Gregor Bauer

Das Übernatürliche


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Jesus deutete. Danach wurde er zum erfolgreichsten Missionar der Christenheit. In seinem Brief schrieb er:

      •Was man von Gott erkennen kann, ist unter den Menschen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn sein unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Göttlichkeit wird seit der Erschaffung der Welt an dem erkannt, was Gott gemacht hat. Es gibt also keine Entschuldigung.

      Gottes Existenz ist also aus der Welt unmittelbar einsichtig, meint Paulus. Das wird immer wieder Menschen überzeugen. Aber eben nicht alle. Es ist, wie wenn sich ein Mathematik-Schüler eine präzise Begründung sparen wollte, indem er schlicht auf seine geometrische Zeichnung an der Tafel zeigt und dazu sagt: „Man sieht’s.“ Der eine sieht es tatsächlich, die andere aber eben nicht.

       Der Kausalitätsbeweis: Was ist die Ursache von allem?

      Dieser Beweis ist sehr verbreitet, auf viele Menschen wirkt er sehr überzeugend:

      •Alles hat eine Ursache. Irgendjemand aber muss die erste Ursache gesetzt haben. Und das ist Gott.

      Das ist in der Tat ein starkes Argument. Kindern leuchtet es unmittelbar ein, und das ist kein schlechtes Zeichen. Dennoch: So zwingend, wie viele Gläubige meinen, ist es nicht.

      Atheistinnen und Atheisten könnten einwenden: Wenn alles eine Ursache hat, muss dann nicht auch Gott eine Ursache haben? Falls wir uns aber entschließen, bei Gott eine Ausnahme zu machen und anzunehmen, dass er keine Ursache braucht: Könnten wir dann nicht genauso gut irgendwo anders eine Ausnahme machen?

      Leicht abgewandelt, lässt sich dieses Gegenargument auch gegen weitere Varianten des kosmologischen Beweises richten. Beispielsweise gegen den Bewegungsbeweis mit Gott als dem ersten Beweger. Oder gegen den Stufenbeweis mit Gott als absolutem Endpunkt in der Abstufung der Werte.

       Wie raubt Kant den Gottesbeweisen ihre Beweiskraft?

      Unser vorletzter Beweis stammt von Immanuel Kant (1724–1804). Von Kant? Wie kann das sein? Ist Kant nicht der Zertrümmerer der Gottesbeweise?

      Schauen wir uns zunächst an, wie Kant die Gottesbeweise zertrümmert. Dann schauen wir uns den Beweis an, den er trotzdem noch aufstellt – falls es denn ein Beweis ist.

      Kant widerlegt die Gottesbeweise auf Basis seiner Erkenntnistheorie. Mit dieser werden wir uns nun beschäftigen, allerdings nur unverschämt kurz und ohne Fachbegriffe, die man erst umständlich erklären müsste.

      Die kürzeste Darstellung von Kants Erkenntnistheorie, die ich kenne, stammt von Heinrich von Kleist (1777–1811). Der deutsche Dichter befand sich 1801 in einer schweren Sinnkrise. Die Kant-Lektüre hatte ihn zutiefst verstört, wie er am 28. März 1801 in einem Brief an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge (1780–1852) schreibt. Ich habe mich von Kleists Darstellung inspirieren lassen:

      Stellen Sie sich vor, Sie wären mit einer grün getönten Brille im Gesicht geboren (bei Kleist sind es grün getönte Augenlinsen). Diese Brille hätten Sie noch niemals abgesetzt. Dann würden Sie alles, was Sie sehen, für grün halten. Erst wenn Sie Ihre Brille eines Tages doch absetzen könnten, würden Sie merken: Das stimmt doch alles gar nicht! Die Farben sind doch ganz anders! Jetzt erst erkenne ich, wie die Welt in Wirklichkeit aussieht!

      Was nun Kleist von Kant gelernt hat – und das zu seinem großen Entsetzen: Wir alle haben tatsächlich eine solche Brille auf. Aber wir werden sie niemals absetzen können.

      Diese Brille ist keine farblich getönte Sonnenbrille. Sondern es ist der unüberwindliche Zwang, alles in Raum und Zeit wahrzunehmen.

      Bisher haben Sie vielleicht geglaubt, dass Raum und Zeit wirklich da draußen in der Welt sind. Dann wird es Ihnen schwer fallen zu begreifen: Tatsächlich sind Raum und Zeit genauso eine Illusion wie die grüne Tönung der Brille in unserem Beispiel. Diese Illusion werden Sie niemals überwinden können.

      Aber damit nicht genug: Sie haben noch eine zweite Brille auf. Das ist die Brille von Ursache und Wirkung. Diese Brille zwingt Sie zu glauben, dass alles eine Ursache hat. Sie können gar nicht anders denken. Und Sie werden es niemals können. Denn auch Ursache und Wirkung – die „Kausalität“ – ist eine Brille, die Sie niemals ablegen werden.

