gesundheitlich noch psychisch noch geistig unberührt lassen? In den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte hat sich immer wieder gezeigt, dass eine neu eingeführte Technik nicht nur die Welt veränderte, sondern stets auch die Menschen selbst in ihrem Denken, Fühlen und Handeln.
Das wird jetzt nicht anders sein. Die Frage ist nur: Welcher Art werden dieses Mal die Veränderungen sein? Gehen wir womöglich einem menschheitlichen Massenexperiment mit ungewissem Ausgang entgegen?
Um zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, scheint es mir notwendig, auf eine wenig beachtete Tatsache zu blicken, die zu den Fundamenten der Digitaltechnik gehört. Der binäre Rechner arbeitet mit einer «Intelligenz», die gar keine ist, sondern ein inhaltsleerer Maschinenprozess, der zwar logische Denkstrukturen imitiert, aber nicht die geringste Verbindung hat zu der Lebenswirklichkeit, aus der die Daten stammen. Weder hat er sie zu den Objekten, die er abbildet, noch zu den Menschen, die sich in der Welt betätigen. Zu jedem Gemälde gehört ein Maler, zu jedem Buch ein Autor, zu jedem Musikstück ein Komponist, zu jeder Aufführung ein Interpret, und auch zum Aufsetzen des Computerprogramms gehört ein Mensch mit individuellen Zügen und persönlicher Prägung. Nichts von alledem findet Eingang in die Abfolge der Bits und Bytes. Daher ist es berechtigt zu sagen: Die Abläufe des digitalen Rechners sind im wörtlichen Sinne «ent-menschlicht».
Das ist nicht als moralischer Vorwurf zu verstehen, sondern als ein feststehendes Faktum von großer Tragweite. Denn aus der absoluten Leere gegenüber Welt und Mensch resultiert, wie ausgeführt, die universelle Einsetzbarkeit des Computers, resultiert aber auch die häufig vorgetragene Behauptung, die digitalen Medien seien weder gut noch schlecht, sondern ein ganz neutrales Instrument wie jedes andere technische Gerät; man müsse nur vernünftig mit ihnen umgehen. Mit dieser These wird bewusst oder unbewusst ein gravierender Trugschluss verbreitet, denn die Wirklichkeit zeigt ein anderes Bild:
Vergleichbar einem physikalischen Vakuum übt auch die perfekte menschliche Leere des Rechners einen gewaltigen Sog aus. Sie kann zwar als Plattform für sinnvolle und nützliche Anwendungen dienen; doch weil sie völlig ohne den Menschen agiert, saugt sie in erschreckendem Umfang auch unmenschliche Neigungen an: Sie wird immer häufiger genutzt, um unerkannt Machtgelüste auszuleben, krassesten Egoismus und niederste Instinkte zu befriedigen. Man kann gefahrlos Betrug, Manipulationen und sogar kriminelle Handlungen organisieren, weil sich die Herkunft solcher Angriffe im Internet technisch verschleiern lässt, sodass die Täter anonym bleiben. Von einem «vernünftigen Umgang» kann da keine Rede sein; vielmehr meldet sich das Pferd von Troja zurück. Spezialisten setzen aus dem Hinterhalt sogar sogenannte Bots ein, automatische Computerprogramme, die im weltweiten Netz massenhaft bestimmte Aufgaben selbstständig und vor allem unbemerkt durchführen. Der Entleerung von allem Menschlichen ist also nicht nur technisch, sondern auch moralisch Tür und Tor geöffnet.
Die Neigung der Intelligenz zum Bösen
Auf rätselhafte Weise ist in der Digitaltechnik das Gute engstens verknüpft mit dem Schlechten, obwohl das niemand beabsichtigt hat. Wie konnte es dazu kommen?
Wir stoßen hier auf ein menschheitsgeschichtliches Phänomen, das Rudolf Steiner schon 1919 zum Thema eines Vortrages gemacht hat.8 In der Kulturepoche, die der griechisch-römischen vorausgegangen ist, so schildert er, war Intelligenz etwas ganz anderes als das, was wir heute darunter verstehen. Wenn Ägypter oder Chaldäer9 «dachten, wenn sie ihre Intelligenz in Fluss brachten, dann lebte in dieser Intelligenz ihr Zusammenhang mit dem Kosmos». Die Verwandtschaft «der eigenen Wesenheit mit dem ganzen Kosmos» war der bestimmende Inhalt ihres Denkens. In der griechischen Epoche ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. wusste man noch von diesem Zusammenhang, doch richtete sich der Blick von jetzt an vor allem auf das eigene Wesen und seinen Zusammenhang mit allem Irdischen, Vergänglichen. Der Grieche «begriff alles dasjenige von der irdischen Welt durch diese Intelligenz, was dem Tode unterliegt».
