Clara Viebig

Vom Müller-Hannes


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jungen Frau.

      Als alle schon lange schliefen, wartete sie noch immer auf ihren Mann. Die Stunden wurden ihr zu Ewigkeiten. Der Kuckuck hatte schon viele Male den Kopf aus seinem Uhrtürchen gesteckt, nun schrie er schier ohne Aufhören. Zuckenden Mundes zählte die Frau: Jesus, schon zwölf, Mitternacht! Wenn er doch käme, sie war ja so allein! Da, horch, rasselte nicht fern ein Wagen?! In der Stille der Einsamkeit meinte sie vertrautes Räderrollen zu erkennen. Nun litt sie’s nicht länger, ihr Herz klopfte. Hastig schlüpfte sie aus der Stube. Leise öffnete sie das Türgatter halb und lehnte sich lauschend hinaus. Nichts war mehr zu hören, auch nichts zu sehen, nur gerade ein Stück Landstraße, vom Licht der Sterne schwach beflimmert; dahinter eine dunkle Höhe. Vor Enttäuschung traten ihr die Tränen in die Augen – er kam noch nicht! Doch halt, war das nicht ein Tritt?! Wer schlich da noch herum?!

      Eine Gestalt wurde sichtbar: ein langes, großes Frauenzimmer stand an der erhöhten Böschung der Straße, unbeweglich das Gesicht, das wie ein heller Fleck durchs Dunkel schimmerte, der Mühle zugekehrt. Auf wen lauerte die, gewiß auf einen Knecht?!

      Als Frau Tina, die endlich in die Stube zurückgegangen war, noch einer halben Stunde wieder in die Tür trat, stand die unbewegliche Gestalt noch immer drüben auf der Landstraße. Tina wurde neugierig; sie faßte sich ein Herz und rief in die Nacht hinaus:

      »’n Abend, auf wen wart’ Ihr dann hei?« – »Hä, uf mein Schatz!« – »Ach herrje!« Die junge Frau fühlte sich plötzlich hingezogen – warten, ach, das ist ein schlechter Zeitvertreib! »Geht nur heim, de Knecht schlafen als lang: Ech glauben, eweil kömmt keinen mieh heraus für zu karessieren!«

      »Ech waarten aach uf ke Karessiere mieh!«

      Das klang merkwürdig bitter; und dann folgte ein hartes Auflachen, das Tina erschreckte. Auf was wartete die denn sonst jetzt so spät noch, auf was anders als auf ein heimliches Stündchen, von dem niemand nichts weiß?! Die stand ja so erwartungsvoll, hatte die Arme übers Kreuz geschlagen und guckte unverwandt zum Haus hinüber. Tina glaubte den brennenden Blick jener Augen zu fühlen. Was wollte die denn? Ach, am Ende hatte der Schatz sie verlassen, und sie gedachte nun, ihm hier aufzulauern.

      »Se sein all im Bett,« versicherte sie noch einmal treuherzig, und dann setzte sie teilnahmsvoll hinzu: »Jao, Jao, so sein die Mannsleut’! Ech raten Euch gut, laßt hän laufen. Ihr krieht en annern!«

      »Spaort Eier Red’ – ech will ken annern!« Die Große fuhr auf und reckte sich, und dann streckte sie plötzlich den Kopf vor und schien mit geneigtem Ohr zu lauschen. »Dän Müller es net derhäm?« Sie fragte es, aber sie schien keiner Antwort zu bedürfen.

      Tina stutzte. Der Müller, ihr Mann, freilich, der war nicht zu Haus, aber was ging das die an, warum fragte die? Eine plötzliche Unsicherheit übefiel sie, eine jähe Furcht – wovor, das wußte sie selbst nicht. Die Nacht war so düster, in den Lüften schien es zu seufzen; drohend ragte gegenüber der dunkle Berg, und die Große stand unbeweglich mit lauschendem Ohr.

      »Gieht, gieht!« sagte die junge Frau hastig, »ech giehn eweil auch un legen mich hin.« Sie machte Anstalt, die Tür zu schließen, aber sie sah, die andere ging doch nicht weg. »Gieht heim, strolcht hei net mich herum. Ihr hatt hei nix verloren – gieht doch!« Ihre Stimme wurde scharf vor Ärger und Unruhe.

