele und interaktive Erlebnisse entwickeln und verfeinern, sind sehr gut in dem, was sie tun. Sie führen Tausende Tests mit Millionen von Nutzern durch, nur um herauszufinden, welche Feinjustierungen gut funktionieren und welche nicht – welche Hintergrundfarben, Schrifttypen und Töne maximale Hingabe bei minimaler Frustration versprechen. Wird eine solche Erfahrung immer weiterentwickelt, entsteht schließlich eine unwiderstehliche, hochexplosive Version jener Erfahrung, die sie einst war. 2004 war Facebook Spaß, 2016 ist das Netzwerk eine Droge. (S. 13)
Die meisten Menschen verbringen zwischen einer und vier Stunden täglich an ihrem Smartphone – doch viele weitaus mehr Zeit. Es handelt sich hier also nicht um das Problem einer Minderheit. (…) Sie verbringen im Schnitt ein Viertel