August Schrader

Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe)


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folgt das Unglück, wo immer ich den Fuß auch hinsetzen mag; selbst die Wohltaten der Menschen werden mir verhängnisvoll. Und meine arme Mutter! Schon glaubte ich, ihr ein ruhiges Alter bereiten zu können, als mich plötzlich das Schicksal wieder zu Boden schmettert und noch elender macht, als ich je gewesen bin! – Anna ist die geliebte Braut meines Wohltäters, dieselbe Anna, für die ich eine verzehrende Leidenschaft hege, eine Leidenschaft, die mir das Leben unerträglich macht. Nein, ich muss fort, fort aus diesem Haus, fort von der Erde!«

      Richard erblickte auf einem Tisch neben dem Fenster ein Schreibzeug mit Papier. Ohne sich länger zu besinnen, schob er einen Stuhl heran, ergriff mit zitternder Hand die Feder und schrieb einige Zeilen; dann faltete er das Papier zu einem Streifen und bildete eine Schleife daraus, da ihm das Material zum Siegeln fehlte. Mit dem Papier in der Hand verließ er das Zimmer.

      Als er auf den Korridor trat, begegnete ihm dieselbe Magd, die ihm das Frühstück gebracht hatte.

      »Mein Kind«, sprach er leise und mit bebender Stimme, »Sie suche ich.«

      »Womit kann ich dem Herrn dienen?«, fragte die Magd und sah den aufgeregten Dichter erstaunt an.

      »Würden Sie mir wohl die Gefälligkeit erweisen, dem jungen Herrn des Hauses dieses Billett zu übergeben?«

      »Gern.«

      Richard gab dem Mädchen das Papier, eilte den Korridor entlang, beide Treppen hinab und stürzte wie ein gejagtes Wild zur offenen Tür hinaus. Nur die Magd hatte seine Flucht gesehen, die sich nicht weiter darum kümmerte, sondern ruhig ihren Geschäften nachging, ehe sie den Brief abgab.

      Während sich die soeben beschriebene Szene im zweiten Stock des Hauses ereignete, hatte sich die Gruppe im Garten um eine Person vermehrt: Franz, der aus dem Fabrikgebäude in sein Kontor zurückkehren wollte, war hinzugetreten.

      »Nun, Sie Nachtschwärmer«, fragte Anna lächelnd, »haben Sie ausgeschlafen?«

      Der junge Mann erinnerte sich des Vorwands, den Kaleb seinem Besuch bei dem Bankier untergeschoben hatte; er konnte sich einer kleinen Verlegenheit nicht erwehren.

      »Vollkommen!«

      »Ist Ihr Freund abgereist?«, fuhr das junge Mädchen fort, indem es sich von dem Gärtner entfernte und eine Promenade durch den Garten begann.

      Franz erinnerte sich seines Gastes.

      »Nein«, gab er zur Antwort, »er wird auch nicht abreisen.«

      »Warum?«

      »Weil er sich entschlossen hat, in unsere Dienste zu treten und die Korrespondenz zu übernehmen. Sie wissen, dass Ihr Vater schon lange auf die Besetzung dieses Postens drang; ich halte sie aber erst jetzt für nötig, da die politischen Verhältnisse eine größere Tätigkeit gestatten. Mein Freund ist gerade der Mann, wie ich ihn brauche, und ich hoffe, er wird nicht allein dem Geschäft, sondern auch meiner Person von wesentlichem Nutzen sein.«

      »Wie«, fragte Anna verwundert, »Ihrer Person?«

      »Ja, meiner Person.«

      Die beiden jungen Leute standen in diesem Augenblick an derselben Stelle, wo sie im Frühling zum ersten Mal über ihre Herzensangelegenheit gesprochen hatten. Eine wehmütige Erinnerung drängte sich der Jungfrau auf, als sie die schwarzen, blätterlosen Zweige des Rosenstrauchs erblickte, der so oft seine duftenden Blumen geliefert hatte, mit denen sie das Zimmer des alten Wilibald schmückte. Aber auch Richards Bild tauchte mit der Erinnerung an den Greis empor; sie musste sich zur Seite wenden, um ihre Verwirrung zu verbergen, denn ihr war, als ob Franz die Veränderung bemerken müsste, die seit der Unterredung an diesem Ort in ihrem Herzen vorgegangen war. Ängstlich, dass ihr Begleiter die Gelegenheit benutzen und ein Gespräch anknüpfen würde, in dem sie nicht immer mit freier Stirn vor ihm hätte stehen können, fragte sie nach einer kleinen Pause:

      »Sie wollten mir ja von Ihrem Freund erzählen, lieber Franz?«

      Anna ahnte nicht, dass diese Frage gerade dem Ziel entgegenführte, das sie zu vermeiden suchte, denn Franz, der in der Tat die Absicht hegte, durch die Erzählung von seinem Freund ein Gespräch über seine Herzensangelegenheiten einzuleiten, trat freudig näher und antwortete:

      »Ganz recht, von meinem Freund! Erinnern Sie sich noch des Planes, den ich Ihnen hier an dieser Stelle, als der Rosenstrauch in voller Blüte stand, mitteilte?«

      »Eines Planes?«, sprach sie betreten, als Franz sie an jenes Gespräch erinnerte.

