Julian Beck

Das Theater leben


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konfektioniert und begründet durch die Logik dieser Maschine – durch ihren Hunger nach entsprechenden Details, die Anlässe zu neuen Handlungen werden und Wissen produzieren, das zu neuen Konflikten führt.

      Ganz anders ist hingegen das Verständnis von „Handlung“ in diesem Buch von Julian Beck. „Jeden Augenblick entstehen wir und vergehen: Ich will etwas und etwas will mich.“ Alles ist eingebettet – das Publikum in die Aufführung, das Leben der Ensemblemitglieder in die Art und Weise ihrer Produktion – und zu handeln bedeutet daher in Paradise Now, etwas zu tun, das gemeinsam erzeugt wird, mit anderen, jetzt. „Spielen als Aktion“ heißt Julian Becks siebter Imperativ des zeitgenössischen Theaters. Aus ihm folgt der Gedanke, dass „exzellente Form eine Lüge ist“. Die Kunst des Living Theatre hat sich über Jahrzehnte immer weiter von den Rahmungen gelöst, die sich am Broadway z. B. mit „Könnerschaft“ oder „Brillanz“ verbinden. Diese Verschiebung des Akzents vom Gelungenen in Richtung der Aktion und Unmittelbarkeit entwickelte im Schaffen Julian Becks eine große Kraft. „Perfection is something for assholes“, postuliert sechzig Jahre später Taylor Mac, ein anderer Nachfahre des Living Theatre, in seiner 24 Stunden dauernden Zeremonie zur politischen Geschichte der populären Musik.

      Julian Becks Notizen sind keine Musterbücher, keine Betriebsanleitungen wie Brechts „Modellbücher“, sondern Begleitbücher innerer Reinigungs- und Entwicklungsprozesse. Sie sind der Welt entgegengeschrieben und versuchen, eine Ankunft der eigenen Arbeit, der Kompanie und Kreationen da draußen, unter den Menschen und mit den Menschen, durch ein inneres Wissen vorzubereiten. Julian Beck nennt den Broadway und unsere Repertoirebühnen „das exklusive Theater“. Dagegen entwickelte das Living Theatre in den zwanzig Jahren seiner Wanderungen die Idee des geteilten Ritus, eines Festes der Verbindung – nicht nur mit dem Publikum, auch durch das Publikum hindurch. Wobei die Präsenz des physischen Körpers bei der Schaffung seines „neuen Theaters“, in dem Schauspieler und Publikum ineinander aufgehen, eine besonders auffällige Rolle spielt, ähnlich wie im zeitgleichen Schaffen der Wiener Aktivisten und später im Werk von Paul McCarthy oder den Arbeiten von Vinge/Müller oder den Naked Shit Pictures von Gilbert & George.

      „Schwimmen, spüren, dass wir Schönheit sind und heilig.“ Esoterik ist der griechischen Wortherkunft nach „dem inneren Bereich“ zugehörig und beim Living Theatre verbindet sich das mit einer Sprache, die sich im inneren Lebens-, Schaffens- und Denkprozess einer Gruppe von Menschen gebildet hat. In Julian Becks Schriften kristallisiert sich diese dem inneren Bereich zugehörige Sprache heraus und verbindet dabei den spirituellen Erkenntnisweg mit dem politischen. Dieser Haltung folgend wendet er z. B. das Stereotyp des technischen Einfühlungslehrers „Stanislawski“ und zeigt ihn als einen Lehrer der reflektierten Trance, des Identitätstauschs, der Immersion ins Andere und des Anderen in einen selbst. Rausch und Trance sind für Beck dabei keine Idealzustände, sondern Mittel der Begegnung und reflektiert eingesetzte Techniken, um Grenzen zu überwinden. Immer wieder geht es um diesen anarchischen Messianismus: das Kommende vorzubereiten.

      Der Entstehung des Freien Theaters zuschauen

      In diesem Buch kann man heute dem Entstehen des Freien Theaters noch einmal zuschauen. Es lässt sich schwer überprüfen, ob Judith Malina, die Ende der 1960er Jahre in einem italienischen Städtchen vorschlug, auf einen Abendzettel „Freies Theater“ zu schreiben, den Begriff wirklich zum ersten Mal für eine Arbeitsweise verwandte, die mit den Theaterkonventionen der Zeit bewusst gebrochen hat und das auch vermitteln wollte. Auf dem Zettel stand: „Dies ist Freies Theater. Freies Theater wird von den Schauspielern beim Spielen erfunden. Freies Theater wurde nie geprobt. Wir haben Freies Theater versucht. Manchmal gelingt es nicht. Nichts ist immer das Gleiche.“

