Clara Viebig

Vom Müller-Hannes


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dann, sein en Hongerlieder, dän net piep saon därf, wann annre Vögel peifen?! Ech saon der, dän krieht sein Gäld uf Martini bei Heller on Penning. Dat es mer akkerat rächt met der Künnijung, duh haon ech aach kein Ambra mieh met de Zönsen!«

      Sie glaubte es ihm nicht – er sah’s an ihrem Gesicht –, da packte ihn der Ärger. Wie durfte sie an ihm zweifeln?!

      »Maach net esu en deierlich Wisasch wie Maria am Kreiz! Kotzdonner noch ehs, stieh net esu dao, wie de Katz, wann’t donnert!« Er herrschte sie gewaltig an. Sie war sein Herrschen gewohnt, manche Träne hatte sie schon still darum vergossen, aber heut war’s zu arg. Und die Sorge dabei im Herzen!

      Laut aufweinend hielt sie sich die Schürze vor das Gesicht und lief davon, ins Haus, in die Kammer. Dort kniete sie nieder vorm Muttergottesbild.

      5.

      »Sankt Martinus kommt zu Pferd und macht den Bauer alert«, heißt ein altes Eifeler Sprichwort.

      Müller-Hannes mußte nun doch daran glauben, die gekündigte Hypothek zu bezahlen; es ging ihm diesen Martini wie so vielen anderen Bäuerlein, die mit Not und Mühe ihre paar Groschen zum Zahltag zusammenschrapen. Der Laufeld wollte um keinen Preis warten; er hatte noch was Schriftliches geschickt. Und Hannes, in dem dumpfen Gefühl, daß jener ihm nicht wohlwolle, hatte auch gar keinen Versuch gemacht, ihn zur Rücknahme der Kündigung oder wenigstens zu einem Aufschub zu bewegen. Das sollte ihm einfallen, dem Laufeld gute Worte geben! Vor dem einen Kratzfuß machen – nein, niemals!

      Des Hannes Gesicht sah trotzig aus, als er am Vormittag des elften November gen Manderscheid fuhr. Das Tal war eng; noch hatten die Nebel darin sich nicht gelüftet, sie hockten auf dem gewundenen Pfad und hingen um die vorspringenden Nasen der Felsen wie nasse Schleierfetzen. Jetzt war alles Grün dahin. Die Brombeeren und wilden Rosenhecken hielten nur hier und da noch ein letztes rostbraunes Blatt, eine verschrumpfte Hagebutte fest; widerlich schrie ein Häher aus dem dürren Eichenbüsch. Ein ganzer Schwarm hungriger Krähen scheute auf vom Peitschenknall und strebte mit schwerfälligem Schlagen der nassen Flügel den winzigen Saatstreifchen auf der Höhe zu.

      Wild brauste die Kleine-Kyll. Das war kein Bach mehr, das war ein Fluß, der die Wiesen rechts und links überschwemmte, fast die Breite des ganzen Tälchens einnahm und kaum die Straße freiließ.

      Des Müller-Hannes Stirn umwölkte sich. Hier unten, dort jenseits, da wo der Mosenberg abstürzt und seine Geröllhalde in ein sammetweiches Uferland übergeht, baute sich einer an – ein Müller! Schon stand das Haus unter Dach – nächsten Sommer war’s wohl beziehbar – schon zeigte sich das Gestühl für das große Rad, und ein paar riesige Mühlsteine lagen schon auf dem Hof. Und hier, tausend Schritt bachaufwärts, kam noch ein zweiter Müller zu wohnen, der Bruder vom unteren. Der eine eine Schneidemühle, der andere eine Mahlmühle. Schöne Aussicht das!

      Hannes blickte grimmig drein. Das war ja eine ganz infame Frechheit, sich ihm so auf die Nase zu setzen! Wie konnten die sich unterstehen? War er nicht da, er, der Müller-Hannes? Für so viel Mühlen war kein Verdienst hierzuland. Und das Wasser würden sie ihm abfangen! Wenn’s mit dem Zufluß aus dem Maar knapp geworden, hatte er doch immer sein gut Teil aus der Kleinen-Kyll gekriegt, nun sollte ihm die auf einmal nicht mehr allein gehören?! No, wart, das wollte er ihnen zeigen, was es heißt, den Müller-Hannes schikanieren! Das ließ er sich nicht gefallen, und sollte er vor Gericht gehen!

      Zornig hieb er auf die Pferde ein: weiter, weiter, daß er nur nichts mehr von dem Ärgernis sah!

