Walter G. Pfaus

Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis


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ausging, war mörderisch.

      Einer Fackel gleich taumelte ein Mann mit brennender Kleidung hinaus auf die Straße.

      Niemand unter den Zuschauern rührte sich.

      Ich spurtete kurz entschlossen los, zog meine Lederjacke aus. Der Brennende war wie von Sinnen vor Schmerz. Ich brachte ihn mit einem Stoß zu Fall und begann, mit der Jacke die Flammen zu löschen. Langsam ebbte sein Geschrei ab. Er sah mich mit großen Augen an.

      Ein Knall ließ uns beide zusammenzucken.

      Ich hob schützend den Arm vor das Gesicht. Die Hitze war kaum erträglich. Im Inneren des Gebäudes gab es noch mehrere Geräusche leichter Detonationen. Offenbar war es den Attentätern gelungen, ihren Sprengstoff unbemerkt im oder am Gebäude anbringen zu können. Die Täter waren wohl längst über alle Berge.

      Jay hatte mich inzwischen erreicht. Gemeinsam zogen wir den Brandverletzten aus der Hitzezone heraus. Im Hintergrund ertönten bereits die Sirenen von NYPD und Fire Service.

      Der Verbrannte stand unter Schock. Er deutete auf das Gebäude und rief immer wieder: "Holt sie alle raus! Sie sind noch dort..."

      "Wie viele Personen befinden sich noch im Gebäude?", fragte ich.

      Aber der Mann redete nur wirres Zeug. Die Situation überforderte ihn einfach. Er stand unter schwerem Schock.

      Ich bemerkte das Kreuz mit dem gehörnten Skelett an seinem Hals.

      Mit einer knappen Geste wies ich Jay darauf hin.

      "Todos Santos - das klingt doch wie nach einem Treffpunkt dieser selbsternannten Heiligen-Gang", war er überzeugt.

      "Die ganze Gegend wurde von City Police-Beamten gecheckt", gab ich zu bedenken.

      Jay zuckte Achseln. "Wer sagt denn, dass das Todos Santos zu dem Zeitpunkt nicht wie ein ganz normales Lokal erschien?"

      "Unsere Freunde aus Little Italy scheinen da über genauere Informationen zu verfügen!"

      Die Vermutung lag nahe, dass die Scarlatti-Familie hinter diesem Anschlag steckte. Neverio musste einfach etwas unternehmen, um vor der Familie nicht als Schlappschwanz dazustehen.

      Ich durchsuchte den Mann, dessen Kleider gebrannt hatten, nach Waffen und fand einen Revolver Kaliber .22.

      Ich blickte zu der Flammenhölle hinüber. Es war unmöglich, in das Gebäude zu gelangen. Die Überlebenschance aller, die zum Zeitpunkt der Explosion im "Todos Santos" gewesen waren, war denkbar gering.

      Nach und nach trafen die Einsatzkräfte ein. Cops der City Police scheuchten die immer zahlreicher werdenden Schaulustigen zur Seite. Die Angehörigen des Fire Service begannen mit den Löscharbeiten. Die Flammen mussten zumindest soweit eingedämmt werden, dass sie nicht mehr auf benachbarte Gebäude übergreifen konnten. Mehrere Notarztwagen des Emergency Service erreichten den Ort des Geschehens. Sanitäter kümmerten sich um den Mann, der gebrannt hatte. Er musste in eine Klinik eingeliefert werden. Wir stellten vorher noch die Personalien fest. Er trug keine Papiere bei sich, gab seinen Namen aber mit Eric Valdez an. Valdez wurde von einem NYPD-Officer begleitet. Zurzeit stand er noch zu sehr unter Schock, um irgendeine brauchbare Aussage herauszubringen. Aber später war er vielleicht ein Zeuge, der uns wertvolle Beobachtungen mitteilen konnte. Vorausgesetzt, sein Ehrenkodex als Angehöriger von "Los Santos" ließ es überhaupt zu, dass er mit uns redete.

