dass angesichts der hohen Startgelder jemand die gebührenpflichtigen Highway-Abschnitte in Pennsylvania und Ohio mied, war nicht anzunehmen. Die Highways des mittleren Westens zogen sich gerade durch die Landschaft. Und das Netz an ausgebauten Highways war so dünn, dass sich der Weg von selbst ergab und es eigentliche keine Alternativen gab. Wir hatten einen Weg vor uns, der nach Berechnungen unseres Navigationssystems 2851 Meilen betrug, wozu man eine reine Fahrzeit von 42 Stunden benötigte.
Die Entscheidung fiel wahrscheinlich auf den letzten anderthalb tausend Meilen, die durch die Bundesstaaten North Dakota, Montana, Idaho und Washington führten. Es war wohl für jeden Fahrer eine Art taktischer Frage, ob er sich in den relativ dicht besiedelten Gebieten mit einer hohen Frequenz an Highway Patrouillen noch einigermaßen an die Verkehrsregeln hielt, um nicht von der Polizei gestoppt zu werden. Spätestens in North Dakota war die Wahrscheinlichkeit, von einer Streife erwischt zu werden einfach sehr viel geringer und wahrscheinlich drehten die meisten Teilnehmer von da an auch so richtig auf.
Andere setzten vielleicht gleich alles auf eine Karte.
Ich sah auf die Uhr. „Wetten, wenn der erste in den Wagen springt und losrast, werden ihm die anderen sofort folgen?“, fragte ich.
Milo zuckte mit den Schultern. „Soll mir gleichgültig sein.“
„Vielleicht disqualifizieren sich ja gleich ein paar von ihnen, weil sie übereifrig sind und die Startlinie vor der Zeit überschreiten!“
„Glaube ich ehrlich gesagt nicht, Jesse.“
„Ach, nein?“
„Die sehen alle ziemlich abgebrüht aus. Auch der Kerl mit dem Porsche – obwohl er noch so jung ist.“
Der Fahrer des gelben Ferrari kam auf Milo und mich zu. Er grüßte leger und deutete auf den Sportwagen.
„Ein feiner Wagen!“
„Danke.“
„Aber für so was wie den Northern Cannonball vollkommen ungeeignet. Ich habe schon den Gumball 3000 mitgemacht. Außerdem den Australian Gumball und den Classic Cannonball von New York nach Los Angeles und ich sage euch, mit dieser Karre kommt ihr nicht weit.“ Er trat gegen den hinteren linken Reifen. „Muss ein Schweinegeld gekostet haben...“
„Lass uns einfach abwarten, wer von allen als Erster in Seattle ist“, sagte ich.
Ich war nämlich nicht auf Streit aus und dieser Kerl schien einfach nur seine innere Anspannung irgendwie loswerden zu müssen.
„Nichts für ungut“, erwiderte er und ging zu seinem Partner zurück, mit dem er noch ein paar abfällige Bemerkungen über die Wagen der anderen austauschte.
Dann ging es endlich los.
Der gelbe Lamborghini machte den Anfang. Wir fuhren auch los. Es war schon eigenartig zu sehen, wie sich eine auffällige Ansammlung hochwertiger Sportwagen mit der Mindestgeschwindigkeit fortbewegte, obwohl die Interstate 80 gut ausgebaut und zu dieser Tageszeit und an diesem Abschnitt wenig frequentiert war. Aber natürlich wollte niemand den 75. Längengrad überschreiten, bevor es an der Zeit war. Das GPS-Gerät, das wir bekommen hatten, zeigte uns jeweils im Takt von einer halben Minute unsere gegenwärtige Position an. Wir näherten uns der fraglichen Linie.
Der rote Ferrari überholte uns, war aber anschließend gezwungen, dafür umso langsamer zu fahren, um nicht disqualifiziert zu werden.
Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich immer wieder auf die Uhr schaute.
„Es ist zwölf Uhr, Jesse!“, stellte Milo schließlich fest. „Und dahinten etwa bei der Häusergruppe muss der 75. Längengrad verlaufen.“
Die Fahrer des roten und des gelben Ferrari schienen das genauso zu beurteilen, denn sie traten plötzlich in die Eisen und brausten los.
Ungefähr 380 Meilen lagen bis Cleveland vor uns. Die Interstate 80 zog sich in ost-westliche Richtung durch den gesamten Bundesstaat Pennsylvania. Die einzigen Fahrtunterbrechungen, mit denen wir rechnen mussten, waren die Stopps an den Maut-Stationen für die gebührenpflichtige Abschnitte und die Stopps zum tanken.
„Na los, Jesse, jetzt versuch mal mit der Konkurrenz Schritt zu halten!“, stichelte Milo.
Ich beschleunigte und blieb an der Gruppe dran. Der Porsche mit dem auffallend jungen Fahrerteam brauste an uns vorbei. Der Beifahrer machte ein paar provozierende Gesten in unsere Richtung. Da die Interstate 80 ziemlich frei war, beschleunigte er auf Höchstgeschwindigkeit. Wie ein Geschoss raste der Porsche Richtung Westen und verschwand bald hinter dem Horizont.
„Haben wir da einen der Favoriten gesehen?“, fragte Milo.
„Abwarten, Milo.“
„Dass das schöne Wort, dass die Ersten die Letzten sein werden, hier gilt, glaube ich nicht.“
Wir brauchten allerdings nur bis zur ersten Maut-Station zu warten, um es doch bestätigt zu finden. Das junge Porsche-Team war von Beamten der Highway-Patrol herausgefischt worden. Jetzt standen sie auf dem Seitenstreifen und führten eine gestenreiche, aber völlig sinnlose Diskussion mit den Ordnungshütern, während wir unsere Gebühr bezahlten und weiterfahren konnten.
13
Eric Pittkin blickte auf die große Halle mit der überdimensionalen Großleinwand, auf dem eine riesige Karte der USA zu sehen war. Außerdem waren deutlich die beiden Längengrade markiert, die die Start- und Ziellinien in diesem Rennen der Superlative darstellten.
Dreihundert handverlesene Teilnehmer nahmen an diesem Rennen teil. Eine gewisse Hürde, um die Spreu vom Weizen zu trennen, stellte natürlich das Startgeld dar, aber es hatte weitaus mehr Bewerber gegeben, als zugelassen werde konnten. Das Auswahlkriterium war in erster Linie der Wagen. Eric Pittkin wusste, was sein exklusives und in jeder Hinsicht verwöhntes Publikum wollte. Gerade die zahlungskräftigen Gäste aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien waren Autonarren und hatten ein Faible für leistungsstarke und stilechte Wagen. Sie wollten Duelle zwischen interessanten Fahrzeugen sehen – und kein Teilnehmerfeld, das aus einem Einheitsbrei von immer denselben Fahrzeugtypen bestand.
Das Salz in der Suppe waren für Pittkin aufgetunte Fahrzeuge, über deren Eigenschaften es letztlich keine verlässlichen Daten gab. Jeder dieser Wagen verfügte über vollkommen individuelle Stärken und Schwächen, die sich erst im Verlauf des Rennens wirklich erweisen konnten. Also war Pittkin immer darauf aus, dass immer ein Teil der teilnehmenden Fahrzeuge aus dieser Gruppe rekrutiert wurde – was nicht ganz einfach war.
Die Ferrari- oder Porsche-Gemeinde war viel zahlreicher und so gab es für manche Fahrtzeugtypen bereits eine Warteliste.
Denn