Kariane Höhn

Essen und Ernährungsbildung in der KiTa


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zur sozialen Interaktion (vgl. Gutknecht & Höhn, 2017) und Integration, denn mit zunehmendem Alter gelten die Ess- und Ernährungsregeln der sozialen Gemeinschaft, in der das Kind Mitglied ist, als mitbestimmend für seine Integration.

      1.2.2 Erlebnis- und Erfahrungswelt Essen

      Essen und Ernährung sind für die KiTa sowohl Bildungs- als auch Handlungsfeld. Essen und Ernährung sind »soziale Totalphänomene« (Mauss, 1968), in denen sich die unterschiedlichen Kulturen, sozialen Bedingungen, Strukturen, Beziehungen etc. widerspiegeln. Sie sind damit nicht nur zentrale, sondern auch vielseitige Erlebnis- bzw. Erfahrungswelten der Kinder. Daher sind Essen und Ernährung nicht nur für das Kind und seine zukünftige physische Entwicklung relevant, sondern sie stellen auch einen umfassenden Bildungsbereich dar: Essen und Ernährung können und sollten mit Lust und Genuss verbunden werden, sie können das Zusammenleben der Menschen erklären und gestalten, und sie können Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder fördern u. v. a. m. Als Bildungsbereich kann Essen und Ernährung in der KiTa entsprechend ihren Rahmenbedingungen unterschiedlich und leicht gestaltet werden.

      Aufgrund der eigenen Alltagserfahrungen fühlen sich die meisten pädagogischen Fachkräfte dem Bildungsbereich Essen und Ernährung gewachsen. Ernährungserziehung und -bildung setzt allerdings mehr voraus als das mehr oder weniger zufällige individuelle Alltagswissen. Anders als das Elternhaus ist die KiTa verpflichtet, auf der Basis von professionellem Wissen zu handeln. Entsprechende Handlungskompetenzen basieren dann auf Ergebnissen der Entwicklungs- und Kognitionspsychologie, der Ernährungswissenschaft und -psychologie sowie aktuellen Erkenntnissen der Ernährungsdidaktik. All dies ist grundlegend für eine professionelle Ernährungsbildung. Zur Zusammenstellung dieser unterschiedlichen Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte soll dieses Buch dienen.

      1.2.3 Essen und Ernährungsbildung in der KiTa – ein vernachlässigtes pädagogisches Feld

      Zum Themenbereich des Buches können die Leitungen, Träger und Fachberatungen für die KiTa bisher noch nicht auf umfassende und differenzierte Erkenntnisse und entsprechende Literatur zurückgreifen. Theoriebasierte evaluierte pädagogische Konzepte für die Ernährungsbildung in der KiTa fehlen bisher.

      Das ernährungswissenschaftliche Wissen zur Kinderernährung hat in den letzten ca. 30 Jahren deutlich zugenommen. Auch die Forschung zu Geschmack und Geschmacksentwicklung erbrachte viele wichtige Erkenntnisse für die Essentwicklung und das Essverhalten. So kann man heute auf wissenschaftlich fundierte Kernempfehlungen für die Ernährung von Kindern zurückgreifen. Zudem liegen grundlegende Ergebnisse aus der Ernährungspsychologie vor – wenn auch noch nicht für alle Bereiche und Erfordernisse.

      Wie diese Erkenntnisse für die KiTa genutzt werden können, wurde bisher im Wesentlichen von Ernährungswissenschaftlern und Ernährungswissenschaftlerinnen entwickelt und meist über Bund, Länder und Kommunen sowie über spezifische Institutionen zur Gesundheitsförderung verbreitet. Eine vorbildliche Initiative der »ersten Stunde« ist hierfür die vor 40 Jahren begründete Initiative »Bewusste Kinderernährung – BeKi« des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg (Landeszentrum für Ernährung, 2020a).