      Heute waren beide Gäule eingespannt, trotzdem der Weg nicht weit und sie daheim schlecht zu entbehren gewesen. Ei, was, die Leute konnten eben einen Tag länger auf ihr Mehl warten, – lästig genug, daß man es ihnen noch vors Haus fahren mußte – der Laufeld war einspännig gekommen, nun kam er dem heute zweispännig. Fürnehm genug sah’s aus, das gelblackierte Chaischen; und alles Lederzeug blank gewichst, das Riemenzeug mit Silber beschlagen. Müller-Hannes schmunzelte. Ja, die Manderscheider würden Augen machen, akkurat wie gestern die Wittlicher! Dort war er gewesen und hatte sich aus der Sparbank dreitausend Taler geholt, die diese ihm als neue Hypothek auf die Mühle gegeben. Zweitausend Taler hatte ihm der Schwiegervater vorgestreckt, aber erst nach langem Zureden und Anhalten – die Tina hatte extra darum an die Mosel hinunterfahren müssen – wahrhaftig, es war nicht angenehm, zu jemandem »Danke!« zu sagen. Das brauchte man wenigstens bei der Bank nicht, die kriegte ja Sicherheit in der neuen Hypothek. Da war es gar keine Gefälligkeit, da war’s eben ein Geschäft.

      Befriedigt war Hannes gestern durch Wittlich zurückgefahren, die Dreitausend im Sack, aller Sorgen ledig. Die Gäule waren dahingestoben, als hätten sie statt des Blutes Feuer im Leib. Das Pflaster hatte Funken gesprüht unter ihren Hufen. Hui, durch die Gassen, daß groß und klein an die Türen eilte und die Mädchen rasch die Gardinchen von den Fenstern beiseite rissen. Er hatte allen zugewinkt; sein rundes Gesicht blühte in einem jovialen Lachen, die Straße im grauen Novemberlicht wurde hell davon. »Kucktelhei, dän Müller-Hannes, dän Müller-Hannes!« Das hörte er gern.

      Heute konnte er die frohe Laune von gestern nicht finden. Hatte der Wein, den er im Wittlicher Gasthaus »Zur Traube« getrunken, ihm den Kopf schwer gemacht? Er fühlte einen ungeheueren Brand. No, nur ein halb Stündchen Geduld, dann war er oben in Manderscheid, da gab’s was zum Löschen!

      Schon fingen die großen Kehren an, die langsam zum Plateau hinaufführen. Es war derselbe Weg, den er einst in hochzeitlicher Seligkeit mit seinem jungen Weib hinuntergefahren. Dazumal hatte der Mond silberne Rosen gestreut, und alle Wunder der Maiennacht hatten sich geoffenbart. Er erinnerte sich heute nicht mehr daran. Aber wie damals guckte er hinüber zum Mosenkopf, der sich jetzt in ganzer Mächtigkeit über dem Vorland niederer Höhen erhob.

      Der trug noch immer kein stolzes Haus auf dem Buckel, von dem man hinunterspucken konnte auf die Welt. Aber – des Müller-Hannes finsteres Gesicht hellte sich ein wenig auf – das würde schon noch kommen, ’s würde schon noch kommen; warum die Hoffnung aufgeben, wenn man stark ist und in den besten Jahren, und – wenn man noch mal was zu erwarten hat?! Nicht, daß er dem alten Knauserer an der Mosel das Leben mißgönnte, nein, nein! Es war nur schön, daß man doch noch einmal einen gehörigen Batzen kriegte. Was der Schwiegervater immer von schlechten Zeiten stöhnte, war einfach nicht zu glauben; und auf der Tina Gerede war erst gar nichts zu geben. Die sah alles schwarz. Hatte sie nicht gesagt, es käme dem Alten sehr sauer an, als sie mit den zweitausend Talern zurückkehrte? Ach, was war die für eine Wehklage geworden, eine »Quiesel« noch dazu! Wenn sie durchs Haus ging, bewegte sie oft still die Lippen, sie betete bei sich. War das nicht zum Ärgern?! Eine Betschwester hatte er doch nicht zu freien gedacht, sondern eine Junge, Frische, voller Lebenslust. Hübsch war sie auch nicht mehr, klapperdürr; und seit sie ein paarmal »Malheur« gehabt, kränkelte sie. War’s nicht eine Schande, nur einzig die Fränz im Haus und keinen Sohn?!

      »Verflixt!« Der starke Mann sah an sich herunter und steifte die kräftigen Lenden. Nein, an ihm lag es nicht, er hätte der Jungen in die Welt setzen können, wie weiland der Erzvater Jakob, zwölf an der Zahl, ein gewaltiges Geschlecht, das die Welt bevölkert.

      Ein Gefühl, das er bis jetzt noch nie so deutlich empfunden, erhob sich plötzlich in ihm. War es Enttäuschung, Zorn, Haß gegen die Schwache? Nein, nein, die Tina war ein kreuzbraves Weib, sie hatte keinen Willen und tat, wie er befahl. Aber Empörung war doch in ihm. Ja, Empörung. Warum gebar sie ihm keinen Sohn, einen gesunden, strammen, so einen, wie er selber war?! Die Fränz war hübsch und kräftig, ließ sich ganz gut an, aber was soll’s mit einem Mädel, kann die einmal regieren? Einen Sohn, einen Sohn!

      Er ließ die Pferde gehen, wie sie wollten; so knapp bogen sie am Rand der Kehren um, daß oft ein Rad überm Absturz hing. Aber es war nicht sorgloser Leichtsinn mehr, der den Herrn also unachtsam machte; eine zornige Bitterkeit war in ihm aufgewallt, und das zu Kopf steigende Blut hatte seine Augen getrübt. Er nagte an der Unterlippe. Wenn er jetzt die Tina