      Freies Theater hieß in dieser Phase des Living Theatre kein literarisches Theater, kein Theater mit Portal, sondern Improvisation ohne Titel und Ansage. Die Formen ihrer Stücke änderten sich im Laufe der Jahre. Aber die Struktur, in der das Living Theatre zu solchen Aufführungsformen gelangte, blieb auch bei anderen Kompanien mehr oder weniger gleich und prägt bis heute die alternative Produktionskultur des Freien Theaters – die Entscheidung für das Kollektiv, für Selbstermächtigung, die Kreation des Werkes weniger durch einen Autor als durch eine Gruppe usw. Gegen das Hochdienen von der Hospitanz zur Intendanz, gegen die übliche Besetzungspraxis bei Schauspielern und gegen fixe Abonnements vollzog sich im Living Theatre seit den 1950er Jahren eine schrittweise Abkehr von Strukturen, denen man sich als Theaterkünstler und -künstlerin unterordnen und anverwandeln muss. Im Freien Theater ist es bis heute, ohne es romantisieren zu wollen, umgekehrt – hier passen sich die Strukturen in der Regel den Menschen und den jeweiligen Projektformen und Bedürfnissen der Kunst an.

      Zugleich war das Erwachen des Freien Theaters im heutigen Sinne ein internationaler Prozess: Parallel zum Living Theatre entstand das La MaMa, das nicht minder revolutionäre Theater der Unterdrückten und das Unsichtbare Theater von Augusto Boal, das Teatr Laboratorium und die späteren Special Projects von Jerzy Grotowski, das Bread and Puppet Theater von Peter Schumann oder das Cricot 2 von Tadeusz Kantor. Das Living Theatre beschreiben Julian Beck und Judith Malina als „Besserungstheater“ und stellen es den „Pseudo-Organisationen“ mit ihrer „Architektur von Potentaten“ gegenüber. Gegen das Broadway-Bild des Menschen setzt es sein Antibild des Schauspielers und der Schauspielerin ohne Schminke, ohne Manierismen und Imitation „der falschen Sauberkeit des Weißen Hauses“. Als Joulia Strauß, eine bildende Künstlerin und Aktivistin aus Athen, mich vor einigen Jahren auf dieses Buch hinwies, so weniger aus Gründen, die unmittelbar mit dem Theater zu tun haben, als wegen des hingebungsvollen, selbsterforschenden und kämpferischen Geistes dieser Notizen von Julian Beck.

      „Welches Recht habe ich zu denken“, fragt sich Julian Beck, „sie alle könnten sich für Theater interessieren.“ Dass er aber die großen Forderungen und Ideen zuerst auf sich selbst anwendet, macht die Totalität seiner Forderungen irgendwie erträglich. Wobei es darauf nicht ankommt. Julian Beck wurde auf drei Kontinenten ein Dutzend Mal wegen zivilen Ungehorsams verurteilt. Er lebte sein Theater auch im Leben. War er ein Guru? Ja. Trat er posthum in der Serie Miami Vice auf? Ja. Handelte sein Schaffen von den „Problemchen der Bourgeoisie“? Nein. Kam er in die American Theater Hall of Fame? Ja. Und hätte dieses Buch in der deutschen Übersetzung ohne die Mitwirkung vieler Menschen entstehen können? Nein.

      Beck spielte sporadisch in Filmproduktionen in Hollywood und andernorts, darunter 1967 den Hellseher Teiresias in Pier Paolo Pasolinis Film Ödipus Rex – wobei dies nur eine der Querverbindungen zu Milo Rau ist, der diesem Buch ein Nachwort schrieb, das Julian Beck als Erfinder eines „Theaters der Unreinheit“ zeigt. Milo Rau zeigt sich zutiefst angezogen von dieser Form eines nicht-bürgerlichen Theaters, das „keine Trennung zwischen Theorie und Praxis, Produktion und Distribution, Kollektiv und Werk, Protest und Kreation“ kennt. Statt des früheren Vorworts von Judith Malina haben wir uns für den Abdruck ihrer Berliner Festspielrede von 1991 entschieden, in der sie die Geschichte des Living Theatre, ihrer Beziehung zu Piscator und Berlin beschreibt, und die kollektive Entstehung „eines unglaublich schönen Stücks“ zum Thema Freiheit, das sie in einem Workshop am Rammzata-Theater entwickelten und dann an den Orten des Konsums auf dem Breitscheidplatz am Kurfürstendamm und danach auf dem Alexanderplatz aufführten. Auf Wunsch von Garrick Beck drucken wir diese Rede im originalen Wortlaut. Für die Spurensuche nach den Texten, Rechten und Bildern möchte ich Thomas Walker und Dirk Szuszies danken, Anna Opel und Beate Hein Bennett für die Übersetzung, Nicole Gronemeyer für das Lektorat, Bernd Uhlig für seine Fotoserie, Yvonne Büdenhölzer und Anneke Wiesner für ihre Unterstützung beim Entstehen dieses Buches. Das Theater leben ist die Chronik des Bestrebens, Theater nicht als Spiegel des Lebens zu verstehen, sondern als eine Form, ein anderes Leben zu erfahren: „Allein wäre ich zu nichts gut. Das Theater ist eine Übung in Gemeinschaft. Ein Einzelner kann es nicht machen, es wird von vielen für viele gemacht.“

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