      Vor diesem Hintergrund schloss das vorliegende Buch mit der ersten Auflage 2016 eine wichtige Lücke – und tut dies immer noch, da es zentrale ernährungsphysiologische, psychologische, soziologische und pädagogische Grundlagen der Entwicklung und Ernährung von Kindern als Orientierung für die KiTa-Praxis in einem Werk zusammenfasst. Diese Grundlagen sind für eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung für die Ernährungsbildung unabdingbar. Die Grundlagen mussten hier jedoch stark »verdichtet« werden. Den Ausführungen zur Gestaltung der Esssituationen, der Ernährung und der Ernährungsbildung in der KiTa etc. liegen neben Zusammenstellungen rechtlicher und wissenschaftlicher Vorgaben auch die Berufserfahrungen der Autorinnen und beruflicher Kooperationspartner/-innen zugrunde.

      1.3 Essen und Ernährungsbildung – ein interdisziplinärer Themenbereich in sieben Kapiteln

      1.3.1 Essen und Ernährungsbildung in der KiTa – Der kindlichen Entwicklung folgen

      Die Herausforderungen im Umgang mit den Themen der Ernährungsbildung und Ernährungserziehung stellen sich vom Säuglings- über das Kleinkind- bis zum Vorschul- und Grundschulalter überaus unterschiedlich dar. Das Buch folgt hier den Phasen der kindlichen Entwicklung: In den Kapiteln werden die einzelnen, am Alter orientierten Entwicklungsphasen aufbauend aufeinander dargestellt – soweit und solange durch die Entwicklung unterschiedliche pädagogische Anforderungen gestellt werden.

      1.3.2 Disziplinäre Forschungsergebnisse – interdisziplinäre Zugänge und Folgerungen

      Essen, Ernährung und Ernährungsbildung sind interdisziplinär zu fundierende Themen, die sich daher auf basale Erkenntnisse aus mehreren Disziplinen stützen. Von besonderer Relevanz sind dabei folgende Disziplinen:

      • Die Physiologie untersucht die physische Entwicklung als Voraussetzung von Wachstum, Verdauung und Stoffwechsel sowie die sensorische Entwicklung.

      • Die Ernährungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Ernährungsphysiologie forscht aufgrund der physiologischen Grundlagen zur Ernährung des Menschen, ermittelt den Bedarf der einzelnen Altersgruppen, bewertet Ernährungsalternativen und gibt Empfehlungen für eine gesundheitsförderliche Ernährung.

      • Die Entwicklungspsychologie untersucht die psychophysische und psychische Entwicklung des Menschen und bietet für dieses Buch grundlegende Erkenntnisse über die Entwicklung von Emotionen, Lernen und Verhalten.

      • Die Ernährungspsychologie erforscht zudem die Grundlagen für die psychische Bedeutung des Essens bzw. die Wechselwirkung von Essen und Psyche sowie die Einflussfaktoren auf Essverhalten und -handeln.

      • Die Gesellschafts- und Kulturwissenschaften bieten Theorien zum Verständnis der sozialen (d. h. die gesellschaftliche Organisation und Beziehungen betreffende) Organisation von Menschen – auch durch Essen – und zu soziokulturellen (d. h. die soziale Organisation und die sie bestimmenden kulturellen Strukturen, also auch Werte und Normen betreffenden) Einflussfaktoren zum Essverhalten und -handeln.

      Zur Organisation und Gestaltung der KiTa sind zudem

      • juristische Grundlagen,

      • Kenntnisse der Organisationsentwicklung und Betriebsführung,

      • pädagogische Grundlagen der Frühkindlichen und Elementarbildung, auch basierend auf Ergebnissen der fachdidaktischen Forschung zur Ernährungsbildung

      relevant.

      In diesem Buch wird auf Befunde aus diesen Disziplinen zurückgegriffen und der Stand der Diskussion mit dem Fokus auf Essen und Ernährungsbildung in der KiTa zusammengefasst. Die Vielzahl der angesprochenen Facetten erlaubt nicht, für alle Bereiche relevante Studien und Forschungsmethoden zu deren Generierung vorzustellen. Dazu wird die angegebene Literatur empfohlen.