Zu der nach dem Ende des Mittelalters beginnenden Neuzeit bemerkt Steiner:
«Heute sind wir noch sehr stark in einer solchen Entwickelung der Intelligenz darinnen, wie sie die Griechen hatten. Wir begreifen durch unsere Intelligenz dasjenige, was dem Tode unterliegt. Aber auch diese Art von Intelligenz, die das Tote begreift, verwandelt sich. Und in den nächsten Jahrhunderten und Jahrtausenden wird diese Intelligenz etwas anderes, etwas weit weit anderes werden. Sie hat heute schon eine gewisse Anlage, unsere Intelligenz. Wir werden als Menschheit einlaufen in eine Entwickelung der Intelligenz so, dass die Intelligenz wird die Neigung haben, nur das Falsche, den Irrtum, die Täuschung zu begreifen, und auszudenken nur das Böse.»
Blicken wir vor diesem Hintergrund auf unsere gegenwärtige Situation, dann scheint es, dass wir dem Bösewerden der Intelligenz in den letzten hundert Jahren seit Steiners Äußerung schon ein Stück näher gekommen sind. Die täglichen Nachrichten sind heute voll von Berichten über übelste Machenschaften mithilfe des Internets. Die geronnene, tote «Intelligenz» des Computers wird zum Instrument, um böse Absichten zu verwirklichen, Betrug, Lügen und Verleumdungen in die Welt zu setzen, den Unterschied zwischen Wahrheit und Irrtum zu verwischen und auf diese Weise nicht nur materiellen Schaden anzurichten, sondern auch seelische und geistige Verwüstungen zu schaffen, die zu heilen gewaltige und lang anhaltende Bemühungen erfordern würden.
Dennoch – es wäre nicht in Steiners Sinne, seine Aussagen als Glaubenssätze zu behandeln. Sie sind als Hinweise zu verstehen, die anhand der Wirklichkeit geprüft werden sollten. Dazu bieten die folgenden Kapitel Gelegenheit.
2. Schöne neue Welt der Medien
Die angedeutete Zwiespältigkeit der digitalen Technik stellt unser Zeitalter vor ein großes Problem. Dennoch scheint es mir nicht sachgemäß, von Anfang an nur auf die negativen Seiten zu blicken. Wir müssen auch verstehen, warum die Menschen von den neuen Errungenschaften derartig fasziniert waren, dass sie zuerst nur das Gute und Vorteilhafte im Auge hatten und kritische Einwände lange Zeit in den Wind schlugen. Ich möchte dazu eine kleine historische Skizze entwerfen, die uns bis zu dem Punkt führt, an dem es schließlich zu einem bösen Erwachen kam.
Ein großes Thema des 19. Jahrhunderts war das Bemühen, sowohl optische als auch akustische Sinneseindrücke in technische Vorgänge zu überführen. Den Beginn machte die Erfindung der Fotografie. Aufgetragen auf Zelluloidfilme wurde sie universell einsetzbar, besonders auch in Form von «bewegten Bildern», die durch die schnelle Abfolge von 24 Aufnahmen pro Sekunde die Illusion echter Bewegungen erzeugten. Daraus entstand die Gattung der Spielfilme, die ab 1895 einem staunenden Publikum vorgeführt wurden – zunächst als Stummfilm. Den Ton konnte man erst nach der Erfindung von Mikrofon und Lautsprecher hinzufügen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trat neben den Kino-Spielfilm ein mächtiger Konkurrent: das Fernsehen. Hier wurde das bewegte Bild auf dem Schirm einer Kathodenstrahlröhre elektronisch erzeugt. Die Geräte, die zu dieser Zeit in die Läden kamen, steckten noch in den Kinderschuhen: Anders als viele längst in Farbe produzierte Kinofilme war das Fernsehbild schwarz-weiß, und vor allem flimmerte und flackerte es ständig, sodass das Zusehen wenig angenehm war. Außerdem gab es lange Zeit nur ein einziges Programm zu sehen (1963 begann das ZDF, erst 1984 folgten die privaten Sender).
Umso mehr überrascht es im Rückblick, wie schnell sich die Öffentlichkeit trotz aller Mängel mit dem neuen Medium anfreundete. Allerdings waren dabei zwei Publikumsmagnete im Spiel, die das Interesse anstachelten. Ähnlich wie Adolf Hitler 1936 durch die erstmalige Fernsehübertragung der Olympischen Spiele die Öffentlichkeit beeindruckte, waren es auch nach dem 2. Weltkrieg zwei Großereignisse, die wie geschaffen waren, um die Massen für das Fernsehen zu begeistern: 1953 die Krönung der englischen Königin Elisabeth II. und 1954 die Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz. Obwohl es zu beiden Ereignissen in den Kinos farbige und technisch viel bessere Präsentationen gab, erregte das Fernsehen weit mehr Aufsehen.
Die Fernsehproduzenten wie auch die Gerätehersteller hätten sich keine bessere Werbung wünschen können als diese erregenden «Events», die vom Publikum als