Sie es ihm zusammen mit dem Mantel.«
Kopfschüttelnd entfernte sich der Alte. – Nach einigen Augenblicken hörte man das Geräusch des abfahrenden Wagens. Franz holte trockene Kleider aus einem Nebenzimmer und bat seinen Gast, sich derer zu bedienen. Mit dem Versprechen, gleich wieder zurückzukehren, verließ auch der Associé das Zimmer, um ins Kontor zu eilen.
»Nun«, rief Kaleb, als er eintrat, »haben Sie den Bankier gesprochen?«
»Ja«, antwortete Franz mit freudigen Mienen, »ich habe ihn gesprochen!«
»Schon fürchtete ich, dass Sie zu spät kommen würden, aber Gott sei Dank, Ihr Gesicht verkündet gute Botschaft.«
»Ja, Freund, ich bringe gute Botschaft«, rief der junge Mann, indem er dem Greis die Hand reichte, »und danke Ihnen für den Rat, noch heute Gewissheit zu erlangen, denn nun können wir ruhig schlafen.«
»Dann war das Gerücht also unbegründet?«
»Wie ich gleich vermutete, war es eine nichtswürdige Verleumdung! Der Bankier gab einen Ball; die Räume des weiten Hauses hallten von Musik und Gläserklang wider. Dies hielt mich aber nicht ab, einen bärtigen Portier, der mir den Eintritt verweigern wollte, beiseitezuschleudern und mich dem Herrn des Hauses vorzustellen.«
Franz erzählte nun Wort für Wort seine Unterredung und schloss damit, dass er dem alten Kassierer um den Hals fiel.
»Gott sei Dank«, rief dieser, »jetzt atme ich wieder frei auf! Doch um ganz sicherzugehen«, fügte er hinzu, »sollten wir das Angebot des Herrn W. in Anspruch nehmen und morgen in aller Frühe unser Geld abheben; wir müssen uns vor allen Eventualitäten schützen, denn Sie kennen den Charakter unserer Arbeiter; wenn sie nicht auf die Stunde genau ihren Lohn erhalten, verlassen Sie die Fabrik und verhängen Schmach und Schande über unsere Firma.«
»Kaleb«, unterbrach Franz den redselig gewordenen Alten, »ist Herrn Hubertus und Anna von dem Gerücht etwas zu Ohren gekommen?«
»Nein, nein, mein junger Freund, beide haben keine Ahnung davon. Als Sie um acht Uhr nicht bei Tisch erschienen, kam Herr Hubertus ins Kontor, wo ich mit Angst und Ungeduld Ihrer Rückkehr harrte. ›Wo ist Franz?‹, fragte er; ›warum kommt er nicht zu Tisch? – ›Herr‹, antwortete ich und hatte Mühe, meine Aufregung zu verbergen, ›ich soll ihn entschuldigen, es hat ihn ein Freund abgeholt, der morgen eine lange Reise antreten will; beide wollen heute noch einen fröhlichen Abschied feiern.‹«
»Danke, Freund Kaleb«, antwortete Franz lächelnd und errötend zugleich, »da haben Sie mir einen schönen Dienst erwiesen! Anna, das fromme und sittsame Mädchen, wird von dieser Nachricht nicht übel erbaut gewesen sein, und ihr strenger Vater wird mich morgen mit einem schönen Empfang beehren.«
»Du lieber Himmel«, rief der Greis, »konnte ich anders? Eine Lüge und ich sind selten zu einer Tür eingetreten; ich musste den ersten besten Vorwand gebrauchen, um nicht in Verlegenheit zu geraten. Doch nun sagen Sie mir, wer ist der Fremde, der mit Ihnen gekommen ist? Und wie ist es dazu gekommen, dass Ihre Kleider nass geworden sind?«
»Ganz recht, Sie erinnern mich, dass ich für diese Nacht einen Gast habe. Der arme Mensch kämpfte mit dem brausenden Strom, als ich mit leichtem und frohem Herzen über die Brücke schritt; ich kam noch zur rechten Zeit, um ihn dem Tod zu entreißen. Nun schließen Sie das Kontor; ich werde mich umkleiden und zu ihm zurückkehren. Gute Nacht, lieber Freund, gute Nacht!«
»Wackerer junger Mann«, murmelte Kaleb, indem er die Tür verschloss, »du verdienst in der Tat eine glückliche Zukunft. Der Himmel sei mit dir!«
8.
