Tochter des Milchmanns Tewje aus Anatevka. Damals suchte das Ensemble dringend ein kleines Mädchen für die Rolle ohne Text, da ihre Statistin krank geworden war. Die Theaterluft war sehr beeindruckend, der Saal voller Menschen, die Scheinwerfer und der Applaus, welch schöne Atmosphäre und Energie. Ich konnte nicht genug davon bekommen, obwohl ich nur einen kurzen Auftritt hatte, war es für mich die Welt!
Als ich 11 Jahre alt war, wurde im Nordwest-Zentrum ein Tatort gedreht. Ich war natürlich dabei. Jeden Tag nach den Schulaufgaben stand ich am Drehort und suchte den Regisseur. Als ich ihn ausfindig gemacht hatte, erzählte ich ihm von meinen Auftritten, dass ich schon recht erfahren sei und unbedingt in dem Krimi mitspielen wollte. Ich bekam auch hier eine Rolle, wenn auch nur eine ganz kleine Mini-Komparsenrolle. Aber ich war glücklich. Alle 10 Jahre wird dieser alte Tatort wiederholt. Ich sehe ihn mir immer an und muss schmunzeln.
Meine Eltern gehörten nicht zum Mittelstand oder dem höheren Management an, meine Mutter war Kinderkrankenschwester, hatte nach der Geburt des zweiten Kindes den Beruf an den Nagel gehängt. Als Hausfrau und Mutter später von drei wilden Kindern hatte sie dann genug zu tun. Mein Vater war Handwerker und so konnten wir nicht alles haben, was andere Kids hatten. In der Schule orientierten sich aber alle Kinder an den schönen Dingen der Anderen, die man dann auch haben wollte, was aber für uns nicht möglich war.
So wurde ich kreativ!
JUGENDTRÄUME
Mit 14 Jahren wollte ich unbedingt eine tolle Wrangler-Jeans haben, die zur damaligen Zeit exorbitant teuer war. Bei drei Kindern musste meine Mutter schon abwägen, was wirklich wichtig war und da war diese teure Jeans nicht akzeptabel. Alle Kids trugen entweder Wrangler oder Levis und ich stand da als Außenseiter mit Jerseyhosen. Als ich herausgewachsen war, zu lange Beine hatte, nähte mir meine Mutter immer wieder einen Blümchenbund an. Das muss man sich mal vorstellen! Ich war dem Schmäh der Klassenkameraden ausgesetzt. Das hat wirklich keinen Spaß gemacht. Heute nennt man es Mobbing.
So ging ich in den Sommerferien los und suchte mir einen Job. Die meisten Firmen sagten: „Werde noch ein paar Jahre älter, dann kannste wieder kommen.“
In Praunheim bei der Metzgerei Melchior wurde ich angenommen, erst mal für eine paar Tage, versuchsweise an der Wurstmaschine. Der Darm wurde über eine Öffnung eines Rohres gezogen und die Fleischmasse wurde in den Darm gefüllt. Meine Aufgabe war es, dann mit Schwung einmal zu drehen, sodass es eine Wurst wurde. Nach einem gewissen Abstand musste ich wieder den Darm drehen und so weiter. Es wurde mir schnell langweilig, den ganzen Tag Wurstdarm drehen, macht rammdösig, aber ich war jung und brauchte das Geld. Nach einigen Tagen kam die Verkäuferin vom Verkaufsladen nach hinten in die Fleischerei und war in Panik, da eine Verkäuferin kurzfristig ausfiel. Das war meine Chance. Ich fragte, ob ich helfen darf, und so kam ich in den Verkaufsraum, was viel interessanter war. Ich musste nur noch die Preise lernen für die Produkte und los ging es. Ich verkaufte so gut, dass ich dort bleiben durfte. Man lobte mich, denn ich hatte wohl die Gabe, den Leuten mehr zu verkaufen, als sie eigentlich wollten und die dann oft das Doppelte ausgaben, als geplant.
Mein Geheimnis, ohne es bewusst zu machen, war einfach nett zu sein und freundlich, immer eine Probe von meiner Lieblingswurst und anderen Dingen zum Verkosten anzubieten. Die Kunden fanden mich so süß, dass sie bereit waren, mehr einzukaufen.
Nach einer Woche wurde ich in die Hauptzentrale im BFG Bankhaus am heutigen Willy-Brandt-Platz in die Einkaufspassage mit der Metzgerei-Zweigstelle versetzt. Jetzt musste ich leider auch noch U-Bahn fahren, das hieß 40 Minuten früher aufstehen und das in den Sommerferien, aber die Jeans kam immer näher.
