Da und dort zeigen sich Überschiebungen als Folge der Alpenhebung, andernorts – etwa am Padònkamm – treten vulkanische Gesteine ans Tageslicht. Während in den westlichen Dolomiten hauptsächlich Riffkalk gebirgsbildend war (Langkofel, Rosengarten, Pala), bestehen die großen Wände und Gipfel im Osten (z. B. Tofane, Cristallo, Drei Zinnen) vorwiegend aus markant geschichtetem Hauptdolomit – am Meeresgrund geboren und während der Gebirgshebung fast in den Himmel geschoben. Und diese Wachstumsphase ist noch keineswegs abgeschlossen: Die Alpen wachsen, um Millimeter zwar nur, aber immerhin.
Im Durontal: Schmuck an einer Almhütte
Edelweiß und Murmeltier
Wer kennt sie nicht, die putzigen Nager, die auf unwillkommenen Besuch jeweils mit schrillen Pfiffen reagieren? Und das unscheinbare Blümchen mit dem lateinischen Namen Leontopodium alpinium wächst nicht bloß auf den alpinen Wiesen, es schmückt so manchen Blumentrog, findet sich im Emblem des Alpenvereins und auf dem Alpenstock, der am Souvenirstand zu kaufen ist. Glücklicherweise sind jene Zeiten vorbei, als Bauernkinder am Straßenrand Alpenrosen und Edelweiß feilboten. Heute blüht die gewiss nicht unauffällige Feuerlilie sogar in Sichtweite der Großen Dolomitenstraße – und niemand pflückt sie. Wer zu Fuß in den Dolomiten unterwegs ist, wird immer wieder überrascht von der Vielfalt und der Üppigkeit der südalpinen Flora, und das keineswegs nur in den Schutzzonen der Naturparks. Buchstäblich auf Schritt und Tritt begegnet man den kleinen Sehenswürdigkeiten, überall zwischen Tal und Gipfel: Primeln, Enzian und Steinbrech in vielen Variationen, verschiedene Lilien, Kohlröschen. Und mit etwas Glück bekommt man auch die eine oder andere Rarität der Dolomiten-Flora zu Gesicht, die tiefblaue Moretti-Glockenblume, die Schopfige Teufelskralle oder den zartblauen Himmelsherold. Auch auf Begegnungen mit wild lebenden Tieren darf man sich auf Dolomitenwanderungen freuen. Gämsen und Steinböcke, in den Alpen einst praktisch ausgerottet, sind zwischen Langkofel und Antelao längst wieder heimisch, und über den Gipfeln kreist der Steinadler.
Entdeckungen und Eroberungen
Bei fernen Inseln, Kontinenten und exotischen Archipelen, da denkt jeder an Entdecker, Abenteurer oder Menschen, die ihrer Zeit einfach voraus waren, von ihren Visionen nicht lassen konnten. Aber Berge, dazu noch mitten in den Alpen? So gesehen war die Entdeckung der Dolomiten vor allem eine Frage der Wahrnehmung. In den Tälern rund um Sella und Marmolada, an Drau, Eisack und Piave siedelten ja schon seit Langem Menschen. Am Rollepass wurden Spuren steinzeitlicher Jäger entdeckt. Die Geschichte der Räter verliert sich im vorgeschichtlichen Dunkel. Soldaten des Römerreichs zogen – in Sichtweite von Rosengarten, Schlern und Geislerspitzen – von Bozen durchs Eisacktal hinauf zum Brenner, und im Hochmittelalter wurde das slawische Pustertal durch bajuwarische Siedler germanisiert. Die Brennerstraße entwickelte sich zum europäischen Handelsweg. Venedig schlug Holz für seine Galeeren in den südostlichen Dolomiten. In alten Landkarten wie beispielsweise der Tirolkarte von Peter Anich und Blasius Hueber, die zur Regierungszeit Maria Theresias entstand, finden sich ein paar Ortsnamen aus der Region. Vergeblich sucht man dagegen den Namen des Gebirges: Es hatte keinen! Das sollte nicht für ewig so bleiben. Der heute in aller Welt geläufige Name hat allerdings keine geografischen Wurzeln, vielmehr geht es auf den Entdecker des magnesiumhaltigen Kalkgesteins, Déodat de Dolomieu, zurück. Erst ein halbes Jahrhundert nach der Italienreise des französischen Geologen – die Viertausender der Alpen waren längst bestiegen – begann der Run auf die Dolomitengipfel. Den Anfang machte ein Engländer, John Ball, der 1857 am Monte Pelmo erfolgreich war. Dann kam der Wiener Paul Grohmann, er »sammelte« Erstbesteigungen buchstäblich: Tofane, Antelao, Marmolada, Sorapiš, Piz Boè, Cristallo, Dreischusterspitze, Langkofel, Große Zinne – alle zwischen 1863 und 1869.
