jüdische Quellen hat, aber keiner Partei und Glaubensbewegung folgt. Es ist nicht die Positivität des Kunstheiligen wie bei Botho Strauß, nicht die Positivität des Katholizismus wie bei Paul Claudel, nicht die gnostische Positivität von Jon Fosse oder gottesunmittelbar wie in Peter Handkes Über die Dörfer. Julian Becks Positivität wirkt synkretistisch und anarchistisch.
Obwohl Das Theater leben eine Begleiterscheinung von Julian Becks praktischen Erfahrungen ist, seiner unausgesetzten Lektüre, der Begegnung mit Künstlern und Künstlerinnen, Armut, neuen Produktionsformen, anderen Kulturen oder politischen Ereignissen, kristallisiert sich in diesem Buch doch etwas Bleibendes: der komplizierte Wunsch nach einfacher Wahrhaftigkeit, einer Kunst, die mit den Jahren immer deutlicher eine Art von temporärer autonomer Zone bildet, in der, frei nach Hakim Bey, das andere Leben schon jetzt passiert.
Beinahe wäre dieses Buch von Julian Beck nie erschienen. „Das Theater leben wurde zweimal geschrieben“, berichtet Judith Malina, Becks Ehefrau und Mitgründerin des Living Theatre im Vorwort der amerikanischen Neuauflage von 1991. „In der Stadt Fontainebleau fiel die erste Version in die Hände eines Diebs; er schnappte es in einem kleinen Garten vor unserm Hotel – in einem Moment war die Arbeit von fünf Jahren weg. ‚Ein glücklicher Zufall‘, sagte der optimistische Julian, ‚denn jetzt kann ich es so schreiben, wie es sein soll … Ich weiß so viel mehr.‘ Und er begann von Neuem, Notizen aufzuschreiben: ‚Mach eine Pause und beginne nochmal‘ … Sein Leben war so voll und reich, dass da nur gestohlene Momente für die Notizbücher blieben – schnell unterwegs geschrieben, aber auf den langen Straßen kreuz und quer durch Europa meditiert oder in den Zellen oder den Garderoben …“
In Julian Becks amerikanischem Wikipedia-Eintrag heißt es, dass er am 31. Mai 1925 in Washington Heights geboren wurde und am 14. September 1985 in New York starb. „Er war ein US-amerikanischer Schauspieler, Regisseur, Dichter und Maler und wurde bekannt als Mitbegründer und Regisseur des Living Theatre sowie für seine Rolle als Kane, der böswillige Prediger im Film Poltergeist II: The Other Side von 1986.“ Julian Beck hat so ziemlich jede Ordnung der bürgerlichen Welt verlassen, von der klassischen Universität über die klassische Ehe bis hin zur klassischen Theaterinstitution oder gesellschaftlichen Bewegung. Nach einem kurzzeitigen Besuch der Yale University veröffentlichte er als Teenager Gedichte, von denen einige bereits anarchistische Ideen enthielten, und begann dann zu malen.
Zwischen 1944 und 1958 schuf Julian Beck an die 1500 bis heute erhaltene Werke. Seine frühen Gemälde sind Spielarten des abstrakten Expressionismus der in den beginnenden 1940er Jahren entstandenen New York School, zu der auch Willem de Kooning und Jackson Pollock zählen. Peggy Guggenheim zeigte Julian Beck 1945 in ihrer Galerie Art of This Century und bis heute werden Ausstellungen mit den Werken des jungen Julian Beck organisiert. 1943 lernt er, noch Maler und Student an der Yale University, die damals 17-jährige Schülerin Judith Malina in New York kennen und heiratet sie fünf Jahre später. Ihre Ehe führten sie offen – Beck war bisexuell und gemeinsam mit Judith Malina der langjährige Lebenspartner von Ilion Troya, einem Schauspieler der Gruppe, oder Lester Schwartz, dem späteren Ehemann der Performancekünstlerin Dorothy Parker aus dem Warhol-Umfeld.
Piscator
Für die Gründung des Living Theatre spielte Erwin Piscators New Yorker Dramatic Workshop eine bedeutende Rolle. An der Schauspielschule des deutschen Exilregisseurs war Judith Malina von 1945 bis 1947 regulär eingeschrieben, und wie prägend diese Jahre waren, kann man an ihren mehr als sechzig Jahre später veröffentlichten Seminaraufzeichnungen The Piscator Notebook erkennen. Auch Julian Beck belegte einzelne Workshops an Piscators Schule, allerdings ohne ein komplettes Studium zu absolvieren. Zu den später namhaften Studenten und Studentinnen zählten neben Judith Malina auch der Schriftsteller Tennessee Williams oder Harry Belafonte, Marlon Brando, Walter Matthau oder Tony Curtis. Erwin Piscator war einer der folgenreichsten Hochschullehrer seiner Zeit, vergleichbar vielleicht mit dem in Gießen wirkenden polnischamerikanischen Theaterwissenschaftler Andrzej Wirth. An seiner Schule arbeiteten in und nach den Weltkriegsjahren viele Migranten der ehemals europäischen Theateravantgarde wie Kurt Pinthus, Carl Zuckmayer oder Hanns Eisler, aber auch Lee Strasberg, der mit seinem 1931 gegründeten „Group Theatre“ das Konzept des Method Acting entwickelte und 1947 das „Actors Studio“ gründete.