      Ich sprach mit NYPD-Captain Ron Gupta, dem indischstämmigen Einsatzleiter.

      "Lassen Sie das ganze Gebiet weiträumig absperren, Captain Gupta. Es besteht der Verdacht, dass sich hier das Hauptquartier einer Gang namens Los Santos befindet. Insbesondere suchen wir einen Mann namens Kelly Jarmaine, der höchstwahrscheinlich an dem Anschlag auf der Brooklyn Bridge beteiligt war. Er ist 22, breitschultrig, trägt zurzeit weißblond gefärbte Haare." Ich hielt Captain Gupta das aktuelle Foto hin.

      "Wir tun, was wir können", versprach er. "Aber Sie sehen ja, was hier los ist!"

      Die Löscharbeiten zogen sich hin.

      Manche der Schaulustigen verloren das Interesse daran.

      In einer Hausnische entdeckte ich Larry Morton. Der Drugstorebesitzer verfolgte aus sicherer Entfernung die Szene. Unsere Blicke trafen sich. Er schaute zur Seite, wich mir aus.

      Ich ging auf ihn. Er wandte sich zum Gehen, wollte einer Begegnung mit mir offenbar ausweichen.

      Ein kurzer Spurt und ich hatte ihn eingeholt. "Warten Sie, Mister Morton."

      Er blieb stehen, sah mich abweisend an. "Was wollen Sie, G-man?"

      "Ich dachte, vielleicht können Sie mir ein bisschen weiter helfen."

      "Ich habe alles gesagt."

      Ich versuchte einen Schuss ins Blaue. Und traf. "Wussten Sie, dass sich hier vermutlich das Hauptquartier von Kid Dalbán und Los Santos befand? Bis jetzt gibt es nur einen Überlebenden. Möglicherweise werden Sie also in Zukunft keine Probleme mehr haben!"

      Er lachte heiser. Dann trat er auf mich zu, sah mir direkt in die Augen. "Klar weiß ich, dass sich hier Dalbáns Hauptquartier befindet."

      "Jemand wollte ihn aus dem Weg räumen und hat es wahrscheinlich auch geschafft", stellte ich fest.

      Morton machte eine wegwerfende Handbewegung. "Sie haben keine Ahnung, G-man! Wissen Sie, was sich unter dem Todos Santos befindet?"

      "Keine Ahnung."

      "Ein atomsicherer Bunker aus den Fünfzigern. Ich weiß es genau. Als ich mal nicht so wollte wie die, haben mich Dalbáns Leute dorthin mitgenommen und mit Elektroschocks gefoltert. Dort unten kann man schreien, so laut man will. Es hört einen Niemand. Los Santos könnten wochenlang dort unten überleben, ganz gleich, was über ihnen passiert! Es gibt eine separate Luftzufuhr, Filteranlagen gegen giftige Dämpfe oder strahlenbelasteten Fallout..." Morton bleckte die Zähne wie ein Raubtier. "Soll ich Ihnen was sagen? Die sitzen da unten jetzt seelenruhig und warten einfach ab..."

      24

      Zur gleichen Zeit betrat Milo die Intensivstation des St. James Hospital. Der Bereich, in dem Oleg Shkoliov untergebracht war, wurde von einem halben Dutzend NYPD-Officers bewacht.

      Dr. Jessica McNamara, die diensthabende Ärztin, machte Milo kaum Hoffnungen, was Shkoliovs Überlebenschance anging.

      "Zeitweise fantasiert der Patient", erläuterte sie ihm. "Der Kopftreffer scheint irreversible Hirnschäden verursacht zu haben. Es ist nahezu ein Wunder, dass Mister Shkoliov immer noch am Leben ist. Aber die neurologischen Ausfallerscheinungen sind nicht zu übersehen."

      "Und Sie können wirklich