      »Sagte ich Ihnen nicht«, fuhr der Associé des Herrn Hubertus leiser fort, »dass Sie sich Ihres zukünftigen Mannes vor Ihren gebildeten Freundinnen nicht zu schämen haben sollten?«

      »Nun?«, fragte Anna tief errötend.

      »Diesen Plan wird mein Freund mir ausführen helfen.«

      »Ihr Freund?«

      »Ja, denn er ist ein wissenschaftlich gebildeter junger Mann und hat mir versprochen, in den Mußestunden meine Studien zu leiten, denen ich mich bisher, freilich nur mit geringem Erfolg, allein gewidmet habe.«

      »Mein lieber Freund«, sprach Anna gerührt, »warum widmen Sie Ihre Mußestunden nicht der Erholung, der Sie doch nach den anstrengenden Geschäften bedürfen? Bedenken Sie Ihre Gesundheit!«

      »Die Wissenschaften gewähren mir nicht allein Erholung, sondern auch Vergnügen.«

      »Außerdem besitzen Sie hinreichende Kenntnisse …«

      »Glauben Sie mir, liebe Anna, ich kenne mich, und meine schwachen Talente auszubilden, ist ja das Geringste, so wie auch alles andere, was ich Ihnen zuliebe tun kann.«

      »Franz«, sagte Anna, »ich weiß nicht, ob ich den Erwartungen je werde entsprechen können, die Sie von einer Verbindung mit mir hegen. Obgleich ich mich bemühen werde, Ihnen eine gute Hausfrau zu sein, so glaube ich doch kaum, dass es sich der Mühe lohnt, meinen Besitz durch solche Opfer zu erkaufen; einen Besitz, den Ihnen ja schon der Wille meines Vaters gesichert hat.«

      »Der Wille Ihres Vaters?«

      »Ist auch stets der meinige«, antwortete das junge Mädchen errötend, denn es fühlte, dass es ein wenig zu weit gegangen war.

      »Anna«, rief Franz, »ich glaube Ihren Worten, aber glauben Sie auch mir: Ich werde nicht eher daran denken, den Wunsch Ihres Vaters, den Sie fälschlich mit dem Ausdruck ›Willen‹ bezeichneten, zu realisieren, bis Sie selbst mich dieses Glückes für würdig halten. Dem trockenen Geschäftsmann, wie Sie ihn in diesem Augenblick noch vor sich sehen, sollen Sie nie Ihre Hand reichen; nur wenn er Herz und Geist zu jener Stufe herangebildet hat, die erforderlich ist, dem armseligen Leben ein wenig Poesie zu verleihen, dann wird er fragen, ob die Familie Hubertus noch denselben Wunsch hegt.

      In diesem Augenblick trat die Magd heran und überhob die beschämte Anna der Antwort auf die edelmütige Äußerung des jungen Mannes.

      »Was gibt es?«, fragte Franz.

      »Hier ist ein Brief für den jungen Herrn.«

      »Von wem kommt er?«

      »Von dem jungen Mann«, antwortete die Magd, »der diese Nacht das Zimmer im zweiten Stock bewohnte.«

      »Ah, von unserm neuen Kommis«, rief Franz und öffnete das Papier.

      »Nachdem er mir den Brief übergeben hatte«, fügte das Mädchen hinzu, »eilte er schnell und, wie es schien, sehr bewegt die Treppe hinab. Wahrscheinlich hat er das Haus verlassen, denn er ist bis jetzt noch nicht wieder auf sein Zimmer zurückgekehrt.«

      »Sonderbar!«, sprach Franz und las den Brief, der Folgendes enthielt:

       »Ich kann die Stelle nicht annehmen, die Sie mir angetragen haben. Der Himmel sei mit Ihnen; Sie sehen mich nie wieder!«

      »Der Brief hat keine Unterschrift; der Unglückliche wird sich das Leben nehmen wollen!«

      »Das Leben nehmen?«, rief Anna.

      »Ich