In ihrem Living Theatre knüpften Beck und Malina an die Gedanken von Deutschlands politischstem Regisseur der Zwischenkriegsjahre an. Ihre Aufführungen von Werken der literarischen Avantgarde produzierten sie in den 1950er Jahren zunächst in wechselnden kleinen Spielstätten und trugen so entscheidend zur Entstehung eines Off- und Off-Off-Broadway-Theaters bei, etwas, das Piscator in den späten Vierzigern in New York nicht geglückt war.
Erwin Piscator war der Regisseur, der das industriell-technische Zeitalter ins Theater geholt hat. Seit 1924 wirkte er in Berlin als Oberspielleiter der „Volksbühne“ im „Theater am Bülow-Platz“, später Horst Wessel-Platz, später Rosa Luxemburg-Platz. Nach dem Zerwürfnis mit der Volksbühne gründete er 1927 die „Piscator-Bühne“ im Theater am Nollendorfplatz. Er verwendete in seinen Inszenierungen Laufbänder und Lifte, Simultanbühnen und motorisierte Brücken, seine Aufführungen wurden von Bildprojektionen als erzählerische Mittel geprägt und seit 1925 auch durch die Verwendung von dokumentarischen Auftragsfilmen. Zwischen 1927 und 1931 entstanden drei „Piscator-Bühnen“ – zunächst im Theater am Nollendorfplatz, 1928 im Lessing Theater als zweiter Spielstätte und 1930 die „Piscator Bühne“ im Wallner Theater, die in den Jahren der Weltwirtschaftskrise allerdings allesamt wirtschaftlich nicht tragfähig wurden. Gemeinsam mit Walter Gropius entwickelte er am Bauhaus Weimar 1927 die architektonische Vision eines „Totaltheaters“, das die Präsenz des Publikums ins räumliche Theatergeschehen mit einbeziehen sollte. Eine ganz andersartige Auflösung der vierten Wand sollte ein halbes Jahrhundert später auch für das Living Theatre der 1970er Jahre wichtig werden – es baute dafür keine speziellen Theaterräume, sondern zog aus den Theatern aus in Schulen, Fabriken, die brasilianischen Favelas oder den Berliner Sportpalast. Über Julian Becks Buch sagt Judith Malina, dass es „mit dem Sklavendasein in Ägypten beginnt“, der Geschichte von einem Gefängnisausbruch, und mit „dem Ausbruch aus dem Gefängnis, dem Theater, dem Ausbruch in die Welt“ schließt.
Die entscheidenden zwanzig Jahre
Das Living Theatre begann sprichwörtlich im Living Room, im New Yorker Wohnzimmer von Julian Beck und Judith Malina, was an das Entstehen des Theaters des Künstlerduos Vegard Vinge und Ida Müller in den frühen 1990er Jahren in Berlin erinnert, die für sich, Freunde und Freundinnen Stücke in ihrem Badezimmer aufgeführt und dabei die handmade-Ästhetik ihrer späteren Produktionen erfunden haben. Das Theater leben handelt von Julian Becks und Judith Malinas Ausbruch in die Welt – es hält die geistigen Bewegungen dieser entscheidenden Zeit fest und denkt die nächsten Schritte vor.
1964 wurden Beck und Malina von einem New Yorker Gericht wegen Steuervergehen zu einer Gefängnishaft verurteilt. Darauf folgte ein rund zwanzig Jahre währendes, selbst gewähltes Exil als nomadisches Tourneetheater, das in 28 Ländern auf fünf Kontinenten fast hundert Stücke in acht Sprachen gezeigt hat. Dieses Exil wurde erst 1984, kurz nach der Magenkrebs-Diagnose Julian Becks, durch ihre Rückkehr nach New York und die Eröffnung eines kleinen Theaters in der 3rd Street beendet. Julian Beck starb mit sechzig Jahren. Aber diese Zeit des Tournee-Exils der 1960er und -70er Jahre war jene entscheidende Epoche nicht nur in seinem persönlichen Werk, sondern auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der die wesentlichen Liberalisierungen der westlichen Welt errungen und die Weichen für eine zweite, globale Moderne gestellt wurden.
Es war eine Zeit, in der George Harrison Lieder wie „The Inner Light“ schrieb, eine Zeit der spirituellen Wende, der Gurus und Ashrams, aber auch der Politisierung, der Black-Power-Bewegung von Malcolm X, der Studentenrevolten oder Proteste gegen den Vietnam-Krieg. Für die Hippie-Bewegung schien Flower Power nicht nur Power im Sinne von politischer Kraft zu bedeuten, sondern das wörtliche Naherücken an die Kraft der Pflanzen – „fünffingrige cannabis weißes coca der träge mohn die geheimnisse des kaktus die magischen formeln der erde sind unsere chemischen waffen gegen die mörder“, schrieb Julian Beck.