      Kants „Kritik der reinen Vernunft“ enthält noch weitere solcher „Brillen“, aber das sind die wichtigsten.

      Wir müssen also radikal umdenken: Bisher hielten wir Raum, Zeit und Kausalität für objektive Tatsachen, die unabhängig von uns existieren. Aber das tun sie nicht: Sie sind feste Bestandteile unseres Erkenntnisapparats, ohne die für uns nichts geht.

      Das aber bedeutet: Die Welt wird sich uns immer nur durch den Filter unseres Erkenntnisapparats zeigen, also wie verzerrt, sprich: Wir werden niemals die Wahrheit über die Welt erkennen können. Das war es, was Kleist so schrecklich enttäuscht hat.

      Durch die neuere Naturwissenschaft wurde Kant zumindest teilweise bestätigt: Raum und Zeit sind – gegen Newtons Überzeugung – tatsächlich nicht so, wie wir sie uns vorstellen. Albert Einstein (1879–1955) hat gezeigt, dass es sich mit Raum und Zeit ganz anders verhält, auf eine für uns unvorstellbare Weise. Oder können Sie sich die gekrümmte Raumzeit der Relativitätstheorie vorstellen? Und was Ursache und Wirkung angeht: Durch die Quantenmechanik wissen wir heute, dass unter den kleinsten Teilchen, aus denen sich alles zusammensetzt, nicht das Gesetz von Ursache und Wirkung herrscht, sondern der pure Zufall.

      Die neuere Verhaltensforschung betrachtet Kants Erkenntnistheorie vor dem Hintergrund der Evolution. Sie stellt fest: Unsere Wahrnehmung muss etwas mit der Welt da draußen zu tun haben. Sonst hätte sie uns und unseren Vorfahren nicht dabei helfen können, in dieser Welt zu überleben. Auf der anderen Seite bestätigt sie aber Kants Urteil, dass wir die Welt nicht so sehen, wie sie objektiv ist.

      Kant sagt im Grunde nichts anderes: Obwohl Raum, Zeit und Kausalität keine objektiven Tatsachen sind, können wir uns auf sie verlassen. Für den Alltagsgebrauch stimmt es: Alles geschieht in Raum und Zeit, alles hat eine Ursache. Aber es stimmt eben nicht immer.

      Wann stimmt es nach Kant nicht? Auf Raum, Zeit und Kausalität können wir uns nur so lange verlassen, wie wir uns in unserer Erfahrungswelt bewegen. Also da, wo wir etwas sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen oder uns vorstellen können – und diese Sinneseindrücke mit dem Verstand verarbeiten.

      Nicht verlassen können wir uns auf unseren Erkenntnisapparat, sobald wir etwas herausfinden wollen, das unsere Erfahrungswelt übersteigt. Zum Beispiel, ob die kleinsten Teilchen, aus denen alles zusammengesetzt ist, unendlich oft weiter teilbar sind. Oder ob die Welt einen ersten Anfang hat. So etwas können wir nicht erfahren. Deshalb ist alles, was wir uns darüber ausdenken, haltlose Spekulation.

      Genauso ist es leider aber auch mit den Fragen, die uns am meisten interessieren: Existiert Gott? Haben wir einen freien Willen? Erwartet uns nach unserem Tod ein ewiges Leben?

      All das würden wir nur zu gerne wissen. Aber Gott, Willensfreiheit und Unsterblichkeit können wir nicht erfahren. Deshalb funktioniert unser Erkenntnisapparat hier nicht. Es ist, wie wenn wir versuchen würden, mit einem Hammer einem Gespenst den Schädel zu zertrümmern. So veranschaulicht es Christian Godin in seiner „Geschichte der Philosophie für Dummies“.

      Aber kann man Gott nicht doch erfahren? Zum Beispiel in einer inneren Schau, wie es Mystiker berichten, oder in Wundern? Und kann sich Gott nicht offenbaren, zum Beispiel in der Bibel?

      Von all dem hält Kant nichts. Offenbarungen, Wunder, übersinnliche Fähigkeiten, kirchliche Gottesdienste – all das ist für ihn religiöser Wahn.

      Bedeutet das, dass Kant nicht an Gott glaubt? Man könnte es meinen. Immerhin haben später viele Atheisten die Erkenntnistheorie Kants für ihre Argumentation gegen die Religion verwendet. Und dafür hatten sie gute Gründe.

      Dennoch: Kant selbst hat es anders gesehen. Er hat sich zum Glauben an Gott bekannt. Wie ist das möglich?

      Damit sind wir bei Kants