Richard hatte indes seine durchnässten Kleider abgelegt und die seines unbekannten Gastgebers angezogen. Als Franz eintrat, saß der Dichter bleich und nachdenkend auf dem Sofa; der plötzliche Wechsel seiner Lage schien keinen günstigen Eindruck auf ihn ausgeübt zu haben. Langsam erhob er sich und fragte in einem fast mürrischen Ton:
»Also Ihnen verdanke ich mein Leben?«
»Ja, ich war der Glückliche«, antwortete Franz, »dessen Gott sich zu Ihrer Rettung bedient hat.«
»Ich kann Ihnen nicht danken«, fuhr Richard düster fort, »denn Sie haben mir einen traurigen Dienst erwiesen.«
»Und ich schätze mich glücklich«, rief Franz, indem er seinem Gast freundlich die Hand drückte, »einem anständigen, braven Mann, der einen Augenblick der Verzweiflung unterlegen war, das Leben gerettet zu haben!«
Richard schwieg einen Augenblick; die Röte der Scham überzog sein bleiches Gesicht – er musste die Blicke zu Boden senken.
»Wer sagt Ihnen, dass ich ein braver Mann bin? Die Tat, die ich begehen wollte, kann als ein Verbrechen gelten, und ich glaube fast, sie ist ein Verbrechen. Mag Gott mich dafür strafen, und Sie, mein Herr, für Ihre schöne Handlung belohnen. Ich bereue nichts, als Sie Ihrer Kleider beraubt zu haben, deren ich mich aus Zerstreuung, oder wer weiß warum, bedient habe – ich danke Ihnen dafür. Leben Sie wohl!«
»Halt«, rief der junge Kaufmann in einem freundlichen Ton, indem er den Verzweifelnden sanft zurückhielt, »so dürfen Sie mich nicht verlassen. Sie sind für diese Nacht mein Gast und bleiben so lange hier, bis Sie sich völlig erholt haben.«
»Lassen Sie mich, mein Herr, ich bedarf der Erholung nicht – lassen Sie mich!«
»Sie wollen gehen«, sprach Franz in einem ruhigen, aber mahnenden Ton, »und Ihre Mutter?«
Richard bebte zusammen.
»Himmel«, rief er, »wer hat Ihnen gesagt, dass ich eine Mutter habe?«
Statt der Antwort überreichte Franz dem Dichter die beiden Papiere, die man bei ihm gefunden hatte.
»Klagen Sie mich nicht der Indiskretion an«, entschuldigte sich Franz, »denn nicht ich, sondern die Polizeipatrouille hat Ihre Taschen durchsucht, um Auskunft über Ihre Person zu erhalten.«
Schweigend empfing Richard die Papiere und steckte sie zu sich. In diesem Augenblick trat eine Magd ein und servierte einen Tisch mit Wein und Speisen. Franz half den Tisch zu arrangieren, während Richard an ein kleines Bücherbrett trat und die darin aufgestellte Bibliothek prüfte.
»Und nun zu Tisch«, rief Franz, als beide wieder allein waren, »dass der Wein das Blut erwärme und unsern Gedanken eine andere Richtung gebe!«
Richard konnte nicht ausweichen, er musste der Einladung seines Gastgebers folgen und sich zu Tisch setzen. Der Dichter hatte nicht viel Appetit, wie sich wohl denken lässt, und zwei Gläser Wein, die Franz ihm aufnötigte, reichten nicht nur hin, sein Blut zu erwärmen, sondern es heißer als gewöhnlich zu machen. In dem gemütlich warmen Zimmer und hinter einer Flasche Wein zerschmolz bald die menschenfeindliche Rinde, die das Elend um sein Herz gezogen hatte, und bald fing er an, sich im Stillen Vorwürfe über seinen Freitodversuch zu machen.
»Sie sehen«, sprach Franz, indem er mit seinem Gast anstieß, »dass mir ihre Lage bekannt ist und dass Sie Vertrauen zu mir haben können.«
»Was fordern Sie«, antwortete Richard und stellte sein leeres Glas auf den Tisch zurück; »soll ich Ihnen meine Unglücksgeschichte erzählen? Der Brief und die elenden Verse müssen Ihnen schon genug gesagt haben. Zwar arm, erhielt ich dennoch die Erziehung eines Reichen, und dies war mein Unglück. Eines schönen Tages stand ich mit meiner Mutter allein in der Welt, niemand beachtete, niemand unterstützte uns; mein Talent, Verse zu machen, war die einzige Quelle, die uns das kärgliche Brot zum Lebensunterhalt bot. Den Schluss haben Sie gesehen: Um meiner kranken Mutter einen Platz im Hospital zu verschaffen, wollte ich mir einen in den Wellen suchen. Dies alles ist sehr einfach, mein Herr, und kann kaum Ihre Neugierde reizen.«
»Wohl wahr«, sprach Franz, die Gläser füllend; »allein der Mann, der Sie bis zum Äußersten trieb …«
»… hat nur seine Pflicht getan«, fiel der Gast ein. »Das Elend in dieser ungeheuren Stadt übersteigt alle Begriffe; es ist wahrhaft entsetzlich! Eine Witwe«, fuhr er mit Bitterkeit fort, »kann an der Tür eines