Da ich vor den Sommerferien in der Schule Spanisch für Anfänger hatte, wollte ich auch meine wenigen Kenntnisse schon mal anbringen. So sagte ich stolz zu einem spanischen Touristen, (ob er noch etwas Nudeln zu der Frikadelle haben möchte): „Todavia quieres algo Pene?“ Denn ich hatte gerade einen tollen Nudelsalat fertiggestellt. Er schaute mich erschrocken an und bekam einen hochroten Kopf. Ich wiederholte meinen Satz und er schüttelte nur verschämt den Kopf, wollte nur schnell zahlen und floh aus dem Geschäft. Erst zu Hause, als ich in meinem Wörterbuch nachschaute, wurde mir alles klar, oh Gott, im Nachhinein wurde mir ganz schlecht …
Ich hatte gedacht, Pene stehe für Nudeln. Es lag in der Übersetzung schon recht nahe, mit Nudel hatte es im weitesten Sinne auch etwas zu tun. Nur hatte ich es falsch ausgesprochen. Ich hatte in Deutsch gesagt: „Möchten sie noch etwas Penis?“ Ich hatte den italienischen Begriff „penne“ gemeint und hätte die Betonung auf „nn“ also Penne Alla irgendwas legen müssen, ich dachte, die verstehen es auch, da es ja romanische Sprachen sind. Hallo dicker Fettnapf, zum Glück hat es ja sonst niemand der anderen Verkäufer dank der fehlenden Fremdsprachen-Kenntnisse mitbekommen.
Nach 6 Wochen bot man mir sogar einen Ausbildungsplatz an, wenn ich mit der Schule fertig sei. Mein Berufsbild war jedoch weit weg von einer Fleischfachverkäuferin, ich wollte Kinderkrankenschwester werden und wurde es später auch.
Ich wollte nur meine Jeans und konnte mir noch eine passende Jacke dazu kaufen, den Rest habe ich gespart. Meine ersten 1.000 DM, ich fühlte mich wie ein Millionär, da ich zu dieser Zeit ein Monatstaschengeld von 20 DM erhielt.
Endlich war ich in der Schule eine von ihnen, der Wrangler-Gemeinschaft zugehörig und keiner frotzelte mehr über mich, denn ich hatte ja auch noch eine passende Jacke, das hatten die anderen nicht.
Mit 14 Jahren drehte ich Würstchen in einer Metzgerei für eine Jeans. Jahre später war mein Traum ein Mountainbike, das ich mir in einer erotischen Massagepraxis verdiente … mit ähnlicher Arbeit!
MEIN VATER – UNSER VATER
Mein Vater war schon immer ein unkonventioneller Typ, für alles offen und oft sehr spektakulär. In seiner Jugend war er bei den Segelfliegern und hatte alle wichtigen Scheine absolviert.
Fliegen war sein Leben. Durch den Krieg, die Gefangenschaft in Frankreich, den späteren Aufbau Deutschlands, die Gründung seiner Familie kam er viele Jahre nicht mehr dazu.
Er war zweimal verheiratet. Ich stamme aus der zweiten Ehe.
In den 70er Jahren entdeckte er das Drachenfliegen für sich und war auf der Wasserkuppe in der Rhön ein bekannter Flieger.
Wir zwei fuhren oft zusammen in die Rhön zum Fliegen und ich durfte ihm beim Aufbau des Drachens helfen und seinen alten R4 fahren (ohne Führerschein natürlich). Wenn er unterhalb des Pferdskopfes gelandet war, um ihn einzusammeln und wieder hochzufahren. In den Alpen flog er auch oft und fast so hoch, wie die Flugzeuge. Zu dem Zeitpunkt war er schon einer der ältesten Drachenflieger Deutschlands und sorgte so oft für Schlagzeilen.
Ich war ein Teenie und bewunderte meinen super Vater. Da war ich jedoch nicht die Einzige. Er hatte vorzugsweise weibliche Fans, was mir als Tochter ein Dorn im Auge war. Ich versuchte oft aus Eifersucht, diese Frauen von meinem Vater fernzuhalten.
Weitere Verehrerinnen hatte er in der Nord-West-Stadt im benachbarten Studentenwohnheim aus allen Ländern der Erde. Seine Fangemeinde war riesengroß, als Mann und als Sportler. Er war ein richtiger Womanizer.
Am Wochenende hatte meine Mutter eher selten etwas von meinem Vater, da er am Samstagmorgen immer auf dem Balkon stand und den Finger in die Luft hielt. Wenn er Südwestwind feststellte, war er nicht mehr zu halten. Er packte den Drachen ein und los ging’s zum Fliegen.
Einmal im Hintertaunus flog er und trieb ab in eine riesenhohe Tanne. Es krachte nur noch und ein Schrei von Horst, meinem Vater war zu hören. Ich war so erschrocken und dachte, nun sei es um ihn geschehen, da er keinen Laut mehr von sich gab. Ich sah mich und meine Geschwister schon als Halbwaisen, da hörte ich lautes Fluchen und Schimpfen von oben. Er lebte also, schimpfte aber nicht über seine Verletzungen, sondern darüber, dass das Trapez des Drachens hinüber war. Seine Wunden waren sekundär und wir verheimlichten sie immer vor meiner Mutter, sonst machte sie sich immer zu viele Sorgen.
Sie ermahnte meinen Vater jedes Mal vor der Abreise