      Die Große lachte wieder; kam dann ein paar Schritte näher. »Ech wünschen Eich en gude Ruh. Schlaoft wohl – allein!«

      Trotz der Dunkelheit sah Tina ein paar wilde Augen funkeln, weiße, rollende Augäpfel und ein sprühendes Flackern. Angst kam sie an in der einsamen Nacht, sie stotterte: »Den Müller – den Müller – den is jao zu Haus, den liegt schons im Bett!«

      »Ha, ha, wän’t glauwt! Ech net. Dän fährt eweil noch im Chaische. Läjt Ihr Eich eweil noren ganz kommod; ech waarten noch ebbes. On wann de Naacht drüwer zu End gieht, on de Sonn drüwer erufkömmt, on de Welt drüwer onnergieht« – die Worte überstürzten sich ihr –, »on wann alles kaputt gieht, on wann hän mech schlät – ech, ech haon noch en Rechnung met em ze maachen! On wann et währt bis zom Jüngsten Dag, heimgezaohlt krieht hän dat doch emaol. Wann net von mir, dann von’m annern! Waart dau«, – sie ballte die Faust und drohte in die Ferne – »waart!«

      »Jesses!« Zu Tode erschrocken zitterte die junge Frau.

      Da, von ferne Räderrollen! Sie horchten beide. Jetzt kam er!

      »Hannes«, schrie Tina laut und sprang gegen den Wagen an.

      Der Müller, der fest geschlafen hatte – die Pferde waren des Weges sicher –, fuhr auf aus seinem sanften Dusel. Seine Frau hing ihm schwer am Arm. Was war denn passiert, he, was denn?! Brannte es wo, kam die Maarfrau gelaufen und wollte sie beim Schopf fassen?!

      Tina konnte nicht sprechen, sie war zu erregt. Den Arm nur streckte sie aus und wies ihm die Große, die noch immer dastand wie angewachsen.

      »Kotzdonner, dat schwarz Luder!« Hannes riß die Augen weit auf: was, die jetzt bei Nacht und in der Positur?!

      Sie sah ihn an, als wollte sie ihn umbringen.

      Da nahm er seine Frau recht fest in den Arm, Landscheids Seph brauchte nicht zu denken, daß er sich vor ihr genierte.

      »Tina, no, sei rohig,« tröstete er; und dann drehte er sich der andern zu und sagte ganz unbefangen: »’n Aowend, Seph! No, wat michst dau dann hei noch eweil esu spiet?«

      Sie erwiderte nicht und rührte sich auch nicht, blickte ihn nur unverwandt an mit ihren schwarzen Augen.

      Er lachte hell auf: »No, wat dann? Willste wat?«

      Was sie wollte?! Was, was, er fragte noch?! Durch die starke Gestalt des Mädchens lief ein Beben. Da stand er, breit und frech, er, der sie verlassen, schlug nicht die Augen nieder, sondern lachte! Lachte!

      Mit der einen Hand hielt er seine Frau, die andere hatte er in die Hosentasche gesteckt; die Pferdchen guckten ihm über die Schulter. Im Sterngeblinzel leuchtete hell sein rundes, blondes, lachendes Gesicht.

      Seph wollte sprechen, schreien, schelten und konnte nicht. Der Mund war ihr plötzlich wie zugehalten. Nur ein kurzer heiserer Laut kam ihr aus der Kehle, anstatt all der langen lauten Vorwürfe, die sie ihm hatte ins Gesicht schleudern wollen. Sie boste sich. Also dafür hatte sie ihm aufgelauert seit Tagen, Wochen, Monaten, war hier ruhelos oft um die Mühle geschlichen, hatte ihm nachspioniert bei Tag und Nacht?! Also dafür hatte es ihr keine Ruhe gelassen, der Wunsch sie verzehrt, ihm nur einmal, ein einziges Mal noch gegenüberzutreten, daß sie jetzt, nun sie ihn so nahe vor sich hatte, wie sie es gewollt, Auge in Auge, nichts von all dem herausbrachte, was sie ihm sagen gewollt?! Eine ohnmächtige Wut überkam sie, gegen ihn, gegen sich selber am meisten – ei, warum stand sie denn hier und ließ sich zum Narren halten?!

      Stumm reckte sie den Arm gegen ihn.

      »Kreizdonnerparaplei, Mädche, biste dann eweil ganz doll,« sagte er belustigt. Und auch die Frau wagte jetzt ein leises, verlegenes Gekicher.

      In die Nacht hinein lief Seph, so rasch, wie sie noch nie gelaufen war. Hinter sich glaubte sie den Hannes lachen zu hören und seine Frau dazu – nein, die waren es doch nicht mehr, das waren die Stimmen der Nachtvögel, die ums Maar strichen! Und aus der Tiefe klagte es.

      Sie stolperte und fiel hart nieder beim Steinkreuz und blieb liegen und vermochte sich nicht aufzuraffen, so müde war sie auf einmal; ganz zerbrochen. Das, auf was sie gelauert all die Zeit, auf das sie gehofft hatte mit einer peinvollen und doch lustvollen Gier: der Augenblick war dagewesen, und sie hatte ihn ungenützt verstreichen lassen.

      »O, ech dumm Fraumensch, wuh hatten ech dann mei Maul?!« Mit beiden Händen griff sie sich in die langen Haare und riß daran, und dann schlug sie sich ins Gesicht. So hätte sie ihm ins Gesicht