Als erster großer Dolomitengipfel bestiegen: der Pelmo
Tod in den Bergen
In den Dolomiten stehen nicht nur grandiose Naturdenkmale. Zwischen Marmolada und Drei Zinnen stößt man auch auf eine ganz besondere Art von Mahnmalen, etwa am Pordoijoch oder im Höhlensteintal: Kriegsfriedhöfe, Ossari. Sie erinnern an den Ersten Weltkrieg, der drei Sommer und drei Winter lang, von 1915 bis 1917, in den Tälern und auf den Gipfeln wütete: Sterben fürs Vaterland. Augenzeugen jenes sinnlosen Ringens gibt es heute, am Beginn des dritten Jahrtausends, keine mehr – sie sind längst gestorben, auch wenn sie den Krieg damals überlebten, an der Dolomitenfront. Ihr Verlauf war einmalig – über Grate, quer durch Felswände, über Gipfel und durch einsame Karböden, vom Lagoraikamm bis zu den Sextenern. Rund um die Drei Zinnen wurde ebenso unerbittlich gekämpft wie an den Tofane, an der Marmolada (wo die Österreicher sich im Gletschereis verschanzt hatten), im Cristallomassiv oder am Col di Lana. Es war ein Stellungskrieg mit viel Materialeinsatz, aber kaum Bewegung und im Winter buchstäblich eingefroren. Trotzdem verzeichnete man auf beiden Seiten hohe Verluste, nicht nur durch Kampfhandlungen, oft trat auch die Natur als »Feind« auf: Lawinen verschütteten Nachschubkolonnen, Steinschlag, eisige Kälte und Winterstürme forderten ihren Tribut. Noch heute begegnet man allenthalben den Spuren des Gebirgskrieges (auch auf manchen der vorgestellten Wanderungen): rostendes Eisen, Stacheldraht, Kavernen, Felsstollen, Schützengraben. Am Monte Piana wurde von den »Dolomitenfreunden« ein großes Freilichtmuseum angelegt. Erst jüngst sind die italienischen Stellungen bei den Cinque Torri rekonstruiert worden. Auch die aufwendigen Frontbauten im Bereich des Hexensteins und des Kleinen Lagazuoi kann man heute besichtigen, am Berg (z. B. Kaiserjägersteig) und im Berg (diverse Stollen).
Relikte einer schrecklichen Zeit: Gebirgskrieg 1915–1917
Schlutzer, Polenta und Vino rosso
Abwechslung ist angesagt in der Küche Südtirols und der Dolomiten. Sie ist manchmal tirolerisch, mitunter, vor allem bei den Nachspeisen, schimmert die k. u. k. Vergangenheit durch. Dann ist sie wieder italienisch, oben am Berg eher deftig, drunten im Tal gelegentlich ausgesprochen ambitioniert. Die besten Vorspeisen kommen aus der südlichen Nachbarschaft, Knödel und Nocken sind typisch südtirolerisch, und beim Dessert hält man es mal so, mal so: Marillenknödel oder Tiramisu. »Knödel, Nudeln, Nocken, Plenten sind die vier Tiroler Elementen!« heißt es mit gutem Grund an Etsch, Eisack und Rienz. Sie finden sich – vielfältig variiert – auf jeder Speisekarte. Knödel, mit oder ohne Fleisch, werden in der Suppe oder mit Salat gegessen, auch als Beilage zu Gulasch oder Braten. Beliebte Nudelgerichte sind die Pustertaler Schlutzer, Teigtaschen mit Topfen-, Spinat- oder Krautfüllung. Sehr beliebt sind auch die Spinatnocken, mit brauner Butter oder Parmesan. Die Plenten (Polenta) wird vor allem als Beilage zu Wild serviert, in den ladinischen Tälern und im Bellunese ist Polenta mit Pilzen (funghi) sehr beliebt. Der Tiroler Strudel kann – je nach Füllung – sowohl Vor- als auch Nachspeise sein. Bei den süßen Gerichten ist der Apfelstrudel sehr beliebt, auch jenseits der Sprachgrenze. Im Süden der Dolomiten sind lombardische und venezianische Einflüsse unverkennbar: Risotto mit Pilzen aus den heimischen Wäldern und Forellen stehen oft auf der Speisekarte, im Bellunese auch Meeresfische. Und dann – last, but not least! – ist da noch der Speck, liebste Brotzeit aller Dolomitenwanderer, am Stück vom Brettl gegessen. Wenn man Glück hat, ist er auf dem Bauernhof gepökelt und geräuchert worden – längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Guten Speck gibt’s auch in den Trentiner Tälern, und gekäst wird noch auf mancher Alm. Zum Speck passt natürlich ein »Roter«. Der kommt in den südostlichen Dolomiten meistens aus dem Piavetal (Merlot), in Südtirol aus den klassischen Anbaugebieten des Etschtals und wird überall offen angeboten (Kalterer, Grauvernatsch, Blauburgunder).
Eine Pustertaler Spezialität: Tirtlen